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Building Information Modeling in Thüringen – ein Rückblick auf den BIM-Kongress 2016

Fünf Fragen an Architekt Dr. Claus D. Worschech, Mitglied der BIM-Expertengruppe der Bundesarchitektenkammer

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Ging im Rahmen seines Vortrags auf Haftungs- sowie Versicherungsaspekte ein: Dr. Claus D. Worschech, Mitglied der BIM-Expertengruppe der Bundesarchitektenkammer, Bild: Frank Steinhorst

Die Digitalisierung am Bau weckt Interesse: Das zeigt der Zuspruch zum BIM-Kongress 2016 in Erfurt. Der Einladung von Architektenkammer Thüringen, Ingenieurkammer Thüringen, dem Bauindustrieverband Hessen-Thüringen e. V. sowie dem Verband baugewerblicher Unternehmer Thüringen e. V. folgten mehr als 200 Teilnehmer. Aufgrund der Vielzahl an Anmeldungen musste die Veranstaltung gar kurzfristig vom Kongressbereich des Steigerwaldstadions in das Congress-Center der Messe Erfurt verlegt werden.

Als Schirmherr begrüßte Wolfgang Tiefensee die Gäste. Thüringens Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft betonte, dass es Aufgabe der Politik sei, Akzeptanz für das Thema zu schaffen. Wichtige Voraussetzungen seien in diesem Zuge das Vorhandensein einer funktionierenden „Datenautobahn“, die Datensicherheit in Verbindung mit Cloud-Systemen sowie der Erhalt und die Adaption bewährter Standards wie die HOAI oder das Urheberrecht. Entscheidend ist aus seiner Sicht, „dass wir bei BIM nicht nur Prozesse von der Planung über die Realisierung bis hin zum Betrieb im Blick haben, sondern dass es ringsherum um eine Verantwortung geht, die auch die anderen Megathemen miteinbezieht“. Beispielhaft führte Tiefensee Themen wie Energieeffizienz und Ressourcenverbrauch, Demografie und Flexibilität sowie Mobilität, Vernetzung und Partizipation auf. Als eine weitere Herausforderung, auch für das Building Information Modeling, benannte Tiefensee die Fertigung von Häusern und Stadtteilen der Zukunft mit Hilfe von Robotik.

Der Präsident der Architektenkammer Thüringen, Dr. Hans-Gerd Schmidt, gab eine einordnende Sicht auf die derzeitigen Entwicklungen als Architekt. Er hob hervor, dass BIM für eine kooperative Arbeitsmethodik stehe, „die einen Beitrag zur Effizienzsteigerung von Planungs- und Bauprozessen leisten kann, weil es ein stärker vernetztes Arbeiten der Planungsbeteiligten, Ausführenden und späteren Betreibern erfordert“. Die Methode allein aber könne kein Allheilmittel und schon gar kein Garant für den Erfolg sein. „Hier sind die Anwender und alle Projektbeteiligten, insbesondere die Auftraggeber, gefordert.“ Es käme darauf an, notwendige Voraussetzungen zu identifizieren und diese zu etablieren.

Die Referenten des Tages widmeten sich in ihren Vorträgen der Methodik und den Rahmenbedingungen dieser zukunftsorientierten Planungsmethode sowie der vertragsrechtlichen Umsetzung und Anwendung in den Planungsbüros, respektive den Unternehmen der Bauwirtschaft. Einer der Redner war der Architekt Dr. Claus D. Worschech, Mitglied der BIM-Expertengruppe der Bundesarchitektenkammer (BAK). Er ging im Rahmen seines Vortrags auf Haftungs- sowie Versicherungsaspekte ein. Wir haben ihm im Nachtrag Fragen zum Thema gestellt.

Herr Dr. Worschech, worum geht es bei BIM konkret? CAD und 3D-Modelle sind für Architekten nichts Neues.
Dr. Claus D. Worschech: Die gebotene Kürze dieses Interviews lässt eine erschöpfende Beantwortung nicht zu. Hier nur so viel: Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang des Öfteren zwangsläufig an die „CAD-CAM“-Euphorie im Bauwesen der 1980er Jahre … Das waren drei Schritte nach vorn und dann zwei zurück. Freudige Aufmerksamkeit, allerdings gepaart mit Realitätssinn, scheint geboten. Die Arbeitsweise von Architekten ist heute bereits durchgängig geprägt von digitaler Unterstützung und ebensolcher Umgebung bei allen an Planung, Bau und Betreibung von Gebäuden Beteiligten. Auch ist aus dem berühmt-berüchtigten „6B“ für das – glücklicherweise immer noch kultivierte – freie Skizzieren des Architekten inzwischen doch immerhin schon ein „HB“ geworden. Ein Tipp: Bei der inhaltlichen Verständigung über BIM-Kompetenzen sollte man immer zuerst hinterfragen, von welchem BIM-Sender und -Empfänger wir sprechen: „little closed BIM 3D“ (vektorisiert oder mit Bauteilen) oder „big open BIM 7D“ (mit integrierter VR)? Dazwischen liegen Welten.

Sie sind Mitglied in der BIM-Expertengruppe der BAK. Woran arbeitet dieses Gremium?
Am Thema BIM in seiner Komplexität. Dazu dient die Differenzierung der zu betrachtenden Aspekte unter Einbeziehung von Kompetenzträgern aus Forschung und Entwicklung sowie Praxis der Anwendung, bis hin zu Handwerk und Bauindustrie, Verwaltungsvertretern, Juristen und schließlich Neugierigen, wie mich (lacht).
Es geht uns immer auch um die Berücksichtigung der Position des Architekten in dieser vermeintlich neuen, eigentlich jedoch längst überfälligen, projektmethodisch wie ergebnisorientiert sinnfälligen Methode als eine – nach meiner Auffassung – Möglichkeit effizienzsteigernder, evolutionärer Entwicklung in unserem Schaffensbereich. Im Rahmen der übergeordneten Strategie „Industrie 4.0“ erfordert die Art und Weise des Zusammenarbeitens im Prozess der fortschreitenden Arbeitsteilung, Spezialisierung und Rationalisierung nicht nur technisch-technologische Aggregationen und Kompatibilitäten. Es geht um die Kennzeichnung der Partnerschaft als Voraussetzung und Wesensmerkmal einer nur ganzheitlich wirklich wirksamen Methode, sogleich allerdings auch um die Identifizierung von Interessenslagen mit offenen oder verdeckten Differenzstandpunkten der Beteiligten, die Weiterentwicklung rechtlicher Rahmenbedingungen (unter anderem für die endlich zu erfolgende Novellierung der Haftungssystematik gesetzlicher Grundlagen aus dem vorletzten Jahrhundert) und schließlich um die zügige Verbreitung der Anwendung der höheren Stufen von BIM.

Ist das Thema BIM in der Architekturbranche angekommen? Gibt es Zahlen, wie viele Büros in Deutschland gegenwärtig mit BIM arbeiten?
Jeder Architekt ist inzwischen mit dem Thema BIM zumindest konfrontiert, wenn nicht bereits vertraut. Dafür sorgen allein schon die fachlichen Medien. Es ist auch eine falsche Einschätzung, BIM wäre nur etwas für große Büros. Im Expertenkreis sind mehrere Kollegen sehr kleiner Büros vertreten, die mit BIM Effizienzsteigerungspotentiale für sich und ihre Bauherrschaften erschließen. Es sind zunehmend Umfragen auf nahezu allen Ebenen zu verzeichnen. Das statistische Material wird sich 2017 verdichten und zu tragfähigeren Aussagen führen, als dies momentan möglich ist. Viele Büros arbeiten in der Spitze erfolgreich mit „höherem“ BIM, noch viel mehr mit einer „mittleren“ Stufe und fast alle mit der „einfachen“. Verstörend wirkt auf mich die Selbstisolation der an und für sich BIM-affinen Büros, wenn man nur mal die Szene im tapferen Freistaat Thüringen betrachtet. Einen „Hotspot BIM Thuringia“ kann ich noch nicht erkennen. Initiativen verlaufen schnell im Sande. Man geht sich da eher aus dem Weg. Vielleicht hat man Sorge, mühsam erarbeitete Alleinstellungsmerkmale durch Wissens- und Erfahrungstransfer kostenlos preiszugeben. Vielleicht irre ich mich da auch. Nur, in Hamburg zum Beispiel, auch anderenorts, haben sich ansonsten durchaus im Wettbewerb stehende Büros auf einer Plattform zusammengefunden, um ihre Erkenntnisse, Strategien und Erfahrungen zeitsparend und fehlervermeidend auszutauschen. BIM funktioniert nach herrschender Meinung bisher nur unter Freunden. Vielleicht könnte unsere Landesregierung – im Ergebnis der BIM-Konferenz in Erfurt – die Gelegenheit nutzen, einen bei der AKT zu etablierenden „Hotspot BIM Thuringia“ zu fördern.

Wie verändert BIM das Planen und Bauen? Was sind Ihre Erfahrungen?
Ganze Lehrstühle und Weiterbildungsinstitutionen, Kammern und Verbände beschäftigen sich mit diesen Sachverhalten, bieten zig Seminare, Vorlesungen und den Diskurs hierfür an, von den vorantreibenden Entwicklungen bei den Baukonzernen ganz abgesehen. Ich verweise deshalb kurzerhand auf „100 Fragen und 100 Antworten“ zum Thema BIM; ein von der Bundesarchitektenkammer 2016 herausgegebenes Kompendium.
Meine sind unsere Erfahrungen im Atelier. Ohne vertrauenswürdige und in der Zusammenarbeit als zuverlässig geltende Planungspartner funktioniert BIM tatsächlich nicht. Auch kann die Software-„Industrie“ noch nicht alle Anforderungen an eine durchgehende technologisch höhere BIM-Anwendung in der Praxis erfüllen. Mit „BIM 3D“ gibt es reichlich Erfahrung. 2017 starten wir im Atelier ein „closed big BIM 5D“-Projekt für einen privaten Auftraggeber. Viel Spaß beim Knobeln, was sich dahinter verbirgt …

Wird BIM zu einem Standard werden?
Ja. Es ist nur eine Frage der Zeit. Meiner Einschätzung nach sind die digitalen Stufen nur schrittweise erreichbar und bedürfen der internationalen, europäischen und schließlich nationalen Vertiefung der erforderlichen Standards und Formate, die sich in Richtung Offenheit entwickeln müssen. Mindestens ebenso wichtig: Ein BIM ohne Auftraggeber, die diese fortschrittliche Methode fordern und fördern und die deren Prozesse wie Ergebnisse (Stichwort Datenfriedhöfe) anzuwenden verstehen, wird es allerdings schwer haben, sich mittelfristig wirklich auf höherer technologischer Ebene durchzusetzen.

Vielen Dank.

veröffentlicht am 20.12.2016 von Björn Radermacher · Rubrik(en): Berufspraxis, News

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