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Klimawandelgerechte Transformation eines DDR-Typenhauses

Ergebnis des hochbaulichen und freiraumplanerischen Realisierungswettbewerbs

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Ein 2. Preis: VITAMINOFFICE ARCHITEKTEN BDA, Erfurt; plandrei Landschaftsarchitektur GmbH, Erfurt - Nordfassade, Bild: VITAMINOFFICE ARCHITEKTEN BDA, plandrei Landschaftsarchitektur GmbH

Die elfgeschossige Wohnscheibe Körnerstraße 9–10 in exponierter Lage am Kammweg ist im Stadtbild Erfurts weithin sichtbar. Mit dem Ziel, den Plattenbau modellhaft und beispielgebend zu modernisieren, lobte die Kommunale Wohnungsgesellschaft mbH Erfurt (KoWo) einen nichtoffenen Realisierungswettbewerb mit vorgeschaltetem, europaweit ausgeschriebenem Bewerbungsverfahren aus.

Gegenstand war die Erarbeitung von hochbaulichen und freiraumplanerischen Entwürfen zur Komplettierung des gestalterischen und funktionalen Gesamtkonzepts der klimawandelgerechten Transformation der Wohnscheibe. Die Wettbewerbsaufgabe umfasste die Gestaltung der Fassade, der neu zu konzipierenden Erschließungszone, der wohnungsbezogenen Freisitze, des Außenraumes sowie des geplanten dreigeschossigen Anbaus zur Einordnung ergänzender sozialer und gemeinschaftlicher Nutzungen. Es waren zudem Konzepte für die thermische Ertüchtigung des Bestandsgebäudes zu entwickeln. Die Freianlagen waren unter Berücksichtigung der Bestandsbäume, der Anforderungen der Nutzergruppen sowie der prognostizierten klimatischen Entwicklung neu zu gestalten.

Der Wettbewerb richtete sich an Architekt*innen und Landschaftsarchitekt*innen. Elf Arbeiten wurden zum Wettbewerb zugelassen; als Preisgeld standen 85.000 Euro (netto) zur Verfügung. Das Preisgericht unter Vorsitz von Silvia Schellenberg-Thaut vergab zwei zweite Preise sowie zwei Anerkennungen und empfahl der Ausloberin einstimmig, beide Preisträger zur Überarbeitung ihrer Wettbewerbsarbeiten aufzufordern.

Ergebnis

Ein 2. Preis (30.000,00 EUR):

  • VITAMINOFFICE ARCHITEKTEN BDA, Erfurt
    plandrei Landschaftsarchitektur GmbH, Erfurt

Ein 2. Preis (30.000,00 EUR):

  • Heide & von Beckerath Architekten PartG mbB., Berlin
    Atelier Miething, Paris

Anerkennungen (je 12.500,00 EUR):

  • CITYFÖRSTER, Rotterdam
    GREENBOX LANDSCHAFTSARCHITEKTEN, Köln
  • däschler architekten & ingenieure GmbH, Halle/Saale
    Landschaftsarchitekt Stefan Petrat, Halle/Saale

Beurteilungen des Preisgerichts

Zur Arbeit von Heide & von Beckerath Architekten PartG mbB. mit Atelier Miething:

Die Verfassenden schlagen vor, die entfallene Gebäudeachse des Einschnittes durch einen Anbau über die gesamte Höhe an der Ostseite zu kompensieren und im gleichen Duktus weiterzuführen. Dadurch entstehen gut proportionierte Baukörper und neue Räume für die AWO sowie ein zweigeschossiger Quartierstreff. Die städtebauliche Klarheit wird durch die Jury einerseits begrüßt, andererseits die entstehende Enge zu den benachbarten Wohnbauten sowie die Wirtschaftlichkeit durch das zusätzliche Volumen hinterfragt. Die neue Erschließung der Wohnscheiben erfolgt über vorgestellte Laubengänge im Norden, die durch die gewählte Stützenstellung gut in einen Gang und private, den Wohnungen zugeordnete Vorbereiche getrennt werden. Die Körnerstraße 10 wird mit dem klassischen Motiv eines vorgestellten Aufzuges ergänzt, der die sonst waagerechte Struktur spannend kontrastiert. Im Süden werden die Balkone durch eine Wintergarten-Ebene ersetzt, die sowohl als klimatischer Puffer wirksam wird als auch eine Wohnraumerweiterung ermöglicht. Mit großer Selbstverständlichkeit wird durch die eingesetzten Elemente ein gelungenes, neues Gesamtensemble mit Mehrwert für die Bewohner geschaffen. Das Haus strahlt eine neue Eleganz aus, ohne seine Vergangenheit zu negieren. Die neuen Fassadenelemente sollen vorfabriziert werden und als Baukastenlösung auf andere Objekte übertragbar sein. Der Materialeinsatz mit trennbaren und wiederverwendbaren Elementen wird begrüßt. Die Freifläche im Süden wird als naturnahe Grünfläche in ganzer Größe unversiegelt erhalten, könnte jedoch auch mit Nutzungen wie kleineren Sitz- und Spielbereichen ergänzt werden. Die Eingriffe in der nördlichen Freifläche sind weitgehend funktional, hier wäre im Zusammenhang mit den Eingangsbereichen eine stärkere Adressbildung in Bezug zu den beiden Wohnhäusern und der AWO wünschenswert. In den Wintergärten sind großzügige Pflanztröge für die Nutzung durch die Bewohner vorgesehen, auf der Nordseite wird eine Begrünung durch bodengebundene Fassadenbegrünung vorgeschlagen. Durch diesen Ansatz wird als guter und wirtschaftlicher Beitrag für die Integration von Vegetation im Fassadenbereich gewürdigt. Die Photovoltaiknutzung auf dem Dach sowie die gleichzeitige Ausbildung eines Retentionsdaches wird aus technischen Gründen hinterfragt. Die Jury hebt den konsequenten, architektonischen Umgang mit dem Bestand hervor, der langfristig einen Mehrwert für Stadt, Nachbarschaft und Bewohner erwarten lässt. Der Beitrag ist eine gute Lösung für eine nachhaltige Bestandsentwicklung, die übertragbar ist. Die Arbeit wird als überzeugende, angemessene und architektonische Antwort auf die gestellten Fragen zur Weiterentwicklung der Wohnscheibe im Kontext von konkretem Umfeld und Stadt gewürdigt.

Zur Arbeit von VITAMINOFFICE ARCHITEKTEN BDA mit plandrei Landschaftsarchitektur GmbH:

Die Arbeit entwickelt ihren Entwurfsansatz einer »allseitigen Umhüllung« des Gebäudebestandes aus einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Stadtraum. Sie unterscheidet dabei zwischen einem dreigeschossigen Sockel, der den Nahbereich adressierend, repräsentativ und relativ massiv ausgebildet ist und alle Sonderfunktionen aufnimmt sowie einer vielfach durchbrochenen Umhüllung der sich darüber erhebenden Wohngeschosse, die in ihrer Intention filigran gedacht und auf Fernwirkung ausgelegt ist. Auch wenn diese thematische Setzung insgesamt klar ablesbar ist, erscheint die Gestaltung der oberen Geschosse besser gelungen als die des in seinen Fassadenfluchten mehrfach verspringenden Sockels. Die Haupterschließung des Hauses wird konsequent und richtig im Bereich der neuen Fuge verortet. Von hier aus lassen sich mit Hilfe von zwei neuen Personenaufzügen alle Geschosse und Gebäudeteile direkt und barrierefrei erreichen. Daneben können alle im Bestand zu erhaltenden Treppenräume von Haus 9 von der nördlichen Erschließungszone aus auch einzeln angesteuert werden, ohne dass im Bereich der Nebeneingänge eine explizite Adressbildung erfolgt / erfolgen soll. Die Gestaltung der Freiflächen überzeugt durch eine insgesamt minimierte Flächenversiegelung ebenso wie durch die gut zonierten, private, halböffentliche und öffentliche Freiräume miteinander kombinierenden Nutzungsangeboten auf der Südseite in Richtung Kammweg. Bei der Durcharbeitung der neuen Hülle unterscheiden die Verfasser konsequent und nachvollziehbar zwischen einer, Distanz und Privatsphäre gewährleistenden, Erschließungsschicht auf der Nordseite und einer stärker verdichteten Balkon-/Loggien-Schicht auf der Südseite. Es bliebe zu wünschen, dass die vorgeschlagenen individualisierbaren Vorzonen im Bereich der nördlichen Erschließungsschicht in ihrer Qualität von den Nutzern des Hauses auch tatsächlich erkannt und entsprechend dauerhaft gehegt und gepflegt werden würde. Während auch die innere Erschließung der Mietwohnungen, den konzeptionellen Vorgaben folgend, gut organisiert ist, weist die innere Organisation der AWO-Wohngruppen aufgrund ihrer Mittelgangerschließung, welche die notwendigen Treppenräume querend, aktuell erhebliche Mängel auf. Hier wären im Falle einer Realisierung Nachbesserungen zwingend erforderlich. Konstruktion und Materialwahl der neuen Hülle sind angemessen gewählt und erfüllen auch die wesentlichen Anforderungen des Brandschutzes und der Tragwerksplanung. Auch unter Würdigung der nicht vollständig gelungenen Gestaltung der Sockelzone und der funktionalen Schwächen im Bereich der Senioreneinrichtung stellt die Arbeit einen gelungenen, für den Wettbewerb insgesamt wichtigen Beitrag dar, welcher auch der herausgehobenen Zielstellung des Verfahrens gerecht zu werden verspricht.

Nach Abschluss des Wettbewerbs wurden die Anmerkungen und Überarbeitungshinweise des Preisgerichts in Gesprächen an die Zweitplatzierten übermittelt und in einem darauffolgenden Workshop mit den KoWo-Fachbereichen und dem Ankermieter AWO ausführlich erörtert.

Nach einer sechswöchigen Überarbeitungsphase und einer finalen Präsentation fiel die Entscheidung der KoWo zugunsten des Entwurfs von VITAMINOFFICE ARCHITEKTEN BDA und plandrei Landschaftsarchitektur. Ausschlaggebend waren die überzeugende Umsetzung des Raumprogramms sowie die integrativen Bausteine für die Transformation, darunter die Fuge und der Ergänzungsneubau, die Erschließungszone und die Gestaltung der Balkone. Die besonders positiv bewerteten Freianlagen, die ein hohes Potenzial für soziale Interaktionen bieten, trugen maßgeblich zur Entscheidung bei.

veröffentlicht am 22.10.2024 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Wettbewerbe nach RPW: Ergebnisse

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