Endlich Qualität statt Quantität im Stadtumbau!
Artikel aus "Die Wohnungswirtschaft" Autor Michael Beier, Geschäftsführer Architektenkammer Thüringen
Die allerorts wahrnehmbaren Veränderungen in der Wirtschaftsdynamik und in den demografischen Entwicklungen in den neuen Ländern haben in diesen Bundesländern, den Kommunen, den Wohnungsgesellschaften und Woh-nungsgenossenschaften sowie bei Kammern und Verbänden ein deutliches Umdenken zur Folge gehabt.
Der Osten schrumpft in seinen Regionen, Städten und im Ländlichen Raum. Verwerfungen und Perforierungen sind Alltag und bereits alltäglicher Sprachgebrauch. Wir leben mit einer Entschleunigung von Prozessen und Hoffnungen. Die Solidargemeinschaft im Osten zerbricht im Wettbewerb um Standorte und Ansiedlungen, um Infrastruktur und Förderschwerpunkte. Einem Gleichklang in der Entwicklung zu „Blühenden Landschaften“ kann nicht mehr hinter geweint werden, denn die Realität verträgt kein Tränenmeer. Die auf stetigem Wachstum basierende Gesellschaft wird sich die Minimierung an erhaltens-werter Substanz und den Verlust an gebauter und genutzter Umwelt als Ziele aneignen müssen.
Die Städte schrumpfen. Der Teppich rollt sich von außen nach innen wieder auf. Einmal gewolltes wird heute zur Brache, zum Schandfleck. Können wir wegsehen und warten auf eine neue Hoffnung für Teil 2 im Aufschwung Ost? Nein! Die Realität drängt und zwingt nach Lösungen.
Was lässt sich ihr gegenüber stellen? Wie lauten die Antworten? Was bleibt von der Europäischen Stadt im Osten? Welche Visionen entwickeln wir? Die Aufgabe Stadtumbau ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Eine öffentliche Kultur-Aufgabe!
Bis diese Erkenntnis allerorten griff wurde viel Zeit verschwendet. Erst der Bundeswettbewerb im letzten Jahr zum Stadtumbau Ost hat hier eine Kommunikationsplattform, ein mediales Interesse hervorgebracht, welches ein Verstecken der Verantwortlichkeiten und der Verantwortlichen hinter umfänglichen Masterplanungen nur noch schwer ermöglichte. Die Art der Beteiligung der Bürger und die Einbeziehung der Betroffenen, der Nutzer widerspiegelt in jeder Kommune den Stellenwert des Stadtumbaus. Daran sollen sich die Woh-nungsunternehmen und die Vertreter der Kommunalen messen lassen. Der Bürger als Seismograph im Stadtumbau!
Stadtumbau heißt nunmehr die Suche nach Qualitäten, nach Verschiedenartigkeit, nach Individualismus. Das Primat hat die Qualität. Bedürfnisse entwickeln sich aus den Angeboten, wie es der Umbauprozess in der Südstadt von Leinefelde beweist. Hier wurden über mehrere Architektenwettbewerbe gestalterische Lösungen entwickelt, die heute eine vielbesuchte „Musterbaustelle Stadtumbau Ost“ hervorgebracht haben. Dieses Beispiel dokumentiert eindrucksvoll, dass auch mit finanziellen Minimum ein Maximum an Gestaltung und Anspruch möglich wird. Wer den Wandel in der Südstadt in den letzten zehn Jahren erlebt hat, ist sich gewiss, dass die Platte lebt, leben kann und wird! Für die Kommunen und Wohnungsunternehmen wurde ein beispielhaftes nachahmenswertes Modell Wirklichkeit: die Widerspiegelung des Qualitätsanspruches einer Kommune im fortlaufenden Stadtumbau. Erste Preise im Bundeswettbewerb Stadtumbau Ost, beim Bauherrenpreis und beim Deutschen Städtebaupreis 2003, zu dem wir sehr herzlich unseren Glückwunsch aussprechen möchten, sind auch dafür eine Anerkennung. Die internationale Resonanz auf das Beispiel Leinefelde-Südstadt ist ausgeprägter als das nationale Besucherinteresse der Fachöffentlichkeit. Auch hier wird Stadtmarketing und Architektur-Kommunikation zu einer Kulturaufgabe und Vermarktungsaufgabe werden. Wir müssen mit den Beispielen von Heute das Aufgabenfeld in den alten Bundesländern beim Stadtumbau West und in den EU-Beitrittsländern positiv aus dem Osten heraus jetzt besetzen. Eine Chance für den Osten, die es mit Erfahrungen und Innovationen zu ergreifen gilt. Viele der hier ansässigen Architekten, Stadtplaner und Land-schaftsarchitekten sind in diesem Prozess engagiert. Aber es gibt in vielen Orten auch eine gesunde Wechselwirkung zwischen dem unbefleckten Herangehen der westdeutschen Architekten, Stadtplaner und dem örtlichen Wahrnehmen von Befindlichkeiten und Eigenheiten, vom Liebgewordenen und bereits Tradiertem durch die Ortsansässigen.
Die Realität hat die Planungen aus dem Bundswettbewerb schneller überholt als erwartet. Die Schrumpfung und Perforierung, die Entvölkerung der Innenstädte, der Verlust der Urbanität in den Städten verläuft dramatisch. Deshalb wurde in Thüringen durch das Innenministerium ein Konzept entwickelt, dass sich genau mit den Wechselwirkungen zwischen der leeren Mitte, den Brachen und den Anlässen zum Umzug auf das Land, den Bedürfnissen nach Individualität und Eigentum für Familien auseinandersetzt. „Genial-Zentral“ – Unser Haus in der Stadt! heißt eine Antwort auf die Schrumpfung der Thüringer Städte.
15 Thüringer Kommunen werden hier bei der Aufwertung von innerstädtischen Brachen zu Wohneigentum unterstützt. Dazu sind bestehende Programme des Wohnungs- und Städtebaus gebündelt worden und als Vorrangförderung definiert. Gestärkt werden soll die Wohnfunktion und die Urbanität in den Stadtkernen. Allesamt sind diese Flächen städtebauliche Missstände. Die Kommunen selbst sind überwiegend typische Thüringer Kleinstädte, wie Altenburg, Bad Langensalza, Greiz, Mühlhausen, Schmalkalden, Weimar oder Sömmerda, um nur einige zu nennen. Verdichtet und stabilisiert wird mit diesem Pilotprojekt auch die gewachsene Stadtstruktur. Ziele der Projekte sind vor allem die „Stadt der kurzen Wege“ und das Flächenrecycling. Natürlich stößt man dabei auf Hemmnisse: überteuerte Grundstückspreise, Umwelt-Altlasten, Eigentumsansprüche, eine kostspieligere Bebauung als auf der grünen Wiese außerhalb.
In den nächsten drei Jahren soll diese Initiative umgesetzt sein. Sömmerda begann als erste Kommune mit einem städtebaulichen Ideen- und Realisierungswettbewerb für den Bürgergarten. Die Jury beurteilte zur Arbeit der ersten Preisträger, das Architekturbüro Schettler&Wittenberg, Weimar, den Stadtplaner Ingo Quaas, Weimar und den Landschaftsarchitekten Wolfram Stock, Jena, die als zwingend vorgegebene Arbeitsgemeinschaft von Architekten, Stadtplanern und Landschaftsarchitekten am Wettbewerb teilgenommen haben, dass sie auf den heutigen Anforderungen an Wohn- und Nutzungsanforderungen sowie eine neue Individualität angemessen reagiert hat. Die städ-tebauliche Neuordnung mit Bezug auf die historische Grundstücksstruktur zeichnete diese Arbeit aus. Dort liegen auch die Antworten für den Umgang mit der Europäischen Stadt als Kleinstadt: der angemessene Umgang mit den historischen städtebaulichen Strukturen, dem Stadtbild, dem Wiederaufspüren der Kleinteiligkeit, einschließlich wohlproportionierter Freiraumkategorien. Bad Langensalza folgt nun mit der Wettbewerbsaufgabe für den Neubau von Stadthäusern im Umfeld der historischen Stadtmauer. Jede Kommune wird nach einer eigenen Entwurfslösung suchen müssen. Eines ist aber allen gemeinsam: die Vielfalt an Ideen und Konzepten in einem Architektenwettbewerb schafft Qualitäten, Optimierungen in Städtebau, Architektur und Freianlagen sowie eine durch nichts zu ersetzende Vergleichbarkeit in der Wirtschaftlichkeit der Angebote seitens der Architekten und Stadtplaner. Architektenwettbewerbe sind bei der Suche nach Qualitäten und Visionen für den Stadtumbau Ost, West oder Osteuropa ein anerkanntes und bewährtes Mittel zum Planungs- und Leistungsvergleich! Sie geben Antworten auf die Zukunftsfähigkeit der Städte.
Dazu bedarf aber eines nachhaltigen, dauerhaften Fundamentes der Verlässlichkeit in der Politik, der Absicherung der Finanzierung auf allen sechs Ebenen: Bund, Land, Kommune, Wohnungseigentümer, Ver- und Entsorgungsbetriebe sowie Mieter. Es bedarf einer Nachhaltigkeit in der Wirtschaftsstruktur, der Infrastruktur in den neuen Ländern. Der Stadtumbau muss in allen Ebenen finanzierbar sein. Dem unterzuordnen und dem Stadtumbau Ost und West gleichermaßen anzupassen ist das Baugesetzbuch mit seiner geplanten Novelle in 2004, das Altschuldenhilfegesetz und die Befreiung der Wohnungsunternehmen von der Grunderwerbssteuer bei Fusionen zum Erhalt der Strukturen und Mietermarktes in den größeren Kommunen, die Umsetzung einer Gemeindefinanzreform mit dauerhaft positiven Mehreinnahmen für die Kommunen, die Einbringung von Teilen der Einsparungen an der Eigenheimzulage auf Bundes.- und Landesebene in die Innenstadtförderung bei der Sanierung und Modernisierung, die bundesweit einheiltliche Förderung von Wohneigentumsbildung, um weitere Abwanderungen zu verhindern, die Entlastung der kommunalen Unternehmen und Bürger für die Anpassung der Infrastrukturen und die frühzeitige Bürgerbeteiligung als Motivation für die Betroffenen. Der Stadtumbau Ost kann einen Ruck durch (Ost)Deutschland bringen, wie ihn der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog schon lang einfordert.
Qualität statt Quantität heißt eine der Antworten, um die Zukunft positiv zu gestalten.