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Inklusiv gestalten – Barrierefreiheit im Denkmalbestand

Gelungene Regionalkonferenz in Erfurt

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Die Regionalkonferenz zählte mehr als 250 interessierte Zuhörer, Bild: Melanie Kahl, Erfurt

Große Resonanz erfuhr die Regionalkonferenz Mitteldeutschland „Inklusiv gestalten – Barrierefreiheit im Denkmalbestand“ am 25. Oktober 2018 in Erfurt. Wie gelingt barrierefreies Bauen im denkmalgeschützten Baubestand, wie können Kulturdenkmäler für Menschen mit Behinderungen zugänglich gemacht werden? Diesen Fragen gingen mehr als 250 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Fachverbänden und -behörden, aus Landesämtern und Verwaltung sowie zahlreiche Planerinnen und Planer nach.

Eingeladen hatten der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, die Bundesarchitektenkammer, die Architektenkammern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, das Thüringische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie sowie der Beauftragte der Thüringer Landesregierung für Menschen mit Behinderungen, Joachim Leibiger.

Den Dank an alle Partner übermittelte der Präsident der Architektenkammer Thüringen, Dr.-Ing. Hans-Gerd Schmidt, in seinem Grußwort. Namentlich dankte er Holger Reinhardt und Dr.-Ing. Heribert Sutter vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie für die impulsgebende Idee. Der Zuspruch zeige, dass die Idee gut und das Interesse am Thema groß ist, so Schmidt.

„Barrierefreiheit und Denkmalpflege sind keine unvereinbaren Gegensätze. Es braucht zunächst Expertise, aber auch Kreativität und vor allem den Willen, ausgetretene Pfade zu verlassen und vorhandene Spielräume vor Ort zu nutzen“, sagte Jürgen Dusel zur Eröffnung. Es gehe nicht nur um ein konfliktreiches Spannungsverhältnis, es könne vielmehr reizvoll sein, professionell darüber nachzudenken, wie man unterschiedliche Werte und Interessen zusammenbringe. Dusel fuhr fort: „Inklusion wurde in den letzten Jahren sehr stark fokussiert auf ein Thema – Erziehung und Bildung. Es geht aber um alle Lebensbereiche, um Arbeit, Wohnen, Freizeit, Kultur und Gesundheit. Das wahrzunehmen ist wichtig, auch, dass die Gruppe der Menschen mit Behinderung heterogen ist, daher die Bedürfnisse und Erwartungen an eine behinderungsfreie Umgebung unterschiedlich sein können.“

Der Landeskonservator des Freistaates Thüringen, Holger Reinhardt, betonte, dass Barrierefreiheit im Denkmalbestand selbstredend auch ein Anliegen der staatlichen Denkmalpflege sei, auch wenn nicht immer jedes Kulturdenkmal für jede Form von Behinderung barrierefrei erschlossen werden könne. „Es gibt aber immer erleichternde Lösungen, wenn die Ziele Zugänglichkeit und Erlebbarkeit für alle sowie Erhalt kultureller Werte als gleichwertige Ziele ernst genommen werden“, führte Reinhardt aus. Die Konferenz solle die Notwendigkeit der Beteiligung aller befördern, sie solle die Notwendigkeit einer methodischen Herangehensweise bewusst machen und Verständnis für die jeweils andere Position wecken. „Die Instrumentarien dafür sind existent, müssen aber stärker ins Bewusstsein gebracht werden.“

Joachim Leibiger schließlich konstatierte, dass wir auf dem richtigen Weg seien, aber noch lange nicht dort, „wo wir hin wollen“ und was die UN-Behindertenrechtskonvention vorschreibe. Es sei notwendig, dass eine Landesfachstelle für Barrierefreiheit auch in Thüringen geschaffen werde, formulierte Leibiger eine Forderung an die Landesregierung.

In media res – aus der Perspektive der Denkmalpflege sowie der Menschen mit Behinderung – ging es anschließend im Rahmen zweier Impulsvorträge. Dr.-Ing. Heribert Sutter vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie gestand gleich zu Beginn, dass in begründeten Fällen die Barrierefreiheit nur eingeschränkt möglich sei. Er bekräftigte aber: „Die Anzahl der Fälle, wo Barrierefreiheit auch nicht in Teilen realisierbar ist, dürfte bei kritischer Prüfung streng genommen eher klein sein.“ Sutter ergänzte: „Die Umsetzung im öffentlichen Raum stellt nicht nur eine selbstverständliche Voraussetzung  dar, sie bringt auch einen Mehrwert für alle mit sich, der geeignet ist, das gemeinsame Miteinander zu befördern.“ Seinen Vortrag schloss er mit der Feststellung, dass sich Barrierefreiheit und Denkmalschutz nicht zwingend ausschließen müssen, „vorausgesetzt, dass alle es wollen, miteinander kommunizieren und dabei die Betroffenen einbeziehen und dass alle gewillt sind, die Belange des anderen zu verstehen und zu Kompromissen bereit sind“.

Dass Barrierefreiheit und Denkmalschutz allenfalls gleichberechtigt nebeneinander stehen, verdeutlichte Michael Müller, Sachverständiger für Barrierefreies Planen vom Club Behinderter & ihrer Freunde e. V., Darmstadt, in einem ebenso unterhaltsamen wie provokanten Vortrag. Müller hielt fest: „Zugänglichkeit
ist ein Menschenrecht, Denkmalpflege nicht.“ Das Verhältnis zwischen Behindertenvertreter und Vertreter der Denkmalpflege habe einen Fehler – und dieser liege in den Gesetzen begründet. So obliege der Denkmalbehörde die Entscheidung zur baulichen Veränderung eines Baudenkmals „und damit wägt sie zu hundert Prozent über die Barrierefreiheit ab“. Das Menschenrecht der Zugänglichkeit sei somit eine Abwägungsfrage einer hierzu nicht qualifizierten Behörde, die zudem eigene Interessen verfolge. „Es ist nicht gleichberechtigt, wenn die Behindertenvertreter nur ein Recht auf Anhörung haben.“ Beherzt bemerkte Müller: „Wenn Sie eine Kirche aus ästhetischen Gründen nicht barrierefrei machen, dann können Sie sie auch abreißen.“

Der nächste Block war den methodisch-prozesshaften, lösungsorientierten Herangehensweisen gewidmet. Karen Büchner vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie befasst sich mit der Lösungsfindung als iterativen Prozess. Ihre Empfehlung: „Wenn Sie als Planer mit der Grundlagenermittlung beginnen, nehmen Sie bitte Kontakt zu den betroffenen Vertretern als auch den Vertretern der Denkmalpflege auf. Lassen Sie uns mit dem gemeinschaftlichen Planungsdialog beginnen.“ Eine notwendige Defizit- und Bedarfsanalyse hinsichtlich der Barrierefreiheit gelänge erst dann konsequent, wenn bereits im Vorfeld mit der Behindertenvertretung abgestimmt werde, welche Nutzergruppen berücksichtigt werden müssten.

Dass eine frühzeitige Beteiligung von Experten für Barrierefreiheit und für Denkmalschutz beim Lösungsfindungsprozess zwingend erforderlich ist, unterstrich auch der Vortrag von Dr. Markus Rebstock von der Koordinierungsstelle Barrierefreiheit beim Beauftragten der Thüringer Landesregierung für Menschen mit Behinderungen. Anhand zweier Beispiele, Schloss Elisabethenburg und Burg Normannstein, zeigte er auf, dass die Abwägung zwischen Denkmalschutz und Barrierefreiheit immer eine Einzelfallentscheidung ist und einer Analyse der nutzungs- und entscheidungsrelevanten Faktoren beider Seiten bedarf.

Die Leiterin der Koordinierungsstelle Barrierefreies Bauen in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin, Ingeborg Stude, stellte das „Konzept Barrierefrei“ als Planungstool vor. Das Konzept schaffe Regeln zum Bauprozess, zur Verantwortung, zur Leistung und zur Partizipation, erklärte Stude. Es sei ein Hilfsmittel und sage allen Beteiligten, wer was wann zu leisten habe. „Aufgesetzte Nachbesserungen sollten damit der Vergangenheit angehören“, freute sich Stude. Die Anleitung wurde bereits in die „Anweisung Bau“ integriert. Damit werde barrierefreies Bauen „zum Bestandteil des öffentlichen Bauens schlechthin“.

Viel Raum wurde dann ausgewählten Beispielen aus der Praxis eingeräumt. Diese zeigten nicht nur, wie Denkmalschutz und Barrierefreiheit im Einzelfall vereinbar sind, sondern verdeutlichten auch, dass die unterschiedlichen Lösungen mit einem Informationsgewinn für alle einhergehen können.

So ist der durch Architekt Matthias Hamann (Schubert Hamann Dinkler Architekten + Ingenieure, Greiz) vorgestellte Einbau einer Aufzugsanlage im Oberen Schloss Greiz zum einen wichtiges technisches Hilfsmittel zur selbstständigen barrierefreien Erreichbarkeit der Geschossebenen. Zum anderen bereichert die neu entstandene „Zeitreise“ während der Aufzugsfahrt als weitere Attraktion das Museum und ist nicht zuletzt wegen der Ausblicke aus den Fenstern, an denen man vorbeifährt, ein besonderes Erlebnis.

Beim Lutherhaus in Neustadt an der Orla, das anlässlich des 500. Reformationsjubiläums im Jahr 2017 zu einem Schaudenkmal instand gesetzt werden sollte, war eine barrierefreie und denkmalgerechte Erschließung ausschließlich über innenliegende Rampen nicht möglich. Die kluge Lösung bildet ein an der Rückseite errichteter Erschließungs- und Funktionsbau samt behindertengerechtem Aufzug und zweitem Rettungsweg, wie Sebastian Reipsch, Architekt am Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, berichtete.

Als weiteres Projekt präsentierte Architekt Dieter Müller (Architekturbüro Müller + Lehmann, Bad Berka) die Stadtkirche in Jena. Im Zuge der Neugestaltung und Restaurierung des Innenraumes ist es gelungen, einen barrierefreien Zugang von außen zu ermöglichen, auch sind das Kirchenschiff, die Kapelle sowie die Toilette barrierefrei erschlossen. Eine Lichtführung an den Rampen und eine Induktionsschleife sind weitere Elemente, die die Barrierefreiheit nachhaltig verbessern.

In Vertretung des kurzfristig verhinderten Landschaftsarchitekten Harms Wulf gab schließlich Dr.-Ing. Heribert Sutter Denkanstöße für die barrierefreie Gestaltung von historischen Straßen, Plätzen und Gartenanlagen.

Ein kurzweiliges Podiumsgespräch beschloss die Konferenz. Teil der illustren Runde waren neben Jürgen Dusel, Dr.-Ing. Heribert Sutter und Dr.-Ing. Hans-Gerd Schmidt der Leiter Bundesfachstelle Barrierefreiheit in Berlin, Dr. Volker Sieger, sowie der Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer, Martin Müller. Deutlich wurde unter anderem, dass es zum Thema der Barrierefreiheit noch große Defizite in der Lehre gibt. So sei es unabdingbar, das Thema verpflichtend in die Studiengänge von Architekten, Ingenieuren und anderen Planern einfließen zu lassen. Der Präsident der Architektenkammer Thüringen, Dr.-Ing. Hans-Gerd Schmidt, forderte mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen: „Als Architekten müssen wir eine Meinungsführerschaft übernehmen.“ Die Fachbehörde erwarte vom Architekten eine gute Lösung und nicht umgekehrt.

Mit zahlreichen angeregten Gesprächen klang der Tag im Foyer des Erfurter Comcenters aus.

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Weitere Impressionen und Vorträge:
www.architekten-thueringen.de/inklusivgestalten/

veröffentlicht am 20.11.2018 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit, Berufspraxis

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