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Umbau und Umprogrammierung des Eiermannbaus Apolda zur Open Factory · Apolda

Internationale Bauausstellung Thüringen GmbH, Apolda

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Projektbeschreibung

Leere Architekturikone wird zur Open Factory:
der Eiermannbaus Apolda als Beispiel einer neuen Umbaukultur

Die zwischen Jena und Weimar gelegene Kreisstadt Apolda war über Jahrzehnte ein wichtiger Produktionsstandort, nur wenige Arbeitsplätze in der Textilindustrie und dem Maschinenbau sind nach 1989/90 erhalten geblieben. Viele der Infrastrukturen, großflächige Industrieareale stehen bis heute leer. Dazu zählte auch eine ursprünglich vom Apoldaer Architekten Hermann Schneider errichtete Weberei, die 1938/39 nach den Plänen Egon Eiermanns für die Total KG und zur Feuerlöschgeräteproduktion erweitert wurde. Der damals noch unbekannte Architekt Eiermann setzte die funktionalen und ästhetischen Anforderungen seiner Zeit souverän und zugleich sensibel im Bestand um. Der Bestandsumbau im Stil der Moderne macht das Gebäude bis heute zu einem bedeutenden Denkmal. Ab 1994 wurde die Produktion von Feuerlöschgeräten nach und nach eingestellt und über 5.000 Quadratmeter Nutzfläche und ein zwei Hektar großes Grundstück standen leer - ein Leerstand von außergewöhnlicher baukultureller Qualität und in einer Stadt, die nur wenige Fahrminuten von den nachgefragten Thüringer Hochschulstädten Jena und Weimar entfernt liegt. Die damals fehlende Gebäudetechnik im Eiermannbau war sicherlich ein Grund, warum eine erfolgreiche Innutzungnahme des Gebäudes nicht gelang. Es ist aber auch Ausdruck der Nachfrageschwäche im StadtLand, dass trotz vielfältiger Anstrengungen und Investitionen zwischen 1994 und 2014 keine dauerhaften Nutzungen im Eiermannbau initiert werden konnten. Das Denkmal war so beispielhaft für viele hartnäckige Leerstände in ländlichen Räumen, bei denen die Mittel der klassischen Immo-bilienentwicklung versagen und für die neue Strategien gebraucht werden.

Das Projekt wurde im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Thüringen entwickelt. Unter dem Leitbild ›Open Factory‹ entwickelte die IBA Thüringen den Standort selbst. Eine offene Fabrik soll entstehen, eine kleinteilig organisierte gewerbli-che Gemeinschaft aus Werkstätten, Ateliers, Büros und wechselnden Veranstaltungsnutzer:innen. Die Umdeutung zur Open Factory wurde als lernender Prozess organisiert, kooperativ und kollektiv. Die Initialphase bis 2023 wird durch eine besondere Trägerschaft ermöglicht.

Ein generelles Ressourcenbewußtsein trägt die Projektentwicklung, die beispielgebend für eine neue Umbaukultur und das einfache und maßhaltige Bauen ist. Die Wertschätzung des Bestands als Ressource ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Im Zuge der Entwicklung des Eiermannbaus in Apolda haben wir eine zentrale Leitfrage definiert: „Wie wenig ist genug?“. Sie wurde längst Wegweiser für viele andere, heutige Bau- und Entwicklungstandards zu hinterfragen.

Zentrale Voraussetzung für die Projektentwicklung des Eiermannbaus war der Erwerb der Immobilie durch die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) im Dezember 2017. Im Jahr 2014 hatte sich die Stadt Apolda erfolgreich beim Projektaufruf der IBA Thüringen beworben, um zukunftsfähige Ideen für acht Brachen und Leerstandsareale zu entwickeln – ein Standort war der Eiermannbau. Die beiden Landesgesellschaften LEG und IBA arbeiten seitdem Hand in Hand, seit Januar 2018 geregelt in einem Staffelmietvertrag in Form einer Anhandgabe. Bis Ende 2023 ist die IBA Generalmieterin, programmatische Entwicklerin und Placemakerin des Projekts – alles Rollen, die weit über die üblichen Aufgaben einer Bauausstellung hinaus gehen. 2018 zog die IBA Thüringen GmbH von Weimar nach Apolda und begleitet seitdem die Transformation vor Ort. Das Kümmern vor Ort ist ein wichtiges Prinzip der schrittweisen Entwicklung. Die Kooperation von LEG und IBA ist modellhaft in Thüringen, hinterlässt aber auch ein Trägermodell für nach 2023, als belastbare Grundlage für die Verstetigung der Open Factory.

Der Förderbescheid im Bundesprogramm Nationale Projekte des Städtebaus erfolgte im März 2020, dafür bewarb sich die Stadt Apolda gemeinsam mit der LEG Thüringen und IBA Thüringen im Jahr 2018. Dank der Bundesfördermittel, Zuwendungen des Landes Thüringen und der Eigenmittel der drei beteiligten Partner war nicht nur der Umbau des Eiermannbaus zur Open Factory sondern eine ganzheitliche städtebauliche Entwicklung mit einer Gesamtivestitionen von rund 8,2 Mio Euro möglich. Auch weil investive und konzeptionelle Maßnahmen durch den Bund gefördert wurden, war dies ein idealer Rahmen für die ambitionierte IBA Projektentwicklung.

Die Entwicklung zur Open Factory basiert auf dem im ersten IBA Campus 2016 entwickelten Leitbild und einem anschließend erarbeiteten Finanzierungs- und Betreiberkonzept. Der vierzehntägige IBA Campus 2016, der in Kooperation mit der Wüstenrot Stiftung stattfinden konnte, war aber auch eine erste gemeinsame Probenutzung des Standortes - viele weitere Teilhabeformate folgten. So fand 2018 ein zweiter Campus als DesignBuild-Projekt statt. Die dabei entstandene, inspirierende Ausstattung nutzte 2019 das 40-tägige Kunstprojekt „Hotel Egon“ im Eiermannbau, das über 300 Übernach-tungsgäste anzog. Auch das ersten Corona-Jahr 2020 sollte die kollektive Aneignung des Standortes nicht ausbremsen, also stellte die IBA verschiedene Bereiche im Eiermannbau und auf der Freifläche mietfrei zur Verfügung. Die Open Factory erlebte so ihre Generalprobe: Von Juni bis November arbeiteten insgesamt 188 Beteiligte im Eiermannbau, eröffneten auch Ausstellungen, gaben Konzerte und luden hunderte Gäste ein. Es war der Beweis, das die Architekturikone ein großartiger und passender Ort für die Kunst und nachhaltige Produktion ist. Auch an der folgenden Planungs- und Umbauphase waren viele beteiligt, so wurde das Freiflächenkonzept gemeinsam mit ersten Pioniernutzer:innen entwickelt, Studierende und Apoldaer Schüler:innen waren unmittelbar am Umbau des Eiermannbaus beteiligt.

Verwoben mit der kollektiven Aneignung fand ein schrittweiser Ausbau des Eiermannbaus statt. Der kollektive Lernprozess brachte die Talente des Gebäudes mit den Bedarfen der Nutzer:innen der Open Factory in Übereinstimmung. 2018 entwarfen die Architekt:innen des IBA Teams zuerst eine Pilotfläche, ein Ausbaukonzept für lediglich 750 Quadratmeter im zweiten Obergeschoss, die seither als IBA Büro und als eine Art Showroom fungieren. Die Herausforderung bestand darin, die einfachverglasten Räume mit einfachen Mitteln ganzjährig nutzbar zu machen und zugleich den Denkmalanforderungen und der Ästhetik der Moderne gerecht zu werden. Es ging um ein kreatives Unterlassen, nicht als Einschränkung der Nutzungsqualität, sondern um Nutzungen in dem nachfrageschwachen Kontext überhaupt wieder zu aktivieren. Und so wurde eine besondere Haus-in-Haus-Lösung entwickelt: 15 kleine Industrie-Gewächshäuser auf Holzsockeln wurden als Büros eingebaut. Die bisher fehlende Gebäudetechnik wurde auf zentralen Trassen realisiert, so bleiben die Flächen nutzungsneutral. Zur Temperierung der Hallen wurden Deckenstrahlplatten installiert, die Temperatur in den Gewächshäusern wird durch Infrarotheizkörper individuell gesteuert. Es ist ein low-tech-Konzept, das auch auf organisatorische Lösungen, wie Querlüftung und Nachtabkühlung setzt. Das Heizkonzept basiert auf dem temperierten Makroklima der Hallen von maximal 15 Grad und dem Mikroklima in den Gewächshäusern. Der Ausbau wurde in großen Teilen durch ein studentisches Bauteam realisiert und die Gewächshaus-Lösung ist als Open Source online frei zugänglich. Der Pilotausbau erlaubte Erfahrungswerte zu sammeln und Interessierte zu akquierien. 2022 und 2023 folgte dann der Gesamtausbau des Eiermannbaus und die baulichen Vorbereitungen für die zukünftige Entwicklung der Freifläche. Die minimalivasive Umbaustrategie basiert auf rückbaubaren und erneuerbaren Eingriffen und dem Reparieren und Pflegen des Vorhandenen. Auch Eiermanns respektvolles Weiterbauen ist Vorbild dafür. Lediglich 350 Euro/m2 Bruttogeschossfläche wurden letztendlich in den Gesamtausbau investiert.

Ein 2021 erarbeitetes Ressourcenschutzkonzept dient der Gesamtentwicklung dabei als Kursbuch für einen konsequent nachhaltigen Weg. Es richtet sich an die Projektbeteiligten der Open Factory, vom Eigentümer bis zu den Nutzer:innen, und formuliert die Vision für ein sozial-ökologisches Miteinander für den Standort. Denkanstösse zeigen, wie weitere Entwicklungen und der Betrieb der Open Factory innerhalb planetarer Grenzen möglich ist. Das Freiflächenkonzept samt Rahmenplan dient der zukünftigen Entwicklung der zwei Hektar großen Fläche am Eiermannbau. Hier hat sich in den letzten Jahren ein wertvoller Artenreichtum entwickelt, der zum Ausgangspunkt für die Entwicklung der gewerblichen Baufläche wird. Auch diese beiden Konzepte setzten neue Maßstäbe für eine nachhaltige, auch landschaftsbezogene Entwicklung mit einer hohen Verbindlichkeit der Umwelt gegenüber. Der minimalinvasive Umbau des Eiermannbaus selbst gilt schon heute deutschlandweit als Best Practice Beispiel für eine neue Umbaukultur.

Nach vielen Jahren der gemeinsamen Aktivierung ist die Open Factory nun nicht mehr nur ein Konzept, sondern Wirklichkeit. Sie ist ein Ort zum Arbeiten, Vernetzen und Veranstalten geworden – ein Experimentierraum dazu. Die ersten Mieter:innen nach dem Gesamtausbau sind im Dezember 2022 sind eingezogen und die Nachfrage steigt. Start-ups, Unternehmen und Initiativen, Künstler:innen und Forscher:innen sind eingeladen, sich diesen inspirierenden Ort in Apolda anzueignen und ihn gemeinsam weiter zu entwickeln.

Projektdaten

Adresse

Auenstraße 11
99510 Apolda

Planungsbüro

Internationale Bauausstellung Thüringen GmbH, Apolda

Bauherr

Internationale Bauausstellung Thüringen GmbH

Fertigstellung

März 2023

Nutzfläche

5.127 m2

Preise/Auszeichnungen

DAM Preis 2020 (Nominierung)

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Letzte Aktualisierung dieser Seite am: 22.11.2023. Alle Angaben auf dieser Seite werden durch das Büro Internationale Bauausstellung Thüringen GmbH, Apolda auf freiwilliger Basis verwaltet. Das Büro ist für den Inhalt dieser Seite selbst verantwortlich. Die Angaben werden von der Architektenkammer Thüringen nicht geprüft.

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