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Mehr tun, um das Erhaltenswerte zu erhalten

Beitrag von Ekkehard Tanzer zum 1. Mitteldeutschen Architektentag

Quasi eine gute und eine schlechte Nachricht waren es, die den Inhalt des 1. Mitteldeutschen Architektentages der Architektenkammern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen am 19. November in Erfurt zum Thema "Bauen in der Innenstadt" bestimmten. Die gute: Der Stadtumbau der zurückliegenden 15 Jahre ist im wesentlichen gelungen. Die schlechte: Die derzeitigen wirtschafts- bzw. finanzpolitischen Bedingungen gefährden die Fortsetzung der Aufwertungsmaßnahmen. Der Präsident der Architektenkammer Thüringen, Hartmut Strube, ist dennoch zuversichtlich, dass das Programm nicht scheitern wird. Und zwar deshalb nicht, weil "ein Scheitern der Bautätigkeit ein Scheitern der Entwicklung der Bundesrepublik wäre" - und das sei ja nicht zu erwarten. Aber natürlich müsse man etwas dafür tun, dass es bei der günstigen Entwicklung bleibe. Damit also die "Erfolgsstory" - wie der Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer, Joachim Brenncke, formulierte - weitergeht. Dafür und daran arbeiteten ja die drei Kammern zusammen, wovon eben der erste gemeinsame Architektentag zeuge.

Das allgemeine Problem, weshalb auch jetzt wieder übers Bauen in der Innenstadt beraten werden müsse, sind die fortwährenden strukturellen Veränderungen in den östlichen Bundesländern, die ungebremste Entvölkerung. Das spezielle Problem sind die zur Zeit geringer werdenden Finanzen. Es drohe eine Zweiklassengesellschaft: Dort die halbwegs finanzstarken Kommunen, die so viel Geld aufbringen können, dass sie auf Co-Finanzierung durch den Bund rechnen dürfen, hier jene, die weder selber Geld haben, noch welches bekommen. Da bleiben die privaten Investoren weg, ist sich Thüringens Kammergeschäftsführer Michael Beier sicher und mit den Chefs der mitteldeutschen Kammern einig.

Grund für den Optimismus nicht nur Hartmut Strubes sind sowohl die positiven Effekte, die richtiger Stadtumbau verspricht, als auch gute Erfahrungen gerade im eigenen Land. Wichtig sei daher, über Ist und Soll zu reden, auch und noch mehr als bisher darüber, was sinnvoll und was unsinnig ist. Erreicht werden könne auf diese Weise vielleicht, dass heutige Bauten eines Tages auch so behandelt werden wie denkmalgeschützte Bauwerke von einst. Thüringens Bauminister Andreas Trautvettter (CDU), der als Gast am Mitteldeutschen Architektentag teilnahm, nannte als Beispiele für das schöne Erhaltenswerte die alten und erneuerten Gebäude im Erfurter Andreas-Viertel, das vor dem Mauerfall zum Abriss freigegeben war, das renovierte Brühl (wo man tagte), aber auch Teile des neuen Leinefelde. Zweideutig, aber eindeutig zu verstehen seine Schlussfolgerung: "Der Stadtumbau ist noch lange nicht am Ende." Das Programm solle den Städtern mehr Wohn- und Lebensqualität bringen bei "mehr Stadt für weniger Bürger", trotz "chronischer Unterfinanzierung". Im übrigen könnten Immobilien, um die es ja hier gehe, mehr der Altersvorsorge dienen.

Von chronischer Unterfinanzierung könne man zwar nicht sprechen bei immerhin 2,7 Milliarden Euro für den Stadtumbau Ost, wie die SPD-Staatssekretärin im Bundesbauministerium, Iris Gleicke, konterte, und auch der Förderung der Altersvorsorge mit Immobilien sei zuzustimmen, nur nicht denen auf der grünen Wiese vor der Stadt, aber ansonsten sei der Perspektive nicht zu widersprechen. Aus dem Grund aber wäre es pervers, wenn erhaltenswerte Gebäude mit öffentlichen Fördermitteln abgerissen werden, auch wenn eine sofortige Nutzbarkeit nicht zu erkennen sei. Aktueller Rat an die Architekten: In die Planungen des Stadtumbaus auch die Probleme einbeziehen, die durch Karstadt-Krise und Co. entstehen können, den Domino-Effekt im Schatten dieses oder gleichartiger Handelsriesen. Und Beruhigungspille angesichts des befürchteten Versiegens von Fördermitteln: Damit der Stadtumbau Ost nicht gebremst werden muss, gebe es ein neues Programm zum Stadtumbau West, bei dem "die alten Länder von den neuen lernen können".

Dass sie das können, davon gab sich auch Tagungsgast Konrad Ballheim überzeugt, aus dem Süden Deutschlands kommender Referatsleiter im Thüringer Innenministerium. Thüringen sei durch die Wende um 350000 auf nur noch 2,36 Millionen Einwohner geschrumpft, während der Anteil der Rentner steige, die Deindustrialisierung habe die Zahl der Beschäftigten um mehr als 40 Prozent heruntergedrückt, die Quote der Wohnungsleerstände stieg von 2 auf zuletzt 18 Prozent. Besonders problematisch die Leere im innerstädtischen Altbaubestand: inzwischen 50000 Wohnungen, fast die Hälfte des gesamten Leerstands an Wohnungen im kleinen Freistaat. Hauptursache aus Sicht des Thüringer Innenministeriums die Begünstigung der Neubauwohnungsförderung und daher Grund zur Forderung nach mehr Förderung der Eigentumsbildung in den Innenstädten. Gleichwie: Bei der Wohneigentumsbildung habe Thüringen mit einer Quote von 42 Prozent inzwischen den Spitzenplatz unter den neuen Ländern und den Bundesdurchschnitt erreicht. Besonders hervorzuheben das Programm "Genial zentral: unser Haus in der Stadt". Im Rahmen dieser Initiative würden die Kommunen finanziell und planerisch unterstützt, innerstädtische Brachen für den familienfreundlichen Wohnungsbau zu erschließen. Bereits zuvor seien Thüringer Brach- und Konversionsflächen in beispielhafter Weise städtebaulich entwickelt worden. Ein solches Beispiel sei das Kasernengelände in Weimar - Stichwort Neues Bauen am Horn. Jetzt soll eine Thüringer Qualitätsoffensive Stadtumbau gestartet werden, mit der die Akzeptanz seitens der Öffentlichkeit weiter erhöht wird.

Dergleichen ist aus Sicht von Prof. Max Welch Guerra, Wissenschaftler an der Bauhaus-Uni Weimar, bitter nötig, denn so optimistisch wie etwa Kammerpräsident Strube sieht er den derzeitigen Stadtumbau in Ostdeutschland nicht unbedingt. Was Architekten wie er nämlich viel zu wenig berücksichtigten, seien die Belange der bisherigen Bewohner, für die der Stadtumbau "zuerst eine Bedrohung" bedeute. Zu wenig beachte die Architektenschaft, wie zur Zeit die "2. Miete" steigt, weil die Stadtwirtschaftsbetriebe nicht hinreichend einbezogen werden. Der Schwund der Bevölkerung nehme noch mehr zu, die Alterung ebenfalls. Darauf müsse man sich - "soll es nicht bei der Abwärtsspirale bleiben" - wesentlich intensiver und ideenreicher einstellen. Und die Entwicklung als Chance begreifen. Denn die Gruppe der älteren Bürger sei meist - wie es in einer Presseveröffentlichung ziemlich zutreffend dargestellt wurde - "lebensfroh und konsumstark". Also sollten auch die Architekten für sie etwas, viel mehr als bisher, tun.
Ergo: "Wir sind erst am Anfang des Stadtumbaus".

Ekkehard Tanzer (Journalist)

veröffentlicht am 22.11.2004 von Birgit Kohlhaas · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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