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Besser Wohnen - schöner Leben

Laudatio zur Ausstellungsvernissage von Thomas Freytag, Architekt, Weimar

Die alltäglichen Bilder-Lawinen haben wahrscheinlich schon dazu geführt, dass heute NIEMAND mehr Willens und in der Lage ist, sich selbst irgend etwas vorzustellen, sich ein "Bild" zu machen- zum Verlust der Imagination, zum Mangel an der Fähigkeit zu Imaginieren kommt der Mangel an der Fähigkeit zum Fantasieren.
Vom Fast- Food zum Fast- Image, von Instant Pictures zum Fast - Mind, womit ich mitten im Thema wäre!
Einerseits freue ich mich natürlich über die Ehre als "Alter" (d.h. nicht mehr "junger") eine Exposition junger - für deutsche Architektenverhältnisse blut- junger Kolleginnen und Kollegen einzuleiten.

Aber es gilt das Motto des Konservatismus:
Alles, was alt ist und keinen Schaden verursacht, kann bleiben. Andererseits habe ich Probleme mit alters- und sonst wie bedingten Ausgrenzungen: Veranstaltungen nur für Architektinnen, für junge Architekten, für Singles, für Paare, für Senioren und so weiter und sofort. Ich denke, dass einzige akzeptable Ausgrenzungskriterium sollte zukünftig die Qualität sein!
Vielleicht könnten aber vorher doch noch zwei, ausgrenzende Ausstellungen stattfinden:
1. Architektur ohne Bauherren und
2. Architektur ohne Architekten.

Was heißt hier überhaupt "besser" und was ist "schöner"?
Einerseits haben vor zweieinhalb tausend Jahren manche Leute besser gewohnt als heute und andererseits ist heute jeder Durchschnittshaushalt mit mehr Gerätschaften ausgestattet als ein mittelalterlicher Potentat!
" Wohnen" und damit die "Wohnung", sagt der Provokateur, hat sich in diesen zweieinhalbtausend Jahren sowieso nicht verändert, was bedeutet, das grundsätzlich nichts Neues mehr erfunden werden kann- außer vielleicht extreme Wohnformen wie das wandlose ("Wall- less House") Haus in Nagano, entworfen vom japanischen Architekten Shigeru Ban, in dem selbst sanitäre Einrichtungen nicht mehr intim . .das heißt in letzter Konsequenz auch von außen einsehbar sind!
Für die Einen ist die Entwicklung des Wohnens eine Geschichte der Verordnungen und Gesetze.
Für die Anderen ist sie folgerichitiger, technischer Zivilisationsfortschritt - von der antiken römischen Heizung zur Satellitenschüssel. Die Technik-Freaks, die Fans sensorgesteuerter Wasserbetten-Automatik werden nicht müde uns die Notwendigkeit "intelligenter" Häuser einzureden. Wachsende Intelligenz von Haustechnik und Maschinen, wie sich selbst bestückende Kühlschränke, sind mir schon deshalb suspekt, weil menschliche Intelligenz ganz offensichtlich im gleichen Maße - sozusagen reziprok und täglich in den Medien spürbar - zu verschwinden droht!
Vielleicht wird zukünftig der Dialog zwischen dem Staubsauger und der Waschmaschine interessanter als das abendliche TV-Programm? Wie wird das, wenn sich die Maschinen um die optimale Versorgungshierarchie des Hauses streiten? Wird das "besser" oder wird das etwa "schöner"?
Zwei Dinge haben das Leben seit den 1960ern nachhaltig verändert: Das Fernsehen und die Pille! Die Entwicklungen, die Veränderungen die dadurch ausgelöste wurden, sind wie wir wissen durchaus reversibel: Miniaturisierung, Flachbildschirme die an der Wand hängen und schlechte Programme sorgen für das Verschwinden der Gerätedominanz, ja-Präsenz und AIDS dämpfte allzu hektische und aberwitzige Promiskuitätserwartungen!
In der Zeit war von Hanno Rautenberg folgendes zu lesen:
"... Intelligente Architektur nennen sie diesen dioden- und kabelumschlungenen Wohnraum. Und verschweigen, dass in den High-Tech-Hütten vor allem die Intelligenz der Bewohner gefordert ist, um die vielen Regler, Schalter, Knöpfchen zu beherrschen. Das Haus dient nicht mehr, sondern will bedient sein und liefert die Bedienungsanleitung gleich mit.
Gehört also die Zukunft des Wohnens den Programmierern?
Zumindestens haben die Architekten den Techniktüftlern im Moment nur wenig entgegenzusetzen. Seit Jahrzehnten entwerfen sie immer die gleiche Vierkopf- Idealfamilie, vor allem der Geschoßwohnungsbau (wie häßlich allein der Begriff!) ist durch Einfallslosigkeit gestraft. Wer also nicht ins eigene Häuschen am Stadtrand flüchtet, dem bleibt meist nur der Neubaustandart mit niedrigen Decken und Miniküche- eingezwängt ins Schema F."
"Besser Wohnen - schöner Leben": Viele Fragen warten auf Antworten, ja manche sind noch nicht einmal gestellt!

  • Müssen wir jedem Trend hinterherlaufen, jedes Spielzeug nach oberflächlicher Testphase wegwerfen und vergessen, damit es nach Jahren als "Revival" und "Retro-" von Trend- Scouts oder Werbeleuten wiedererweckt werden kann?
  • Was hat mehr Einfluß auf Entwicklungen:
    • Die Realität auf die Fiktion oder
    • Die Fiktion auf die Wirklichkeit?

  • Und warum heißt es "wohnhaft"?
  • Warum muß es, besonders in den NEUEN Bundesländern, immer zugehen wie weiland bei den oberitalienischen Signorien, nach der Devise: "Alle gegen Alle"?

Zum Glück bin ich nicht hier, um Fragen - erst recht nicht solche zu beantworten! Auch die Ausstellung kann und soll das nicht leisten! Steine sollte sie schon ins Rollen bringen!

Es geht, das wissen wir genau, auch nicht mehr nur um Architektur!
Planen und Bauen wird öffentlich ohnehin nur im Zusammenhang mit Skandalen interessant und diskussionswürdig, wenn illegal Gelder fließen, Häuser dank sintflutartiger Niederschläge plus Überschwemmung versinken , wenn technische Anlagen nicht funktionieren - ALLES Architektenschuld? Architektur und Architekten haben medial keinen allzu hohen, um nicht zu sagen gar keinen Unterhaltungswert.
Das ist keine Larmoyanz, sondern eine Feststellung!
Damit sich da etwas Ändert, müssen wir etwas Ändern! Vielleicht sogar uns selbst!
Vielleicht ist es für den Laien hilfreich, den Architekten nicht nur als einen speziellen Bausachverständigen, sondern als professionellen Problemlöser darzustellen? Wir, die Architekten, haben nämlich eine Menge Werkzeuge und Methoden zum Lösen von Problemen - mehr als der Laie sich vorzustellen vermag. Wie sagt der Volksmund? "Wer nur einen Hammer hat, dem wird jedes Problem zum Nagel!"
Wir werden Fluchtbewegungen der Jugend, Migrationen in reichere Länder und den Exodus kultureller Eliten nicht verhindern können - aber wir sind sehr wohl in der Lage, sinnvolle Beiträge zur Steigerung des körperlichen und intellektuellen Wohlbefindens zu leisten- Beiträge, die über das traditionelle Verständnis des durchschnittlichen Bürgers, Wählers, Verbrauchers und Steuerzahlers hinausgehen. Vorstellungen und realisierte Wohnträume a la Disney, die wirtschaftlich erfolgreiche Stadt der Sehnsüchte und des monumentalen Kitsches jedoch lehnen wir ab!

In dem erwähnten Beitrag der ZEIT, der keineswegs pessimistisch ist oder architektenfeindlich gesinnt, wird von der Erprobung NEUER Wohnformen, von Leuten, die auf der Suche nach "ihrer persönlichen Wohnwahrheit" (ZEIT) sind, ebenso gesprochen wie über das Zaudern von Bauträgern und Baugesellschaften, die Mittelmaß wollen, "nichts, was ihrer Vorstellung vom Normalbedürfnis des Normalbewohners" (ZEIT) zuwiderläuft, für die Menschen, wie der Berliner Architekt Wolfgang Popp sagt, nur Bewohner und Architekten Befehlsempfänger sind - und die sich dann wundern" dass sie auf dem Billigstandard sitzen bleiben, in den sie selbst nie einziehen würden." (Zitatende)

Ich hoffe, dass bald über erfolgreiche Wohnexperimente nicht nur aus Köln, Berlin und Wien, sondern auch aus Thüringen, aus den "neuen" Ländern berichtet werden kann.

veröffentlicht am 26.11.2001 von Susann Weber · Rubrik(en): News

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