Der eigene Garten: ein charaktervoller Freiraum!
Ein Interview mit Landschaftsarchitekt Dr.-Ing. Erhard Kister
Herr Dr. Kister, Sie sind Ehrenmitglied des bdla, wurden für Ihre Verdienste um die Landschaftsarchitektur, den Berufsstand und den bdla in den neuen Bundesländern geehrt. Sie beobachten seit geraumer Zeit einen „Kulturverlust“. Demnach spielt die Gartengestaltung bei der Planung vieler Wohnhäuser immer seltener eine Rolle. Können Sie Beispiele nennen?
So merkwürdig es klingen mag, bei aller Materialvielfalt und spezialisiertem Technikeinsatz bleibt das gestalterische Niveau leider oftmals weit hinter der zu erwartenden Qualität zurück. Viele Bauherrn lassen sich vom Erscheinungsbild der einzelnen Bauelemente blenden, sie bemerken zu spät, dass das Zusammenspiel der toten und lebendigen Einsatzmittel nicht funktioniert und das alle zusammen nicht zum Haus mit seinem Erscheinungsbild passen wollen, also stilistischen Prinzipien widersprechen. Geradezu extrem stehen oft die Einfriedungen benachbarter Grundstücke zueinander, obwohl sie bei den meisten kleinen Grundstücken gleichzeitig die wichtigen Gartengestaltungselemente abgeben. Der neue Ringelberg liefert beinahe lehrbuchmäßig Beispiele dafür, was hätte vermieden werden können: Holz gegen Drahtzaun gegen Mauersteine unterschiedlichster Höhe – vom peinlichen Nebeneinander von Carports und Garagen gar nicht zu reden. Die Baumassenverteilung wird nach fünf Jahren vom heranwachsenden Grün verschluckt worden sein; ohne bauliche Dominante sind dann die grünen Schneisen und die Straßenbahngleise die einzige Orientierungshilfe.
Welche Qualitäten gehen verloren?
Man hat den Eindruck, dass die Honorarorientierung dazu führt, dass Beratungen der Bauherren durch den Architekten ausschließlich der Preisminimierung dienen. Dass gerade der Garten am Haus als unübersehbares Kulturobjekt wirkt, wird mit „dem bisschen Grün“ abgetan, das später immer noch nachgeholt werden kann. Bauträgergesellschaften und Baumärkte wirken vereint in die gleiche, falsche Richtung. Die alten Weisheiten, dass weniger oft mehr ist, und dass sich die Meisterschaft erst in der Zurückhaltung zeigt, sind anscheinend vergessen.
War das früher anders?
Wenn man damit die DDR-Zeit meint, war beinahe jede „Grüngestaltung“ in Wohngebieten zugleich öffentliches Grün. Einfriedungen waren verpönt, als nobler Ausweg gegen das Querbeetlaufen wurden seit den 1970er Jahren die Schiefelbeinschen raumplastischen Betonelemente eingesetzt, die, richtig verwendet, zeitlos erschienen. Der Drang zum privaten Garten wurde mit Hinweis auf die kontrollierten Kleingartenvereine abgetan. Aus hygienischer Sicht und für die Aufsichtsführung waren Schulen und Kindergärten eingefriedet. Der Gartenarchitekt wurde gleichberechtigt in den Vorplanungsprozess einbezogen.
Welchen Stellenwert nimmt der Privatgarten heute ein?
Bei Bauherren steht er ungebrochen hoch im Kurs. Bei leitenden Architekten und Bauträgern ist er zu oft und zu Unrecht das fünfte Rad am Wagen. Schlecht gestaltet bewirkt er im Wiederverkaufsfall schlechte Verkehrswerte, besonders bei Versteigerungen. Für Touristen und Besucher ist besonders der Vorgarten eine wichtige Visitenkarte. Leider sehen viele Bürger im mittleren Alter den Garten am Haus als zusätzliche Arbeitsaufgabe, die man nur deswegen leistet, damit die Familie nicht in die Kritik gerät.
Wie kann die Bedeutung des Privatgartens wieder zunehmen?
Durch Vorbildung der Bauherrenfamilien, durch fairen Wettbewerb und auch Beratung unter den Nachbarn. In Thüringen wirken sich die „Open Gardens“ immer positiver aus. Die Ausprägung und das Interesse der gesamten Gesellschaft sollte nach englischem Vorbild stärker vom Auto weg zum Hausgarten gelenkt werden. Das Nachhaltigkeits- und Ökologiedenken spielt im Hausgarten eine untergeordnete Rolle – global gesehen. Von langer Lebensdauer sollte aber auch der Hausgarten sein, die normative Nutzungszeit eines Wohnhauses kann er aber nicht erreichen. Zwölf bis 40 Jahre bei regelmäßiger Pflege sind kalkulierbar, eine sensible Gartenpflege unter Anleitung eines Landschaftsarchitekten vorausgesetzt.
Was ist in der Ausbildung von Landschaftsarchitekten zu berücksichtigen?
Bei aller Breitenausbildung muss der Hausgarten wieder den angemessenen Stellenwert im Lehrplan erhalten. Gartendesign und handwerkliche Grundsätze (Werkbund) bleiben das wesentliche Handwerkszeug für den Landschaftsarchitekten, der früher Gartenarchitekt hieß. Und er muss sich bewusst sein, dass er nicht alles selbst können muss, genau wie der Architekt, aber er wird derjenige bleiben, auf den sich die ganze Baugilde mit ihren biologischen und bodenkundlichen Fragen verlassen kann.
Den eigenen Garten kann man nicht wie einen Teppich nachträglich kaufen und über bereits vorhandene Flächen ausbreiten. Warum muss die Gartengestaltung schon zu Beginn einer Planung Berücksichtigung finden?
Die Infrastruktur, der Bodenmassenausgleich im Wohngebiet, die Bodenmodellierung auf dem Grundstück, also die Beherrschung der schiefen Ebene und der Waagerechten, die Grundstücksentwässerung, nicht zuletzt der gezielte Kulturbodeneinsatz sind kaum noch im Nachhinein zu regulieren bzw. kostensparend einzusetzen.
Die Baukosten steigen mitunter schleichend während eines Bauprozesses. Zum Schluss ist oft kein Geld mehr für den Garten da. Was empfehlen Sie, wie viel Prozent der Baukosten sind für die Gartengestaltung einzuplanen?
Auf keinen Fall ist es mit drei bis fünf Prozent der Bausumme wie im komplexen Wohnungsbau der DDR getan. Realistischer sind fünf bis zehn Prozent. Hang- und Eckgrundstücke sind teurer. Den Ausschlag geben dabei unbestritten die Materialqualität (Natur- oder Werkstein) und handwerkliche Verarbeitung. Für die Pflanzungen hat man besonders weite Preisspannen einzukalkulieren.
Wenn ein Grundstück sehr klein ist, worauf muss bei der Gartenplanung geachtet werden?
Der Mensch bleibt auch hier das Maß aller Dinge. Man kann den Garten nicht verkleinern wie ein Uhrwerk! Es sind Prioritäten zu setzen. Im kleinsten Garten werden die Baumaterialauswahl und ihre handwerkliche Verarbeitung sehr wichtig. Die zu erwartende Dimension und die Schnelligkeit des Pflanzenwachstums werden zum ausschlaggebenden Kriterium. Rasenflächen sollte man sich prinzipiell verkneifen, groß werdende Bäume auch. Der Gehölzschnitt wird zur entscheidenden Frage. Mit wechselnder Sommerblumenbepflanzung und wechselnden Gräsern können herrliche Gärten gestaltet werden.
Lassen sich mit Grüngestaltung Mängel im Zuschnitt des Grundstücks beheben?
Wenn man die Gestaltungsprinzipien z. B. nach Hans Schiller 1952 beachtet und die Gehölze und Kleinarchitekturen des Nachbarn mit in den Entwurf einbezieht, lassen sich oft Weiträumigkeit und Raumtiefe vortäuschen, für die man gar nicht bezahlt hat. Schwierige Flächenzuschnitte ergeben oft die interessantesten Gartenentwürfe.
Wie kann man einen Garten kostengünstig und pflegeleicht anlegen und dieser trotzdem Ausdruck der Persönlichkeit sein?
Zunächst sollte sich der Bauherr selbst als Persönlichkeit begreifen. Danach erst kann der Garten als charaktervoller Freiraum entstehen. Hier gilt ganz entschieden: In der Gestaltung ist das Billige nicht das Beste. Bei kleinen Grundstücken ist der Rasen überhaupt nicht pflegeleicht. Bodendeckstauden sind pflegeleichter und charaktervoller! Sogenannter Stäudchenrasen und Kleinblumenzwiebelflächen vor Gehölzen verbreiten ihr eigenes Flair und sind in der Anschaffung nicht teuer. Ihre Verbreitung vollzieht sich ohne unser Zutun, es braucht nur Geduld.
Gibt es gesellschaftliche Tendenzen, die ein Mehr an Grün einfordern?
Da bin ich mir nicht sicher. Glückliche Menschen wohnen auch in dicht bebauten Innenstädten. Im Hinblick auf die berüchtigte Bodenversiegelung möchte man gerne eine gegenläufige Tendenz herausfordern. Das können auch Siedlungsgebiete sein. Alte Reihenhausgebiete haben eine sehr intensive Pflanzenausstattung. Dachbegrünungen und modernes Fassadengrün tragen ein Übriges dazu bei. Baulückenbegrünungen sind als Interimslösungen vor allem eine optische Hilfe. Die Arbeiten der Naturschutzverbände, der Forstwirtschaftsbetriebe, aber auch der Kleingartenkolonien wirken tendenziell als nachhaltige Begrünungsmaßnahmen. Unsere Gärten haben da eher symbolische Bedeutung. Weil sie global gesehen viel zu klein sind, um ökologisch wirksam zu sein. Umso höher ist jedoch ihre Vorbildwirkung einzuschätzen.
Interview: Björn Radermacher