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„Es gilt, unseren Berufsstand zukunftsorientiert zu positionieren.“

Vizepräsidentin Heike Roos über die Elementarschadenskampagne des Freistaates Thüringen

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Heike Roos, Bild: Lars-Holger Roos

Die Architektenkammer Thüringen ist Partnerin der Elementarschadenskampagne des Freistaates Thüringen; im Beirat wird sie durch Heike Roos vertreten.

Interview: Björn Radermacher

Frau Roos, was verbirgt sich hinter der etwas sperrig klingenden Kampagne „Thüringen wappnet sich gegen Hochwasser und andere Naturgefahren“?
Heike Roos: Es geht darum, den Bürger für Naturgefahren zu sensibilisieren und vor allem aufzuklären, wie er sich und seinen Besitz schützen kann. Dabei geht es nicht nur um Aufklärung zur Versicherbarkeit von Immobilien und Liegenschaften, sondern auch um vorsorgende Planung und die Durchführung von Maßnahmen, wo auch Architekten und Ingenieure wichtige Beiträge leisten können. Es gilt, genau dies öffentlichkeitswirksam zu vermitteln sowie damit auch unseren Berufsstand aktiv vorbeugend und zukunftsorientiert zu positionieren. Deshalb sind wir als Kammer im Jahr 2014 der Berufung durch den Freistaat in den Beirat zur Elementarschadenskampagne Thüringen gefolgt. Wir setzen uns für vorsorgende Planung mit Augenmerk auf gezielte präventive Maßnahmen zum Schutz von Siedlungen, sozialen und technischen Infrastrukturen, Grundstücken und Gebäuden ein. In Thüringen sind neben dem Hochwasser auch folgende Naturgefahren relevant: Starkregen und Sturzfluten, Hagel, Sturm, Schneedruck, Erdfall und Erdsenkung, Hangrutschungen und Erdbeben.

Parallel zum Start der Kampagne wurde der Hochwasserpass eingeführt. Welche Angaben beinhaltet er und welche Vorteile bietet er den Eigentümern?
Mit dem Hochwasserpass können sich Hausbesitzer in ganz Deutschland ein Bild über ihr individuelles Überschwemmungsrisiko machen. Es wird der Ist-Zustand des Hauses bewertet, Risiken werden aufgezeigt und Maßnahmen zum Schutz initiiert. Dadurch können Schäden an Gebäuden und Grundstücken verringert oder vermieden werden.
Der Hochwasserpass kann für Wohngebäude und Gebäude für Kleingewerbe ausgestellt werden. Die Kernaussage des Hochwasserpasses – das Gefährdungspotenzial – wird in einem Farbschema dargestellt und in die Lastfälle Hochwasser, Starkregen und Sturzfluten sowie Kanalrückstau aufgeteilt. Der Hochwasserpass sensibilisiert die Hausbesitzer und nimmt ihr Wissen in Form einer Selbstauskunft über die Gefahrensituationen und über bereits getroffene bauliche Vorsorgemaßnahmen auf. Als zweiter Schritt erfolgt eine fachliche und standardisierte Auswertung in Form einer Kurzbewertung. Im dritten Schritt prüft der Sachkundige die Angabe auf Plausibilität und Richtigkeit und im Ergebnis des vierten Schritts bescheinigt der Sachkundige den Gefährdungsstatus und die eventuell getroffenen Schutzmaßnahmen.
Als mir zum ersten Mal der Hochwasserpass begegnete, kam mir sofort der Gedanke, dass er eigentlich so etwas wie der Energieausweis zu einem Gebäude ist. Er ist eine sachkundige Darstellung des Ist-Zustandes und weist Handlungsbedarf auf. Wichtig ist der Hochwasserpass beispielsweise bei Vermietung und Immobilienverkäufen. Damit hat der künftige Mieter oder Käufer einen klaren Überblick über die Gefahrensituationen. Als weiteren Vorteil für den Eigentümer sehe ich, dass er eine sachkundige Bewertung des Gefährdungsstatus seiner Immobilie und seines Grundstücks erhält und darauf aufbauend mögliche notwendige Maßnahmen ableiten kann – gemeinsam mit dem Planer seines Vertrauens.

Auch Architekten und Stadtplaner sollen den Hochwasserpass künftig ausstellen können. Wie können sie sich für die Ausstellung zertifizieren lassen?
Architekten und Stadtplaner sind prädestiniert, solche Gefahrenabschätzungen zu leisten. Diese Auseinandersetzung ist bei jedem Objekt zu Beginn einer Planung notwendig. Die Leistungen im Zusammenhang mit dem Hochwasserpass sind nach meinem Verständnis keine Grundleistungen der Leistungsphase 1, es sind eindeutig besondere gutachterliche Leistungen.
In Zusammenarbeit mit der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA), der Versicherungswirtschaft und dem HochwasserKompetenzCentrum e.V. (HKC) ist der Hochwasserpass eingeführt. In den Gremien der DWA wurden Prüfkriterien und ein Schulungskonzept für die Ausbildung der Sachkundigen entwickelt. Die DWA übernimmt die Kompetenz der Sachkundigen durch Schulungen, in denen Erkenntnisse vertieft und ausgebaut werden. Hier können sich Architekten und Stadtplaner die Zusatzqualifikation erwerben.

Der Beirat zur Kampagne plant aktuell die Veröffentlichung eines „Kompasses Naturgefahren Thüringen“. Welche Ziele werden damit verfolgt?
Der Kompass Naturgefahren wird ein für jeden Bürger frei zugängliches Internetportal sein. Er wurde von der Versicherungswirtschaft, vertreten durch den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, und bezüglich der Gefahr Hochwasser zunächst in Kooperation mit dem Freistaat Sachsen geschaffen. Anschließend erhielt er mit Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin weitere Partner. Thüringen arbeitet gegenwärtig intensiv an der Erstellung und es ist geplant, dass der Kompass Naturgefahren für Thüringen im Juli 2016 freigeschaltet wird.
Im Detail werden Geobasisdaten der Vermessungsverwaltung, Hochwasserdaten und weitere Daten der Umweltverwaltung und Risikodaten der Versicherungswirtschaft für den Kompass Naturgefahren verknüpft und gestatten dem Nutzer, das vom Hochwasser und anderen Naturereignissen ausgehende Gefährdungspotential objektbezogen einzuschätzen. Bei vorhandener Gefährdung kann der Nutzer weitere Informationen beziehen, um ausreichend Vorsorge zu treffen. Und das ist auch für uns Architekten und Stadtplaner interessant: Künftig werden wir mit nur wenigen Klicks sehr komfortabel viele Basisinformationen zu
unseren Planungsvorhaben haben.

Frau Roos, vielen Dank für das Gespräch.

Tipps zu baulichen und technischen Vorsorgemaßnahmen sowie zum richtigen Verhalten vor, während und nach einem Schadensereignis finden Sie auf der Website zur Kampagne: www.naturgefahren.thueringen.de

Weitere Informationen zum Hochwasserpass finden Sie unter: www.hochwasser-pass.com

veröffentlicht am 30.03.2016 von Björn Radermacher · Rubrik(en): Berufspraxis, News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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