„Restlos überreguliert“
Nachlese zur Fenstertagung am 16. September
Das Angebot an Fenstern wird immer vielfältiger, die Konstruktionen komplexer und die Regularien restriktiver. Dabei wird unter dem Schlagwort der Energieeinsparung der Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert) der Fensterkonstruktion zum wichtigsten Kriterium bei der Bewerbung von Bauherren. Dreifachverglasung scheint unumgänglich beim Einbau neuer Fenster oder bei der Erneuerung. Ist das so? Dieser Frage gingen die Referenten der Fenstertagung 2015 in Weimar-Legefeld nach.
„Die (bewusste) Verunsicherung der Gebäudeplaner und Bauherren“ war der eingehende Vortrag von Dr. Lutz Krause überschrieben. Humorvoll führte der Weimarer Architekt in das Thema ein, veranschaulichte in einem kurzen Ritt durch die Geschichte die dynamische Entwicklung des Fensters, die vielen Vorschriften, die sich nach und nach ergeben haben, und – natürlich auch – die damit verbundenen Probleme.
Die Vielzahl der gefallenen Begriffe rückte anschließend Carsten Taig, Geschäftsführer der Firma Wertbau, ins rechte Licht: Konkret erläuterte er neben dem U-Wert weitere wichtige Eigenschaften wie den Energiedurchlassgrad (g-Wert), die Lichtdurchlässigkeit (TL-Wert) oder den Farbwiedergabeindex (Ra-Wert), die allesamt bei der Planung und Auswahl der Fenster zu berücksichtigen seien. Er zeigte auf, wie sich diese Fenstereigenschaften verändern bzw. verschlechtern, je nachdem, wie viele Verglasungen in das Fenster eingebaut sind. Und auch wenn die Industrie hier mit besseren Beschichtungen bereits entgegensteuert: Klar wurde, dass die Dreifachverglasung trotz der hohen Dämmwerte durchaus auch beträchtliche Nachteile haben kann.
Den funktionalen Auswirkungen der technischen Parameter auf Heizkosten, Temperaturverhalten, Luftqualität, Schallschutz und natürlicher Belichtung widmete sich Uwe Gronau, Bauphysiker aus Weimar. Er sensibilisierte dafür, dass jede Verglasung über andere optische und schalltechnische Eigenschaften verfüge, einige davon auch subjektiv wahrnehmbar seien. Mit Blick auf die Heizkosten konstatierte er, dass die Auswirkungen geringer Unterschiede von U- und g-Werten überschätzt und in gesetzlichen Regularien wie der EnEV überbewertet würden. Die vielen Vorschriften würden der Einzelfallprüfung nicht gerecht. Gronau folgerte: „Wir sind restlos überreguliert.“
Inwieweit wir von Normen abweichen können und wollen, diese Frage stellte Thomas Wittenberg, Vizepräsident der Architektenkammer Thüringen, gleich zu Beginn der Veranstaltung. Aus aktuellem Anlass, dem derzeitigen Dauerthema der Flüchtlingsunterbringung, spannte er den Bogen weiter: Durch den Druck, zügig Unterbringungsmöglichkeiten schaffen zu müssen, stehe auch die Einhaltung bestimmter Regelwerke zur Diskussion. Dies biete die Chance für ein generelles Umdenken. Insbesondere im Wohnungsbau bestehe seit Langem der zunehmende Bedarf an bezahlbarem Wohnraum.
Im kommenden Jahr geht die Fenstertagung in ihre zehnte Auflage. Mit welchem Schwerpunkt, ist noch offen. Vorschläge werden wieder gerne entgegengenommen.