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Mit der Nachhaltigkeit kompatibel?

Nachlese zum IX. Mitteldeutschen Architektentag am 18. August auf Schloss Ettersburg bei Weimar

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Dr.-Ing. Hans-Gerd Schmidt, Präsident der Architektenkammer Thüringen, Bild: Robert Schwabe, Weimar

Sind unsere bisherigen Zielstellungen und Wertmaßstäbe zur Energie- und Klimapolitik richtig oder bedürfen sie einer Korrektur? Diese Frage stellte Dr. Hans-Gerd Schmidt in seiner Eröffnungsrede zum IX. Mitteldeutschen Architektentag und sie sollte die Diskussionen des Tages bestimmen. Der Präsident der Architektenkammer Thüringen gab zu Bedenken: „Wenn wir als Treuhänder der Bauherren weiterhin eine hohe Akzeptanz genießen wollen, müssen wir gesellschaftliche Wandlungsprozesse und Normen kritisch hinterfragen und begleiten. Nachhaltiges und damit auch ressourcenschonendes Bauen, sowohl im Neubau als auch im Bestand, leistet unserer Auffassung nach einen wichtigen Beitrag, die in der europäischen Klima- und Energiepolitik formulierten Ziele zu erreichen. Allerdings zeigt sich gerade bei der so wichtigen energetischen Gebäudesanierung, dass die Anforderungen an die Energieeffizienz mit Augenmaß zu gestalten sind.“ So gelte es beispielsweise, anstelle des Energiesparens den Klimaschutz stärker in den Fokus zu rücken.

Die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer Barbara Ettinger-Brinckmann plädierte in ihrer thematischen Einführung vor allem für die Bemühung um den minimalen Eingriff bzw. um Suffizienz. Und hier sei der Berufsstand – als gesellschaftliche Avantgarde – in der Pflicht, seiner Verantwortung stärker als bisher zu entsprechen: „Wir müssen Wege finden, weniger Grund und Boden, weniger Energie und weniger Material für den Bau zu verbrauchen“, so Ettinger-Brinckmann. Ihre Vorschläge: Die Anwendungsmöglichkeit von nachwachsenden Rohstoffen, insbesondere von Holz, müsse erweitert werden. Um den Energieeinsatz für die Herstellung und den Transport zu begrenzen, sei zudem die Verwendung regional gewonnener Rohstoffe zu fördern. Weiterhin gelte es, Zersiedlung und Flächenverbrauch zu verhindern, beispielsweise durch Aufstockung. Einer der wirksamsten Maßnahmen zur Ressourcenschonung und zur Abfallvermeidung sei der verantwortungsvolle Umgang mit dem Gebäudebestand: „Die Sanierung des Gebäudebestands sollten wir wo immer möglich dem Ersatzneubau vorziehen.“ Das Mittel der Wahl sieht Ettinger-Brinckmann aber auch „in der Qualität der Planung und des Bauens in einer hochentwickelten Baukultur“.

Die globalen Zusammenhänge zeigte dann in einem mitreißenden Vortrag Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Franz-Josef Radermacher von der Universität Ulm, Mitglied des Club of Rome und einer der Initiatoren der Global-Marshall-Plan-Initiative, auf. Er betonte, dass die Globalisierung auch globale Regelungen verlange, selbst wenn dies zu Lasten der Demokratie ginge. Entscheidend sei der Charakter der spezifischen Regulierung der Märkte. Prof. Radermacher sagte: „Die Leute, die das nicht thematisieren wollen, verstecken sich hinter der Formel der Effizienz.“ Und eine reine Effizienzorientierung führe ganz offenbar nicht dazu, dass das Gemeinwohl rauskomme. Auf das Bauen bezogen merkte er an: „Die Fehlorientierung des Denkens wird an keiner Stelle deutlicher, als wenn man Wohnungen gegen den natürlichen Rhythmus saniert, um das CO2-Problem zu lösen.“ Das sei energetisch vielleicht sinnvoll, aber nicht für das Klima und am Ende „nichts anderes als das Verbrennen von Geld“. Kritisch sieht Radermacher auch die Anstrengungen um Suffizienz, insbesondere die Art und Weise: „Wenn wir überlegen, wie wir die Dinge auf dem Globus in Ordnung bringen wollen, dann müssen wir uns primär mit denen beschäftigen, denen es richtig schlecht geht.“
Und weiter: „Das richtige Bild ist meiner Meinung nach nicht: Wir müssen eine Knappheit verwalten. Das richtige Bild ist: Wir müssen einen Energiewohlstand und -überfluss für 10 bis 15 Milliarden Menschen erzeugen. Wir müssen etwas Neues erfinden.“ Es sei vollkommen in Ordnung, wenn wir mehr verbrauchten, unter der Voraussetzung, dass die Welt das aushalte. Suffizienz entstehe nicht durch den erhobenen Zeigefinger, sondern resultiere aus der Gesamtmenge dessen, was insgesamt noch möglich sei: „Die Energie, die wir brauchen, muss umweltfreundlich sein und im Ergebnis die soziale Balance fördern. Wenn wir das nicht hinkriegen, sind wir mit Nachhaltigkeit nicht kompatibel.“

Die „Szenarien für ein zukunftsorientiertes Bauen“ stellte Prof. Clemens Deilmann vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden vor. Als Herausforderungen benannte Prof. Deilmann unter anderem die bis ins Jahr 2050 weiter zunehmende Siedlungs- und Verkehrsfläche bei gleichzeitig schrumpfender Siedlungsdichte. Er führte aus: „Bis 2040 müssen die Wohnflächen noch um 15 bis 20 Prozent wachsen, wohl wissend, dass danach ein Rückbauprogramm beginnen wird.“ Als weitere Erschwernis käme hinzu, dass nahezu die Hälfte aller Deutschen in Kleinstädten und ländlichen Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern wohnen würden und dass die Ein- und Zweifamilienhäuser in Deutschland allein 83 Prozent des Gebäudebestands ausmachten. Ist die Weiternutzung oder Wandelbarkeit eines Gebäudes nicht möglich, stellt sich unweigerlich die Frage der Weiterverwendung von Bauteilen und Baustoffen. Nicht überschätzen solle man laut Prof. Deilmann die Chancen der Recyclingmaterialbeimengung in neuen Produkten: „Auch wenn wir uns wirklich strecken und die Politik umsteuern würde, würden wir im Hochbau nicht über 20 Prozent Recyclingquote hinauskommen.“ Aktuell stünden wir bei einem Recyclinganteil von fünf bis sechs Prozent.

Wie bewertet man Nachhaltigkeit? Dieser Frage ging Michael Halstenberg, Rechtsanwalt und Ministerialdirektor a. D. aus Düsseldorf, in einem erfrischenden Vortrag nach. Sein Fazit: „Nachhaltigkeit ist vor allem eines: Das ist Ihre Haltung zu den Dingen, die Sie bewahren wollen. Baukultur ist auch eine Haltung. Fragen Sie sich immer: Ist das, was ich hier mache, von Dauer; wird sich dieses Bauwerk gegen seinen Abriss wehren, weil es so schön ist, weil es effizient ist und weil die Menschen darin wohnen wollen. Wenn Sie das erreichen, haben Sie etwas für die Nachhaltigkeit getan.“

Unter dem Titel „Erstnutzung, Umnutzung und Okkupation“ ordnete Prof. Dr. Stephan Trüby, Professur für Architektur und Kulturtheorie an der TU München, schließlich die Auswirkungen eines ökologischen Wandels in einen architekturtheoretischen Kontext ein und beschrieb die Architektur als „performative Praxis“, also als beschreibend und vollziehend zugleich. Der Wissenschaftler zeigte auf, warum es kein architekturtypologisches Denken ohne Nutzungshorizont geben kann.

Bevor es im Schlosspark zum Architektenfest mit Buffet sowie Musik von Dave Daniel & Friends überging, wurden viele der Anregungen im Rahmen eines unterhaltsamen und informativen Podiums mit Vertretern nahezu aller Architektur-Hochschulen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen lebhaft diskutiert. Teil der illustren Runde, in deren Rahmen durchaus auch streitbare Positionen ausgetauscht wurden, waren neben Barbara Ettinger-Brinckmann und dem Präsidenten der Stiftung Baukultur Thüringen Prof. Dr. Gerd Zimmermann auch Prof. Rolf Gruber von der Fachhochschule Erfurt, Prof. Bernd Rudolf von der Bauhaus-Universität Weimar, Prof. Axel Teichert von der Hochschule Anhalt in Dessau-Roßlau sowie Prof. Ulrich Vetter von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig.

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Alle Fotos von Robert Schwabe, Weimar

WEITERE IMPRESSIONEN UND MITSCHNITTE VON VORTRÄGEN:
www.architekten-thueringen.de/architektentag/mat2016/

veröffentlicht am 23.09.2016 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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