Leinefelde – Planungskultur schafft Baukultur
Vortrag Michael Beier, Vorstand Stiftung Baukultur
Leinefelde, 19. Oktober 2006, „Land der Ideen“
Festveranstaltung Obereichsfeldhalle
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
„Planungskultur schafft Baukultur“, der Anspruch am kommunalen Handeln zur Schaffung eines baukulturellen Klimas in einer Stadt.
Leinefelde hat mit dem Architektur- und Städtebauwettbewerb Anfang der neunziger Jahre zur Lösung der städtebaulichen Frage im Umgang mit der Südstadt, mit dem Aufzeigen einer Vielzahl von Beispielen für die Sanierung und Modernisierung der Plattenbauten den Grundstein seines heutigen Erfolges gelegt.
Gern erinnere ich mich noch an eine Entwurfsarbeit, die eine Lücke in der Auslobung ausgenutzt hat und ein sechs Meter langes Format wählte, in dem eine Entwurfslösung mit einer ausgesprochen detaillierten Darstellung von Grundrisslösungen vorgestellt wurde, die auffallend veranschaulichte wie den Architekten aus Thüringen es in dieser Zeit, es fast 15 Jahre her, schwer fiel, loszulassen von der Platte und sie neu zu denken. Zu stark waren sie der Technologie des industriellen Massenwohnungsbau noch verhaftet gewesen. Das Ergebnis des ersten Wettbewerbes in Thüringen, der sich dem Umgang mit der Platte widmete, widerspiegelte dann auch die Tragweite des „Loslassens“, der Gelassenheit und Offenheit in der Auseinandersetzung mit dem Plattenbau. Im Ergebnis kamen die Preisträger aus Darmstadt, München und Frankfurt/Main, die das Thema Aufwertung und Rückbau zu einem sehr frühen Zeitpunkt richtig eingeordnet haben. Die Beispiele, die später durch sie in Leinefelde geplant, gestaltet, umgebaut, saniert, rückgebaut und aufgewertet worden sind, zeigen sehr deutlich auf, dass der Weg über den Architektenwettbewerb, dem städtebaulichen Wettbewerb, dem Landschafts- und Freianlagenwettbewerb, der einzig richtige Weg war und ist, um einen optimierten Leistungsvergleich der Architekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner mit einem hohen Variantenreichtum zu erreichen. Natürlich schafft dieses allein noch nicht den Erfolg, jenes „Wunder von Leinefelde“, welches nunmehr mit einer Vielzahl von Architektur-, Bauherren- und Städtebaupreisen bis hin zum ersten Thüringer Preis zur Förderung der Baukultur der Stiftung Baukultur in 2006 ausgezeichnet wurde.
Es sind nicht die Planungen an sich, die hier ein Wunder geschaffen haben. Es sind und waren die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger, die Bewohner, die Planer und Architekten gemeinsam mit den Verantwortlichen in Stadt und im Landkreis und vor allem waren es der Bürgermeister, sein Team in der Bauverwaltung und natürlich die Bauherren, einzelne wie Herr Albrecht, Herr Werner, die AWO oder auch die Wohnungsgesellschaft und die Genossenschaft sowie der Landkreis. Natürlich nicht alle gleich gut und gleich stark.
Aber eines vereinte viele von ihnen: die Zukunft von Leinefelde, von ihrer Südstadt nach dem Wegbrechen der „Spinne“, der Deindustrialisierung, zu gestalten und ihr eine Hoffnung von Dauer zu geben. Städte vergleichbarer Größe in anderen Regionen des Ostens sind noch lange nicht auf dem Weg wie Sie hier in Leinefelde oder haben ihre Zukunft schon begraben unter der Last von Abwanderung, Industrieverlust, Überalterung und Finanzlast.
Die Visitenkarte einer Stadt ist heute die Website. Sie hinterlässt für Außenstehende den ersten Eindruck, sie ist gleichermaßen Informationsquelle, Serviceangebot und ein kulturelles Aushängeschild zur medialen Wahrnehmung einer Kommune.
Die Website von Leinefelde-Worbis gehört zu den Besten im Freistaat Thüringen und zeigt vor allem für jeden Nutzer sehr deutlich den Weg, die Handlungsfelder und die Ziele der städtebaulichen, infrastrukturellen, baulichen, verkehrsplanerischen Planungsinstrumente auf. Nachvollziehbar werden die Planungsebenen und Planungsschritte, die Historie, detailliert und anschaulich dargestellt. Planungskultur verlangt auch Kommunikationskultur. Und genau diese Transparenz und Anschaulichkeit trägt wesentlich zum Miteinander im Stadtumbau bei.
Stadtentwicklung bedarf einer Führungspersönlichkeit, die nicht zuerst an Konsens auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner denkt, die es allen und vor allem den Parteien im Stadtrat und den kommunalen Betrieben, es gleichermaßen Recht tun möchte. Die Kultur des Bauens hat sehr viel mit der Fähigkeit des Entscheidens und der Begabung von Fehleranalyse gekoppelt mit strategischem Handeln zu tun.
Natürlich ist nicht alles im Sinne einer durchgängigen Baukultur positiv in Leinefelde. Besonders das jüngste Wohngebiet im Westen der Stadt bedarf eines Schutzwalles, um die Augen vor der Buntheit und Aufgeregtheit in dieser Einfamilienhaussiedlung zu schonen. Und auch in der Südstadt selbst zeichneten sich nicht alle Bauherren mit einem durchgängig architektonisch-gestalterischen Anspruch aus. Manches Gebäude dominiert die Umgebung, um sich selbst nur in Szene zu setzen. Auch der Industrie- und Gewerbebau ist nicht von einer städtebaulichen Betreuung und Beratung, vom Wettbewerbswesen, von Supervisionen geprägt. Hier sind Handlungsfelder vorhanden, die Leinefelde weiter aufwerten würden.
Doch es stellt sich auch die Frage: Ist das „Wunder von Leinefelde“ duplizierbar, kann man es exportieren? Dazu kann es kein deutliches JA geben. Der Weg über städtebauliche und architektonische Wettbewerbe ist kein Alleinstellungsmerkmal, diesen Weg gingen mit dem Bundeswettbewerb zum Stadtumbau viele Kommunen, die Planungsinstrumente sind ebenfalls identisch und die baulichen Lösungen beispielhaft, aber überwiegend orts- und bedarfsbezogen, deshalb kaum kopierbar. Leinefelde ist nur vom Kopf her beispielgebend, denn Stadtumbau war hier von Beginn „Chefsache“, es wurde integrativ und vernetzt gehandelt.
Schrumpfung hat in Leinefelde wohl nur in der baulichen Substanz eine wirkliche Bedeutung. Der Verlust an Einwohner wurde schnell wettgemacht durch die Ansiedlung von heimischen Gewerbe und Handwerk, den zwei Autobahnabfahrten und der Verschmelzung mit Worbis. Leinefelde heute trägt etwas Blühendes in sich. Es sind die zum Beispiel die Kreisverkehre als Fixpunkte einer verkehrsplanerisch integrierten Entwicklung, die in dieser Vielzahl für Thüringen auch einmalig positiv erscheint. Auch die Ergebnisse im Landschaftswettbewerb der Grünachse Südstadt werden das Gebiet einer Aufwertung erleben lassen, die heute noch nicht wirklich vorstellbar und erlebbar erscheint. Hier heißt es Geduld haben und den Anspruch aufrechterhalten. Auch der japanische Garten hat Signalwirkung für Leinefelde. Japan bringt sich so mit seiner Kultur und seinem Kulturverständnis ein, es stößt hier auf Neugier. Dieser Garten schafft Identität, schafft Besonderes und verleiht Stolz. Es wäre Ihnen zu wünschen, dass der nächste Traum in Erfüllung geht und Tadao Ando als weltbekannter Architekt Ihnen seine Architekturhandschrift überlässt, denn damit locken Sie zehntausende Architekturpilger jährlich an und können bei einer entsprechenden Größe auch einen eigenen „Bilbaoeffekt“ erzielen. Investitionen in einen guten Namen mit einer Eventarchitektur lohnen sich für die Kommunen auf Dauer aber nur dann, wenn sie nicht allein als Solitär stehen bleiben. Das Umfeld muss auch mit auf die Reise genommen werden und will gleichermaßen gut gestaltet sein. Denn das hat Bilbao vom Flughafen, zum Kongreßzentrum bis hin zur Metro und der Gastronomie geschafft. Das Guggenheim Museum ist dabei nur der Aufhänger gewesen. Dieses bedarf der Akteure auf vielen Ebenen, ebenso wie Ihr Versuch des Weges „Von der Platte bis zum Papst“, der gegenwärtig als Anspruch mit notwendigem Konzept, Planung und Netzwerk Gestalt im Eichsfeld annimmt.
Sie brauchen Identitätspunkte, die Wurzeln schlagen lassen, die Stolz auf den Ort vermitteln, denn die Pendler Heute können die Weggebliebenen Morgen sein. Und genau dem müssen Sie entgegensteuern. Dazu sind die Infrastrukturen zu schaffen, dazu sind Erholungsräume notwendig und dazu benötigen Sie in den Quartieren Unverwechselbares, eben jenes Identitätsstiftendes wie ein japanischer Garten, den ich in Paderborn, Osnabrück oder Aschaffenburg nicht habe. Gleichfalls benötigt aber eine Stadt wie Leinefelde auch Freiräume, die durch eine städtische Finanzierung abgesichert sind, deren Pflegeaufwand bezahlbar bleibt und die natürlich auch im Sinne der Nachbarschaftshilfe durch die Bewohner selbst gepflegt und erhalten werden können. Der privaten Verantwortung muss auch städtischer Raum im besten Sinne geboten werden. Eigenverantwortung heißt die Devise für die Zukunft. Diese darf keinem Wildwuchs zu Munde reden. Hier ist eine Kommunikationskultur als Bürgerbeteiligung zu pflegen, die dann Planungs- und Ausführungskultur erzeugt, die Verantwortung auch in Qualität und Anspruch im öffentlichen Raum ummünzen lässt.
Die besten Beispiele für uns in der Stiftung Baukultur fanden wir in der Dorferneuerung, die Stärke- und Schwächeanalysen in den Gemeinden nicht durch Dritte, sondern durch die Bürger selbst und die am Schluss selbständige Übernahme von Verantwortung in der Dorferneuerung als Beirat für 5 Jahre sind dafür Beleg. Dies kann und sollte im Sinne der effizienten Bürgerbeteiligung auch in den Stadtquartieren im Stadtumbauprozess erfolgen. Bürgerbüros allein helfen dabei zu wenig, denn sie befriedigen fast nur den Einzelnen.
Die Planungsverfahren in Leinefelde haben eine Baukultur geschaffen, die städtebaulich, stadträumlicher Gewinn sind und gaben der Südstadt insgesamt ein neues Gesicht mit einer beispielhaften Qualität. Dazu meinen Glückwunsch am Tag der Ideen, im Eichsfeld als Land der Ideen und in einer ideenreichen Kommune „von der Platte bis zum Papst“.
Nichts scheint bei Ihnen unmöglich!
Michael Beier
Vorstand Stiftung Baukultur