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Neu: das Erfurter Severi-Viertel

Studierende der FH Erfurt entwarfen Modelle zur Domplatzbebauung

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Modelle zur Domplatzbebauung, Bild: Prof. Joachim Deckert

Text: Prof. Joachim Deckert

Es sah aus, wie die anderen Viertel der Erfurter Altstadt: Schmale, holprig gepflasterte, verwinkelte Gassen trafen auf breitere, an deren Ende man einen Kirchturm erblicken konnte. Kleine Aufweitungen öffneten unvermittelt den Blick und erleichterten die Orientierung. Und das in bester Lage, dem Zentrum der Stadt, direkt neben dem Domplatz mit dem einmaligen Kirchen-Duo und der gigantischen Freitreppe, die dazwischen auf den Hügel führt. Straßennamen erinnerten an die Berufsgruppen, die sich hier angesiedelt hatten: „An den Fleischbänken“, „Salzhäuser“, … oder an örtliche Begebenheiten: das „Fallloch“ markiert eine alte Wasserstelle dort, wo es heute in die Tiefgarage geht. Die Marktstraße mündete hier in die Fingerlingsgasse und führte direkt zum Lauentor und dem Petersberg.

Das Alles war bis 1813 in Erfurt zu erleben. Napoleon hatte die Macht in der Stadt übernommen, ganze acht Jahre war Erfurt französisch. Dann belagerten die Alliierten aus Preußen und Russland die Stadt. Schließlich beschossen sie das Zentrum mit Artillerie. Das Severi-Viertel brannte nieder. Die Preußen sahen gewohnheitsgemäß einen Nutzen im neuen Aufmarschplatz. Das alte Viertel wurde nicht wieder aufgebaut.

Ab den 1920er Jahren gab es immer wieder Bestrebungen, die Nordhälfte des Platzes zu bebauen, mal mehr, mal weniger kleinmaßstäblich. Bisher ohne Erfolg. Der Domplatz ist nach wie vor städtebaulich ungelöst, der Stadtraum zerfließt nach Norden, das großartige Kirchenensemble steht am Rande einer riesigen, steinernen Fläche, die Fachleute grübeln lässt.

Während man in Frankfurt am Main gerade die „neue Altstadt“ zu Füßen des Domes eingeweiht hat, die sich eher rückwärtsgewandt präsentiert, entstehen in Erfurt studentische Entwürfe, die sich einer Auferstehung des Severi-Viertels widmen. Anders als in Frankfurt, wo mehr oder weniger strikt nach historischen Vorbildern gebaut wurde und die Folgen des Krieges weggewischt wurden, planen die Studierenden der Erfurter Fakultät für Architektur und Stadtplanung überwiegend zeitgemäß.

Die städtebauliche Struktur wurde aus historischen Plänen neu interpretiert, alte Straßennamen wieder verwendet, Bezüge wieder hergestellt. Zu planen waren Wohnhäuser auf unterschiedlichen Parzellen, die zugelost wurden. Für die Erdgeschosszone konnte eine gewerbliche Nutzung vorgesehen werden. Weitere Vorgaben gab es nur, was die maximale Höhe anging. Mit 15 Metern orientierte die sich an der umgebenden Bebauung.

Entstanden sind 77 sehr individuelle, unterschiedlich große Häuser, die den Beweis antreten, dass nicht das Nachäffen von Geschichte, sondern die Größe der Parzelle und die Vielfalt der Häuser den Maßstab erzeugen, der die Qualität von Altstädten prägt. Der Griff in die Trickkiste vergangener Zeiten ist dafür überflüssig.

Gezeigt wurden die Modelle zum Severi-Viertel im Juli 2018 im studentischen „Werkraum“, einer Ausstellung im alten Heizwerk am Brühl, Maximilian-Welsch-Straße 5.


Prof. Joachim Deckert, Dipl.-Ing. Architekt BDA, 20.08.2018

veröffentlicht am 28.08.2018 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News

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