Rede Hartmut Strube
Neujahrsempfang 2002
Sehr geehrte Landtagsabgeordnete,
sehr geehrter Innenminister Herr Köckert,
sehr geehrter BDA-Präsident Herr Kraemer,
sehr geehrte Oberbürgermeister und Landräte,
sehr geehrte Vertreter der Thüringer Kommunen, Landes- und kommunaler Gesellschaften, Verbände, Kammern, Hochschulen, Gerichte und Ministerien, der Bundeswehr, sehr geehrte Unternehmer und Freiberufler, sehr geehrte Medienvertreter
und werte Architektinnen und Architekten,
ich wünsche Ihnen ein gesundes, glückliches und erfolgreiches neues Jahr. Herzlich Willkommen zu unserem Neujahrsempfang an traditionellem Ort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ein neues Jahr hat begonnen und mit ihm auch deutlich erkennbar der Bundestagswahlkampf. Wir Architekten als zugegeben wenige Wähler aber aus der komplexen Verantwortung unseres Berufes für Städtebau, Landschafts- und Umweltgestaltung, Baukultur, Bauerhalt und damit Wohn- und Lebensqualität heraus Treuhänder der Interessen fast des gesamten Wählerpotentials hoffen wieder einmal auf mindestens ein Registrieren der im Zusammenhang mit unserer Berufsausübung vorhandenen mit dem Wandel in unserer Gesellschaft verbundenen Probleme. Wichtige politische Ziele der vergangenen Jahre wie zum Beispiel Steuerreform, Rentenreform, Schlanker Staat, Bildungsreform, Verwaltungsreform und Arbeitsmarktreform sind aus unserer Sicht nur unzureichend, praxisfremd und halbherzig angefangen und umgesetzt worden. Eine Aufbruchstimmung und Optimismus sind insbesondere in den neuen Bundesländern leider nicht mehr spürbar.
Geredet wird viel und wenig getan. Was früher "aussitzen" hieß, heißt heute "Politik der ruhigen Hand". Im europäischen Vergleich zur Bildung, zur Produktivität, zur Arbeitslosigkeit werden nur noch hintere Plätze belegt und hinter dieser Statistik insbesondere zur Arbeitslosigkeit verbirgt sich bei Vielen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, ein unerträglicher Zustand leider auch für den Berufsstand der Architekten. Die Architektenkammer Thüringen hat im vergangenen Jahr die Situation der Bauwirtschaft analysiert, in einem Positionspapier Vorschläge formuliert und die Thematik in die Bundesebene transportiert. Ergebnis war ein Vorschlagskatalog der Bundesarchitektenkammer unter dem Titel "Von der Quantität zur Qualität" mit vielen von uns übernommenen Ideen. Sicher hat keiner zur Lösung der gravierenden gesellschaftlichen Probleme ein Patentrezept aber Fachleuten sollte man mindestens zuhören und Vorschläge prüfen. Arroganz ist zur Lösung von Problemen das schlechteste Konzept. Wir erwarten einen moralischen, kulturellen Aufbruch in unserem Land, eine positive Veränderung gesellschaftlicher Werte, eine Besinnung auf unsere Tugenden und unverwechselbaren Fertigkeiten, eine Profilierung von Eliten und Talenten. Wir Architekten sind bereit, unsere Kreativität, unseren Ideenreichtum, Sachverstand und Enthusiasmus einzubringen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Initiative Architektur und Baukultur des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, die gemeinsam mit den Kammern und Verbänden der Architekten, Planer und Ingenieure sowie weiteren Institutionen der Baukultur gestartet wurde, zog eine Zwischenbilanz.
Wir erwarten für uns in Thüringen die Umsetzung der Entschließung der EU vom 12. Februar zur architektonischen Qualität der städtischen und ländlichen Umwelt, also auch Thüringer Planungsleistungen als Exportleistungen zu verstehen. Damit verbunden ist eine imagefördernde Außendarstellung der Kreativität und Kompetenz der Planungs- und Bauleistungen im Rahmen von Messen, wie die EXPO-REAL in München und Architektur-Publikationen, eine Förderung des Transfers von Umweltstandards und Dienstleistungskompetenz, ein Baukultur-Export über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Als Beispiel könnte die Ausstellung Landes Bau-Tour des Finanzministeriums in den Partnerstädten und Partnerregionen Thüringer Kommunen und des Landes gezeigt werden. Wir erwarten auch eine gezieltere Förderung von Forschungsprojekten im Rahmen des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (EXWOST) in Verbindung mit dem Stadtumbau Ost und einer nachhaltigen Baukultur.
Eine spezielle Förderung des Nachwuchses erleben wir gegenwärtig in der Stadt Erfurt: dort wird eine kommunale Fläche für 15 EFH, zu der der Bebauungsplan durch die Stadt erarbeitet wird, jungen Architekten überlassen, die hier in einer Ideenwerkstadt Entwürfe und Modelle sowie eine Marketingstrategie vorstellen werden, um eine unverwechselbare Identifikation mit dem Wohnen zu ermöglichen. Wir brauchen identitätsstiftende Orte, um den Wegzug in den ländlichen Raum oder über die Grenzen des Bundeslandes hinaus zu stoppen oder um eine Trendumkehr zurück in die Stadt zu schaffen. Dazu müssen wir Initiativen fördern und die Initiatoren pflegen.
Stärker gefördert werden sollten auch Präsentationen und Publikationen über neue Architektur, Städtebau, Landschaftsarchitektur und Ingenieurbau, die Thüringen auch vor dem Hintergrund der Bauhaustradition, für die ja die Bauhausuniversität in Weimar steht als einen Standort darstellen, der sich auch der zeitgemäßen Architektur und ihrer Materialien und Formen bewusst ist. Wir können uns jetzt schon national und international sehen lassen. Es wurden großartige Neubauten im Freistaat errichtet wie zum Beispiel die neuen Hochschulbauten und Bibliotheken, eine Vielzahl von Gewerbebauten oder der Wohnungsbau der LEG am Erfurter-Ringelberg mit einem Preisträger des Architekturpreises 2001. Neue Architektur in Thüringen als touristisches Ziel ist nicht unrealistisch für die Zukunft. Was eine Selbstverständlichkeit in anderen Ländern wie Holland oder Finnland, aber auch in den Städten Berlin, Hamburg oder Köln ist, sollte auch uns gelingen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir bezeichnen die Architekten und Stadtplaner als Gestalter und Problemlöser für die sozialen Bedürfnisse der Menschen. Architekten geben die gestaltende, bauliche Antwort auf die Anforderungen der Umwelt und der Gesellschaft. Doch wie sieht der Spagat zwischen Wunschdenken und Bauwirtschafts-Realität gegenwärtig aus? Wir haben eine verheerende konjunkturelle Situation auf dem Baumarkt, bei den Bauunternehmen, dem Handwerk, den Architekten und Ingenieuren. Ein Licht am Ende des Tunnels ist nicht in Sicht. Wir haben erstmals unter 1 Million Beschäftigte in der deutschen Bauwirtschaft und es wird nochmals ein Rückgang um 50.000 für dieses Jahr prognostiziert. Die Thüringer Situation verschärft sich durch den überproportionalen Rückgang bzw. eine Konsolidierung der kommunalen Investitionshaushalte, dem geplanten Rückgang der Investitionssummen im kommenden Doppelhaushalt des Landes zwischen 10-20 Millionen EURO, dem aufgestauten Sanierungsbedarf öffentlicher kommunaler Infrastruktur, der doppelt so hoch ist, wie in den alten Bundesländern, dem Wohnungsleerstand von 110.000 Wohnungen und der demographischen Perspektive des Geburtenrückganges und der Überalterung in den neuen Bundesländern verbunden mit einem bis zu 25%igen Einwohnerrückgang im Freistaat. Eine Situation, die zum Handeln zwingt, will man die neuen Länder nicht ewig am Tropf des Solidaritätszuschlages hängen lassen. Das Programm Stadtumbau Ost ist ein Anfang, aber nicht ausreichend zur Lösung der Gesamtproblematik. Der Weg geht mit der Stärkung der Innenstädte, mit der Vorraussetzung einer integrierten Standentwicklungsplanung vor Beginn des Umbaus und der Förderung in die richtige Richtung.. Die Instrumente der Förderung müssen jedoch verzahnt werden mit der Arbeitsmarktpolitik, der Wirtschaftsförderung, den Handelskonzepten und dem Städtebau sowie Wohnungsbau, der Wohnungswirtschaft in Thüringen, um die Situation dauerhaft zu verbessern. Wir brauchen eine Kommunikationsplattform, um Effizienzen und Handlungsstrategien zu erzeugen. Die Diskussion im Leinefelder Kongress zum Stadtumbau und zur Wohnungswirtschaft im vergangenen September zeigte diese Notwendigkeit sehr deutlich. Es ist sehr positiv, dass Thüringens Landesregierung, insbesondere der Ministerpräsident und Sie, werter Herr Innenminister, sich dieses Themas sehr deutlich angenommen haben. Wir freuen uns, dass dank Ihrer Initiative, gemeinsam mit den betroffenen Stadtplanern und Ihrem Ministerium ein Leitfaden zur Definition der qualitativen Ansprüche des Freistaates, des Fördermittelgebers, an die integrierten Stadtentwicklungskonzepte der Kommunen erarbeitet wird.
Gefährdet werden die am Bau beteiligten Unternehmer, Handwerker und Architekten unter anderem auch durch die seit Januar zu zahlende Bauabzugssteuer von 15 Prozent. Die dadurch entstehende weitere Bürokratisierung verbunden mit der verschärft schlechten Zahlungsmoral leider nach dem Ergebnis unserer aktuellen Konjunkturumfrage auch der öffentlichen Hand wirkt sich weiter negativ aus .Gesunken sind auch die vertraglich abgesicherten Auftragsbestände von 3,8 Monate im Frühjahr auf 3,5 Monate zum Jahresende. Die Hälfte der Büros bezeichnet die gegenwärtige wirtschaftliche Lage als schlecht bis sehr schlecht.
Das Bürosterben wird also ungehindert weiter gehen. Besonders negativ für uns ist dabei, dass sich die Strukturen der Architekturbüros von großen und mittleren Einheiten auf kleine und kleinste Einheiten verändern werden. Jedes vierte Büro musste Mitarbeiter entlassen und jeder vierte Inhaber zahlt seinen Mitarbeitern das Gehalt nicht fristgerecht. Auch nur noch jeder zehnte bildet aus und mehr als ein Drittel der Büros arbeitet überwiegend mit freien Mitarbeitern. Diese Entwicklung schwächt die Konkurrenzfähigkeit der Büros im Vergleich mit den Büros der alten Bundesländer und erschwert den Einstieg in den Dienstleistungsexport. Wir werden das nicht tatenlos hinnehmen
Sehr geehrte Damen und Herren,
für die Architektenkammer Thüringen ist neben dem "Stadtumbau Ost" das Thema "Architektur macht Schule" Schwerpunkt der berufspolitischen Arbeit. Gemeinsam mit dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung in Bad Berka werden wir die Grundlagen für eine Fortbildung der Kunsterzieher und Lehrer an den Thüringer Schulen zum Thema "Zeitgemäße Architektur und Städtebau" in Form eines Kooperationsvertrages schaffen. Engagierte Architekten bieten sich an, an den Thüringer Schulen die Schüler zu Architektur und Städtebau zu unterrichten. "Architektur macht Schule" ist auch Bestandteil des UIA-Weltkongresses der Architekten im Juli in Berlin. Gleichzeitig werden die Studenten des Faches "Kunsterziehung" der Thüringer Hochschulen gemeinsam mit der Bauhaus Universität an den Fakultäten Gestaltung und Architektur auf diesem Gebiet geschult. Diese sind Aktivitäten für die Zukunft. Gute Architektur ist nur mit den Bauherren und nicht gegen sie möglich. Wir qualifizieren hier die Bauherren der Zukunft.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ungebrochen gehört der Freistaat zu den Bundesländern, in denen eine große Zahl von Architektenwettbewerben ausgelobt werden. Diese Vergabeform von Planungsleistung bietet Transparenz, Anonymität, Objektivität, einen hohen Leistungsstandard, architektonische Qualitäten und schafft Planungssicherheit für den Preisträger und den Auslober. Hervorhebenswert für das vergangene Jahr ist, dass fast ausnahmslos die Preisträger Architekten und Stadtplaner sowie Landschaftsarchitekten mit Stammsitz des Büros in Thüringen sind. 10 Jahre Vergleich zwischen David und Goliath schuf Leuchttürme in den eigenen Reihen der Thüringer Architekten, die keinen Vergleich mit anderen Wettbewerbs-Architekten aus Deutschland und Europa mehr scheuen müssen. Das Finanzministerium wird uns auch bescheinigen, dass die Qualität der Planungsleistungen in den Verhandlungsverfahren von Thüringer Architekturbüros so hervorragend ist, dass auch diese Vergaben oberhalb des EU-Schwellenwertes an hier ansässige Architekten erfolgten. Neben der Qualität schaffen wir damit natürlich auch eine Wertschöpfung im eigenen Land und erhalten damit Arbeitsplätze und sichern Existenzgrundlagen für die Familien der Büroinhaber und Angestellten. Dass sich die Vergabe der Planungsleistungen über alle Leistungsphasen hinweg an einen Architekten durch den öffentlichen Auftraggeber auszahlt, beweist sich an den Architekturpreisen des Freistaates und der Kammer. Die Qualität in der Ausführung des Bundesarbeitsgerichtes, des Studentenwohnheimes in Weimar oder des Musikgymnasiums in Weimar stehen dafür als Beispiele. Eine preiswürdige Qualität ist nach unserer Analyse immer nur da entstanden, wo der Architekt für alle Leistungsphasen beauftragt war
Sehr geehrte Damen und Herren, "Ressource Architektur" heißt der Titel des UIA-Weltkongresses der Architekten und auch der Titel des heutigen Festvortrages. Diese Ressource Architektur ist für uns wichtigste Grundlage zur Gewährleistung einer qualitätsvoll gestalteten Umwelt. Architektenwettbewerbe, Preise und Publikationen, Ausstellungen und Präsentationen der Leistungen Thüringer Architekten und Stadtplaner sind dabei probate Mittel zur Umsetzung. Dazu werden wir in diesem Jahr eine Stiftung für Architektur und Baukultur gründen und können schon jetzt auf die Unterstützung des Thüringer Finanzministeriums und des Thüringer Innenministeriums verweisen und dafür unseren Dank an dieser Stelle aussprechen. Wir werden darüber hinaus auch den Anspruch an die Qualifizierung des Berufsstandes der Architekten deutlich klarer fassen und beabsichtigen, einen Pflichtnachweis über Fort- und Weiterbildung einzuführen. Die Kompetenzen und die Qualifikation der Architekten müssen sich auch in einer Zertifizierung von Ausbildungsinhalten widerspiegeln. Die Einführung der Energieeinsparverordnung, die Umweltverträglichkeitsprüfungen von Bauleitplänen und Baumaßnahmen, den Nachweis der Nachhaltigkeit von Planungen sowie die Einführung der Hausakte, des Gebäudepasses, der Energiebilanz von Gebäuden, der Energieberatung und der Kreislaufbetrachtungen von der Planung bis zum Abriss von Gebäuden sind nur einige Stichpunkte, die das Berufsfeld des Architekten erweitert werden. Dazu benötigt er die Fähigkeiten und Fertigkeiten, dazu bieten wir wie bisher Weiterbildung und Qualifizierung an, darüber beabsichtigen wir aber auch, zukünftig einen Qualifikationsnachweis zur Sicherung des Verbraucherschutzes zu verlangen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
in diesem Jahr wird die Thüringer Bauordnung aus dem Jahre 1997 novelliert. Wir erwarten eine Novelle, die sich an der Musterbauordnung orientiert und somit das Baurecht deutschlandweit zu vereinheitlichen hilft. Gleichzeitig erhoffen wir uns aber auch, dass die Novellierung zu einer Deregulierung führt, ohne dass einem Wildwuchs und einem unkontrollierten Bauen Tür und Tor geöffnet werden. Bauen verlangt Planung und deshalb sollte auch weiterhin im Anzeigeverfahren der Bauantrag Grundlage einer Genehmigungsfreistellung sein. Eine Aufschlüsselung der Genehmigungsverfahren auf unterschiedliche Träger muss verhindert werden. Die Baugenehmigung muss alle baulichen Aspekte, auch die genehmigungspflichtigen Teile wie Wasser, Abwasser, Brandschutz, Nachbarrechte usw. abschließend beinhalten. Das erzeugt Planungssicherheit und Wirtschaftlichkeit. Wir fordern die Festsetzung von Genehmigungsfristen für Bauanträge bei Vorlage eines vollständigen Antrages über alle Objektklassen hinweg. Es kann nicht sein, dass sich die durchschnittlichen Genehmigungsfristen nur um einen Monat von 1999 bis heute verkürzt haben, obwohl die Bauanträge um mehr als die Hälfte in diesem Zeitraum zurückgegangen sind. Auch hierbei vergibt sich Thüringen im Föderalismuswettbewerb der Länder und Kommunen wirtschaftliche Vorteile.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Architektenkammer Thüringen bietet sich Ihnen auch im neuen Jahr als konstruktiver Dialogpartner zu den Fragen der Baukultur, Baukunst, des Städtebaus und der Architektur in Thüringen an und wird weiter die wirtschaftlichen Belange der Architekten leidenschaftlich vertreten. Nutzen sie uns in unser aller Interesse!
Mir bleibt jetzt nur noch, mich an dieser Stelle für die musikalische Begleitung von Herrn Hoffmann recht herzlich zu bedanken und übergebe jetzt das Wort an den Thüringer Innenminister, Herrn Christian Köckert, der das Grußwort der Thüringer Landesregierung spricht und danach folgt die Festrede zum Thema "Ressource Architektur" von dem neu gewählten Präsidenten des Bundes der Deutschen Architekten, Herrn Kasper Kraemer, unserem Mitveranstalter. Herr Andreas Hempel, Vizepräsident des Weltverbandes der Architekten und Präsident des UIA-Kongresses in Berlin, ist leider erkrankt.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Kommen.