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Harmonisierung nach unten?

Das geplante Dienstleistungspaket der EU umfasst Vorschläge, die weitreichende Folgen für den Berufsstand hätten

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Mit Architekten im Gespräch: Dr.-Ing. Hans-Gerd Schmidt, Dr. Babette Winter, Gabriele Zimmer (v. l.), Bild: Melanie Kahl, Erfurt

Die Ziele der europäischen Binnenmarktstrategie lauten Wachstum, Beschäftigung und Innovation. Ein Dorn im Auge ist der Europäischen Kommission die ihrer Einschätzung nach zu geringe grenzüberschreitende Tätigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen sowie Dienstleistern, insbesondere von Freiberuflern. Nach ihrer Auffassung sind Unternehmen und Freiberufler in ihrer Auslandstätigkeit insbesondere dadurch behindert, dass die Berufe unterschiedlich reguliert werden und bestimmte Berufe EU-weit geschützt sind. Ihren Entwurf des EU-Dienstleistungspakets legte die Kommission im Januar dieses Jahres vor.

Um über den aktuellen Stand zu informieren, lud die Architektenkammer Thüringen zu einem Podium ins Erfurter Angermuseum  ein. Über die Gesetzesvorschläge diskutierten Dr. Babette Winter, Staatssekretärin für Kultur und Europa in der Thüringer Staatskanzlei; Gabriele Zimmer, Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke; Prof. Ralf Niebergall, Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer (BAK) und Vorsitzender des Arbeitskreises Europa und Internationales der BAK; sowie Dr.-Ing. Hans-Gerd Schmidt, Präsident der Architektenkammer Thüringen. Moderiert wurde das Podium von Dr. Florian Hartmann, Geschäftsführer und Justiziar der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen.

Die Bestandteile des Dienstleistungspakets stellte eingehend Prof. Niebergall vor:

  • Die Reformempfehlungen für die Berufsreglementierung besagen im Kern, je weniger reguliert wird, desto besser ist das für den Wettbewerb und den Binnenmarkt. Niebergall aber gab zu bedenken, dass die Architektendichte in Deutschland bereits jetzt mit die höchste in Europa ist und dabei der Anteil der Büros aus dem EU-Ausland im europäischen Mittel liege. Eine Zunahme hätte seiner Auffassung nach eher negative ökonomische Auswirkungen. Auch entstehe die Nachfrage nach Planungsleistungen nicht aus einem Mehr an Planern heraus, sondern sei vielmehr abhängig von der allgemeinen Baukonjunktur.
  • Mit der neuen Richtlinie zur Reform des Notifizierungsverfahrens will sich die Kommission das Recht sichern, einem Mitgliedsstaat zu untersagen, neue oder geänderte Gesetze, welche den Zugang und die Ausübung des Berufs regeln, einzuführen. Damit würde die nationale Gesetzgebungshoheit beschnitten.
  • Die Richtlinie über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung soll den Mitgliedstaaten vorschreiben, wie sie zu prüfen haben, ob eine Berufsregulierung verhältnismäßig ist. Benachteiligt werden dabei Qualitätssicherungssysteme, die hauptsächlich auf die Eigenverantwortung der Berufsträger und weniger auf staatliche Kontrolle ausgerichtet sind. „Dass Berufsregulierungen auch positive Effekte haben, wie Verbraucherschutz und Qualitätssicherung, bleibt dabei außer Betracht“, so Niebergall.
  • Die Elektronische Dienstleistungskarte schließlich soll Unternehmen und Freiberuflern die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen erleichtern. Die Karte, die keine echte „Plastikkarte“, sondern ein elektronisches Zertifikat sein wird, soll alle Angaben zur Qualifikation (auch von Arbeitnehmern) enthalten und unter anderem beglaubigte Kopien von Dokumenten überflüssig machen. Niebergall wies in diesem Kontext darauf hin, dass das System der Berufsanerkennung im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr für Architekten aktuell viel einfacher funktioniere. Vor allem aber seien Anforderungen nach der Berufsanerkennungsrichtlinie ungeklärt und es entstehe die Gefahr, dass Qualifikationsanforderungen ausgehebelt würden.

Seine Einführung schloss Niebergall mit der Einschätzung, dass der grenzüberschreitende Dienstleistungsverkehr bei Architekten in Europa allgemein sehr gering sei, unabhängig vom Grad der Regulierung. Sprachbarrieren sowie Unkenntnis der Rechtssysteme und des Marktes seien die eigentlichen Hindernisse.

In der anschließenden Diskussion betonte Kammerpräsident Dr.-Ing. Hans-Gerd Schmidt, dass die im Dienstleistungspaket formulierten Vorschläge seitens des Berufsstandes wegen der Eingriffe in nationale Gesetzgebungskompetenzen und das Kammerwesen kritisch gesehen werden. Er unterstrich, dass der Berufsstand in Deutschland wie auch in Österreich und der Schweiz einer besonderen Verantwortung unterliegt: „Wir sind vom ersten Strich bis zur Inbetriebnahme und der Mängelverfolgung über den gesetzlichen Gewährleistungszeitraum nach Werkvertragsrecht verantwortlich.“ In vielen anderen Ländern decke der Berufsstand ein deutlich kleineres Leistungsspektrum ab, oft hörten die Leistungen mit dem Entwurf und der Genehmigungsplanung auf. Schmidt bekräftigte: „Wir müssen dafür sorgen, dass der, der auf diesem Markt arbeitet, auch die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt.“

Für mehr Verständnis warb Staatssekretärin Dr. Babette Winter. Weil der Alltag der Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene kaum in den Medien präsent sei, gebe es nur sehr wenig Vertrauen in die Vorgänge. Erfolge würden nicht vermittelt und bei Misserfolg seien immer die „Eurokraten“ schuld. Vor dem Hintergrund des gemeinsamen kulturellen Erbes forderte sie Kompromissbereitschaft ein: „Es gibt viele Unterschiede und viel Verknüpfendes. Der europäische Kulturraum war immer ein melting pot, während sich die nationalstaatliche Grenzen verändert haben.“ Sie hob hervor, dass ein Zusammenwachsen nur funktioniere, wenn die Mitgliedsstaaten auch bereit sind aufeinander zuzugehen.

EU-Parlamentarierin Gabriele Zimmer konstatierte: „Eines der Grundprobleme, das wir in der Kommission haben, ist, dass nach unten geguckt wird.“ Sie fragte: „Wieso können wir nicht mit vernünftigen Standards, die verhältnismäßig sind und sich bewährt haben, einen Raum schaffen, der sich gegenüber anderen Wettbewerbsregionen durchsetzt?“ Das Ziel müsse doch sein, dass es eine Entwicklung, eine Harmonisierung nach oben gebe und nicht nach unten. Sie ergänzte: „Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, dann kann das nur mit der EU funktionieren.“ Aber sie müsse sich ändern.

Hintergrund - Reihe „Mit Architekten im Gespräch“:
Um die Rahmenbedingungen für das Planen und Bauen zu verbessern, hält die Architektenkammer engen Kontakt zu Politik und Verwaltung. Sie begleitet fachkundig die Entstehung vielfältiger Regelungen, die die Berufsstände betreffen. Bei der Weiterentwicklung und Novellierung von Gesetzen berät sie die Landesregierung, bevor diese im thüringischen Landtag verabschiedet werden. Regelmäßig wird das Gespräch mit Abgeordneten, Ministerien, Behörden und Bauämtern gesucht. Mit dem Format „Mit Architekten im Gespräch“ initiierte die Kammer nun eine neue Reihe, um den fachlichen Dialog mit der Politik weiter zu intensivieren. Thema des nächsten Podiums wird die Novellierung der Thüringer Bauordnung sein.

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WEITERE IMPRESSIONEN:
www.architekten-thueringen.de/imgespraech/

veröffentlicht am 21.11.2017 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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