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Rede Andreas Gottlieb Hempel, 2. Teil

Neujahrsempfang 2002

3. Fragen unserer Zeit


3.1 Technologie und Modernisierung
Heute ist Modernität ein globales Problem. Nichts wird im globalen Zusammenhang mehr von den Auswirkungen der Modernisierungsprozesse verschont. Die Rolle der Kultur in den Regionen der Welt beeinflusst auf sehr unterschiedliche Weise, ob Technologie als integrierter Faktor wirksam werden kann - oder Konflikte hervorruft: Modernisierungskonflikte.

Als gebauter und räumlicher Ausdruck von Modernisierungsprozessen wirkt Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung mit ihren Bildern von Technologie, und Modernisierung, als materielles und symbolisches Phänomen zugleich.

Technische Nivellierung bedroht die historisch gewachsene Vielfalt der Kulturen und führt zur Standardisierung und Uniformierung aller Lebensbereiche. Modernisierung ist deshalb so konfliktträchtig, weil mit ihr die herkömmlichen wirtschaftlichen Grundlagen verändert und damit auch die kulturellen Werte in Frage gestellt werden. Technologie muß an Kulturtraditionen angeglichen werden, wenn sie nicht Identität zerstören soll.

Globale Modernisierungsfolgen sind als Klima- und Energieprobleme Aufgaben einer Welt-Umweltpolitik geworden. Am Beispiel der Architektur stellt sich nun die Frage, wie eine Übereinkunft zwischen traditioneller kultureller Erinnerung und technologischer Erneuerung, zwischen Kultur und Modernisierung aussehen kann. Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung sind als kultureller Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung zu verstehen, in deren Folge soziale, ökonomische, kulturelle und politische Faktoren zur gebauten Zukunft beitragen.

3.2 Analogien
Analogien zeigen wie weit der globale Technologietransfer und die Modernisierung durch Architektur reicht:

Die aktuelle Klimaforschung, liefert für die Folgen der Globalisierung des letzten Jahrhunderts Belege. Die Klimapolitik der reichen Länder ist "eine ökologische Aggression des Nordens gegen den Süden" (Klaus Töpfer). Die Verschwendung der Ressourcen findet im Norden der Erdkugel durch den Lebensstil in Europa und Amerika statt. Sie sind die eigentlichen "Schurkenstaaten" - christliche, abendländische, zivilisierte Nationen, die verschwenden, was andere zum Überleben dringend brauchen, die Ressourcen vernichten.

Analogien finden sich im Bereich des vermeintlichen Kampfes der Kulturen. Sind die urbanen Kulturen in den Regionen der Welt miteinander nicht dialogfähig?

Die Schäden der Urbanisierung werden - was die Klima- und Energiedynamik betrifft - im Norden der Erdkugel durch den Lebensstil in Europa und Amerika verursacht - christliche, abendländische, zivilisierte Stadt- und Landschaftsentwicklung, die verschwendet, was andere zum Überleben dringend brauchen, die Ressourcen vernichten.

Der Bestand der natürlichen Umwelt, und das Wesen dessen, was in vielen Weltkulturen als menschenwürdiges Leben ausdifferenziert wurde, ändert sich dramatisch - durch die Folgen der Klima- und Energiedynamik, durch das Ausufern der Megacities, durch die großen Wanderungsbewegungen in Osteuropa, Asien und Afrika, durch die baulichen Verwüstungen ebenso wie durch den ruinösen Raubbau an der Erde. Das erfordert Konsens darüber, wie sich die menschlichen Gesellschaften künftig innerhalb der Horizonte der Erde und der Kulturen entwickeln kann.

Seit Beginn der industriellen Revolution hat die Architektur keine umfassenden Strategien und Perspektiven. Architekturplanung ist in Politik und Öffentlichkeit nicht mehr imstande nachhaltige Vorschläge zu machen. Nachhaltigkeit würde bedeuten global zu denken und lokal zu handeln. Nimmt man Planen und Bauen im Austausch mit der Natur ernst, dann müßte eine veränderte Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung mit der Erde Frieden schließen. Davon sind wir, im Weltmaßstab betrachtet, weit entfernt.

Nimmt man Planen und Bauen im Austausch der Kulturen ernst, dann müßte der Prozeß der Globalisierung so beeinflußt werden, daß seine positiven Merkmale zur Geltung kommen und seine negativen Faktoren zurücktreten. Der Triumph des Kapitals und der Marktwirtschaft hat die kulturellen Werte der Architektur zur Seite gedrängt. In vergangenen Zeiten war Architektur eine geistige Handlung um Zeit, Ort und Sinn zu definieren. Davon sind wir, im Weltmaßstab betrachtet, weit entfernt.

3.3 Politische Perspektiven der Weltkulturen
Die Initiative "Universal Declaration on Cultural Diversity" der UNESCO, eine Grundlage für die Debatte zur Humanisierung der Globalisierung zu schaffen, bringt die Aufgaben der Künste und der Architektur im weltweiten Dialog wieder ins Bewußtsein: "elevating cultural diversity to the rank of common heritage of humanity and make it's protection an ethical imperative, inseparable from respect for human dignity". (Kulturelle Unterschiede in den Rang des menschlichen Welterbes zu erheben und wie die menschliche Würde zu respektieren.)

Die Erwartungen der UNESCO drücken die Hoffnung aus, neue ethische und moralische Maßstäbe würden eines Tages "acquire as much force as the Universal Declaration of Human Rights". (sich genauso durchsetzen wie die Erklärung der Menschenrechte). (Koichiro Matsuura, Leiter der UNESCO)

Erst die gleichberechtigte "Würde aller Kulturen", so der französische Staatspräsident Jacques Chirac vor der UNESCO, befähige sie, "sich gegenseitig zu befruchten und zu bereichern.".

Dabei müssen Architektur- Stadt- und Landschaftsentwicklung ihre Grundkompetenzen als ein kulturelles Leitmedium neu definieren, um global die Technologie und Modernisierung faktisch und symbolisch zu integrieren.

3.4 Paradigmenwechsel der Globalisierung
Bei Betrachtung der Globalisierungsprozesse erkennt man, daß Ökonomie und Kultur der westlichen Welt im Widerstreit mit den regionalen Kulturen der Welt liegen. Diese haben eigene gewachsene Zivilisationen geprägt, bevor die Globalisierung die kulturellen Weltmaßstäbe nivellierte. Maßstäbe, die nur innerhalb der Grenzen westlicher Kultur begriffen werden. Die Weltlage präsentiert uns jetzt dafür die Rechnung.

Gebaute und natürliche Umwelt erinnern uns als bisher gegensätzlich aufgefasste Positionen daran, dass Natur und Landschaft als "natürliche Umwelt" im Widerstreit liegen mit einer "zivilisierten Umwelt", die wir als gebaute Umwelt begreifen - eine Paradoxie. Die Natur präsentiert uns jetzt dafür die Rechnung. Die Rahmenbedingungen einer neu zu bestimmenden Welt-Umweltpolitik und die von der UNESCO formulierten Rahmenbedingungen einer neu zu bestimmenden Welt-Kulturpolitik lassen erkennen, daß mit der Bestrebung, die positiven Kräfte der Globalisierung zu entwickeln und die negativen Kräfte zurückzudrängen oder zu kompensieren, auch die Fragen der Modernisierung ins Zentrum des Interesses gerückt sind. Das Verhältnis von Moderne in der Architektur, Stadt- und Landschaftsentwicklung ist im Hinblick auf die Kulturen in den Regionen der Welt neu zu überdenken.

Architektur als kulturelles Leitmedium ist ein Fundament der Kulturgesellschaften. Kulturgesellschaften wurzeln in regionalen Landschaften und Stadtgesellschaften. Möglicherweise wird die Abhängigkeit von der Politik die Kulturen auf ganz andere Weise beeinflussen, als man sich das bisher vorstellen konnte. Bislang hatte die Selbstverständlichkeit der demokratischen Spielräume die westliche Kultur zu einer freundlichen Indifferenz verleitet. Es könnte aber sein, daß der Kultur eine neue Rolle in der politischen Öffentlichkeit zufällt - dass aus Kultur Kulturpolitik, aus Architektur Architekturpolitik entsteht.

Seit den dramatischen Ereignissen des 11. September 2001 zeigt die Globalisierung Rückwirkungen, die für den Norden überraschende Strukturen entfaltet. Es wird deutlich, daß der Norden / Westen verspätet von den kulturellen Problemen der Globalisierung eingeholt worden ist.

3.5 Die Aktualität der letzten Dinge
In der traditionellen Architekturdebatte sind Szenarien, die wirklich weltbewegende Probleme in den Rahmen der Disziplin einbeziehen, noch ungewöhnlich. Es wäre ein Verdienst des XXI. UIA Weltkongresses für Architektur, wenn sich die Profession, offen im Dialog mit anderen Disziplinen mit den Problemen des sogenannten "gesellschaftlichen Fortschritts" konfrontierte, die auf die Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung im Norden und Süden der Erde zukommen.

Diese Perspektive ist seit dem 11. September 2001 um den Gesichtspunkte der Konzeption einer Welt-Kulturpolitik erweitert worden, bei der dem Umweltparadigma einer Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung im Horizont der Erde das Kulturparadigma einer Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung im Horizont des Geistes zur Seite steht.

Eine Welt-Kulturpolitik, die im kritischen "Dialog der Kulturen" einen Ausweg aus den Konfrontationen und Verwerfungen der Globalisierung bieten könnte, verhieße einen Ausweg, um in der Dynamik der Globalisierung die positiven Faktoren zu stärken, die negativen zu korrigieren oder zu kompensieren.

3.6 Sind einfache Fragen ausreichende Fragen?
Werden im Sommer 2002 angesichts der aktuellen politischen und kulturellen Verwerfungen so einfache Fragen ausreichen wie:

Welche Ästhetik bestimmt die Architektur?
Wie führen wir urbane Strukturen fort?
Was wollen wir als Berufsstand?

Können diese einfachen Fragen Bestand haben vor der globalen Dynamik der ländlichen Räume oder der Stadtentwicklung der Megacities der dritten Welt? Entsteht aus der Selbstbeschränkung auf die eigene Profession auch die erforderliche kulturelle Reflexion für den Dialog mit den Disziplinen, der Gesellschaft und den Weltkulturen?

Muß nicht unsere immerwährende Berufsbilddiskussion endlich einer notwendigen Wertediskussion weichen?

Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung steht damit vor neuen Definitions-, Existenz- und Zielfragen. Für sie gilt: Es ist Zeit für ein neues Paradigma.

In Anbetracht der neuen Lage, welche alle Regionen der Welt auf die Grenzen der Wahrnehmung ihrer kulturellen Herkunft verwiesen hat, ist es erforderlich, Prinzipien des "Dialogs der Kulturen" zu erproben.

4. Antworten des Kongresses


Was wird bleiben von diesen inhaltlichen Überlegungen zum XXI. UIA Weltkongress der Architektur? Woran wird man sich erinnern? Was ist die Botschaft?

Die Antwort darauf sind zunächst einige Gegenfragen: Wofür können wir uns begeistern? Was bewegt uns? Wofür wollen wir uns einsetzen? Kann sich die Profession selbst für den kulturellen Ausdruck der Architektur, der Stadt, der Landschaft als einer Vision, als einer Utopie des menschlichen Geistes im Horizont der Erde begeistern? Denn - nur wer selbst begeistert ist, wird andere begeistern können.

4.1 Kritischer Dialog der Kulturen
Wie kann die Welt mit der Vielfalt der Identitäten auskommen? Nur mit einem alle bereichernden Dialog der Kulturen, der im weltpolitischen Sinne dringend geführt werden muss.
Aber welche Schwierigkeiten sind in diesem Dialog zu erwarten?

"Der Westen", schreibt der türkische Romancier Orhan Pamuk, "ist sich kaum des überwältigenden Gefühls der Demütigung bewusst., das die Mehrheit der Weltbevölkerung empfindet. Das Problem des Westens ist nicht nur, zu entdecken, welcher Terrorist in welchem Zelt, welcher Höhle oder welcher Straße welcher Stadt eine Bombe vorbereitet, sondern die arme, wütende und sich im Unrecht wissende Mehrheit zu verstehen, die nicht zur westlichen Welt gehört." Orhan Pamuk schildert eindringlich, wie der Hass der Armen auf die Mächtigen der Weltgesellschaft sich daran erregt, dass diese neben dem Erfolg auch noch das Recht für ihre Seite beanspruchen.

Insbesondere die Architektur transportiert die Symbole des ökonomischen Erfolgs als globale Zeichen der Massenkultur der reichen Länder in die übrige Welt.

Salman Rushdie schreibt in einem Plädoyer "Für eine Entpolitisierung der Religion", dass die These westlicher Politiker - die Ereignisse von New York hätten nichts mit dem Islam zu tun - zu bezweifeln sei:

"Wenn all dies tatsächlich nichts mit dem Islam zu tun hat, warum gibt es dann überall in der Welt Sympathie-Kundgebungen für Usama Bin Ladin und die Al Qaida?" Der islamischen Welt sei deshalb die wichtigste Frage reflexiv zu stellen: "Nehmen wir einmal an, für die Übel unserer Gesellschaften seien einmal nicht die Amerikaner, sondern zuerst einmal wir selbst verantwortlich. Wie wären diese Probleme dann zu verstehen? Könnten wir nicht, indem wir diese Verantwortung anerkennen, auch lernen, unsere Probleme selbst zu lösen?"

Angesichts der Blockaden von Einsicht und Toleranz, auch durch Selbstgerechtigkeit, klingt dieser Vorschlag idealistisch. Gibt es dazu Alternativen?

Fred Halliday, Professor für internationale Beziehungen an der London School of Economics, hält die auf dieser Grundlage vorgeschlagenen "Dialoge" zwischen Religionen und Kulturen für unzureichend:

"Der kategoriale Rahmen, in dem diese Fragen - also Konflikte und Differenzen zwischen Staaten - angegangen werden müssen, ist keinesfalls der von Kulturen oder Zivilisationen. Es ist vielmehr der Rahmen universaler Werte, die im Völkerrecht und in den Prinzipien der UN-Charta niedergelegt sind. Das Völkerrecht macht keinen Unterschied zwischen westlichen und anderen Völkern, und es enthält sich der ausschließenden Sprache, die zu viele Politiker und Geistliche seit dem 11. September im Mund führen."

Einen neuen Rahmen, des kritischen Dialogs der Kulturen hat die Deklaration der UNESCO über die Vielfalt der Kulturen angeboten, der eine weltpolitische Basis zu Entwicklung einer Welt-Kulturpolitik bilden könnte. Zu diesem Dialog möchte der UIA Weltkongress für Architektur in Berlin beitragen.

4.2 Kulturelle Vielfalt als Weltperspektive
Ein Dialog der Kulturen ist die einzige denkbare Perspektive, die Welt in ihren differenzierten Ausprägungen zu verstehen und nicht den Abstraktionen des Begriffs der Globalisierung anheim zu fallen.

Kultur - und damit auch Baukultur, Architektur, - wird als Konzept menschlicher Werte-Orientierungen angesehen. Auch das thematische Konzept "Ressource Architektur" ist als grundlegende Wertorientierung zu verstehen. Es wird als allgemeiner humaner Wert aufgefaßt - nicht als ab- oder ausgrenzendes Merkmal. Es geht um Kategorien einer Gemeinsamkeit aller Kulturen: im Horizont der Erde zu Hause zu sein, und sich in den Horizonten der Kulturen und des Geistes gegenseitig zu bereichern.

Anläßlich des Kongresses wird das kulturelle Erbe für die Entwicklung der Kreativität gewürdigt und die Rolle der Kulturpolitik als Katalysator von Kreativität gefordert. Kulturelles Erbe als die Rückerinnerung an Erfahrungen der Menschheit inspiriert die Phantasie im Dialog zwischen den Kulturen, den Künsten und der Architektur, der Stadt- und Landschaftsentwicklung. Kultur erscheint als Ausdruck der Werte des menschlichen Gewissens und Bewußtseins, die im kollektiven Gedächtnis der Menschheit verankert sind und die unsere Identität, unser Sein widerspiegeln.

Nicht das radikale Gegeneinander undifferenziert gesehener Blöcke, sondern der differenzierte Dialog, die Offenheit einer politischen, ethischen und kulturellen Debatte für eine Welt-Friedenspolitik gegenüber der Menschheit und der Natur ist das Ziel kulturellen Austauschs zu dem der XXI. UIA Weltkongress der Architektur beitragen möchte.

4.3 Dialog der Kulturen
Kultur eröffnet Perspektiven, kann diese in den Dialog der Kulturen einbeziehen und ihnen realistische Beachtung verschaffen.

Nicht die Gleichheit der globalen Lebensbedingungen kann das Ziel sein, sondern Alternativen kultureller Angemessenheit. Nichts steht einem Dialog so sehr entgegen wie das Gefühl der Ungerechtigkeit. Heute lebt mehr als ein Drittel der Menschheit in Armut, einer Armut, die sich vergrößert, wenn die reichen Länder sich weiterhin nicht ihrer Verantwortung zur Hilfe stellen, sondern ihre Überlegenheit zu ihren wirtschaftlichen Gunsten ausnutzen.

Wertorientierungen können im Dialog der Kulturen eine zentrale Rolle spielen, unter der Voraussetzung, dass man die kulturelle Vielfalt anerkennt um gegen den nivellierenden Einfluß der Globalisierung auch in der Architektur anzugehen. Sie dienen der Verteidigung des übergreifenden Zusammenhaltes der Humanität.

Kulturelle Vielfalt als Perspektive geht von der Überzeugung aus, dass jede Gesellschaft eine spezifische Botschaft für die Welt bereithält, dass jede Gesellschaft in der Lage ist, die Werte der Humanität dadurch zu bereichern, indem sie ihren besonderen Anteil von Schönheit und Wahrheit zu den Künsten und zur Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung beiträgt.
Möglichst viel davon soll auf dem Weltkongress gezeigt werden.

4.4 Perspektiven der Baukultur
Es zeigen sich bereits die Umrisse alternativer Ziele der Baukultur: Eine einseitig ökonomisch orientierte Politik der Globalisierung wird zurückgewiesen. Die Kultur - und in diesem Kontext Architektur und Baukultur - fühlt sich zu neuen Formen der Sinngebung herausgefordert und stellt alternativen Forderungen an das politische Handeln.

Kulturelle Verschiedenheit der Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung erweitert die Wahlmöglichkeiten des Einzelnen nicht nur im Hinblick auf wirtschaftliches Wachstum sondern mit dem Ziel eine befriedigendere Lebensqualität auf der Basis intellektueller, moralischer und geistiger Werte zu erreichen.

Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung als Medien eines internationalen und interkulturellen Austauschs und Ausgleichs können zu kulturellen Leitmedien werden. Damit sind sie in der Lage die Kräfte der Globalisierung so zu symbolisieren, dass sie neben den ökonomischen Faktoren die bisher weniger ausgeprägten kulturellen Komponenten besser zur Geltung kommen lassen.

Die Ausgangslage für den XXI. UIA Weltkongress für Architektur könnte so beschrieben werden:

Die bisherige Abhängigkeit der Kultur, der Baukultur und der Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung von der Politik muss umgedreht werden und das Programm der bisherigen Globalisierung kultivieren. Der Kultur, der Baukultur und der Architekturpolitik käme bei der Neukonstituierung der politischen Öffentlichkeit in grundlegende Fragen eine besondere Rolle zu.

4.5 Paradigmenwechsel
Übergreifende Diagnosen, ein neues Verständnis der Voraussetzungen von Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung in den globalen Zusammenhängen sind möglich. Einsichten in die großen Zusammenhänge der Urbanisierung der Erde und ihre kulturellen Folgen, in die Zusammenhänge von Architektur, Stadtentwicklung und Landschaftsverbrauch, in die Veränderung großer Kulturräume werden zu architekturpolitischen Aufgaben.

"Ressource Architektur" ist unter diesen neuen Voraussetzungen ein hochaktuelles Thema. Die Chance bietet sich, zu klaren Begriffen, klaren Beschreibungen und klaren Perspektiven zu kommen.

Eine Aufgabe des Weltkongresses besteht darin, die Welt im Dialog der Disziplinen so zu beschreiben, wie sie sich für neue Perspektiven im Vergleich zu unserem bisherigen Weltbild gewandelt hat. Denn es werden sich immer dann neue Perspektiven entwickeln, wenn ein Paradigma, eine Weltsicht in sich zusammenbricht, die zu lange rationalisiert, immunisiert, gerechtfertigt und gegen die Konkurrenz anderer Paradigmen geschützt worden ist.

Die Welt ist weithin noch so, wie sie vor dem 11. September 2001 war, eine Welt aus getrennten Teilen, getrennten Regionen, deren wechselseitiges Verständnis erst mit dem irreversiblen Prozess der Globalisierung in Gang kommt. Wenn die Welt jetzt ein übergreifendes Muster gegenseitigen Verständnisses hervorbringen sollte, braucht sie ein neues Paradigma.

Der XXI. UIA Weltkongreß für Architektur dient unter den veränderten Voraussetzungen genau der Aufgabe des Paradigmawechsels:

dem Zusammentragen symbolischer Regeln für den überregionalen Austausch über die Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung der Regionen dieser Welt und der Debatte über Musterbeispiele. Der Weltkongreß soll neue Fragen an die Disziplin stellen, sie aber auch von außen an die Disziplin stellen lassen.

4.6 Ressource Architektur - ein Konzept globaler Umwelt- und Kulturpolitik
Welche Folgen sich beim Scheitern einer modernen globalen Umwelt- und Kulturpolitik einstellen könnten, zeigen die aktuellen Ereignisse die in Terror und Vergeltungskrieg mündeten.

Längst sind aber auch Berichte über dramatische Umweltkatastrophen nicht mehr Horrorszenarien aus Hollywood-Filmen, sondern alltäglich. Nicht nur in den krisengeschüttelten armen Ländern des Südens. Überschwemmungen in England und Italien, Hurrikans in Florida, Luft- und Wasserverschmutzung in allen Industrieländern. Der Klimawandel kennt keine Gewinner - nur Verlierer. Die Kosten durch Umweltkatastrophen steigen rasant.

Ein Faktor der regionalen Anwendung neuartiger Entwicklungsprinzipien kann eine innovative und nachhaltige Architektur, Stadt- und Landschaftsentwicklung sein, die als Teil einer globalen Umweltpolitik, als Teil einer globalen Industrie- und Arbeitsmarktpolitik, ja, als Teil einer neuen globalen Friedenspolitik gegenüber Menschheit und Umwelt wirksam werden könnte.

Der XXI. UIA Weltkongress für Architektur in Berlin 2002 macht - auch in der Folge des 11. September 2001 und der nachfolgenden kriegerischen Ereignisse - diese inhaltliche Entsprechung der Architektur, Stadt- und Landschaftsentwicklung zu einer solchen globalen Friedenspolitik zum Leitthema.

4.7 Weltkongress der Vorausschau
Die Weltzivilisation des 21. Jahrhunderts muß dialogisch begriffen werden, nicht zentralistisch, sondern interkulturell in allen Lebensbereichen. Sie besteht aus einem geordneten Ganzen verschiedener Teile als Ergebnis einer historischen Diversifikation, die durch Integration im Gleichgewicht gehalten werden muss. Die globalisierte Weltwirtschaft kann auf Dauer nur Erfolg haben, wenn wir uns mit der Vielfalt der Weltkulturen auseinander setzen.

Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung als kulturelles Leitmedium einer Welt-Umwelt-Kultur bietet eine jener übergreifenden Bedingungen, an denen die Weltentwicklung deutlich wird. Darin liegt eine große Chance, vorausgesetzt der XXI. UIA Weltkongress für Architektur liefert anschauliche, verständliche Bilder für den Zusammenhang von Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung mit den umweltpolitischen und kulturpolitischen Themen im Weltmaßstab.

Mit der Schwerpunktverlagerung zu Themen, die sich auf eine zukunftsfähige Welt-Umweltpolitik und eine neue Welt-Kulturpolitik beziehen, will der Kongreß zu neuen Begriffsbildungen übergehen, die in eine kulturpolitische Disziplin münden. Einer Disziplin die sich in den Rahmen einer globalen Umwelt- und Kulturpolitik stellt, die dabei mitwirkt, zukünftige Entwicklungen im globalen Zusammenhang zu antizipieren.

Die Architektur-, Stadt- und Landschaftsentwicklung kommt, gar nicht mehr daran vorbei, sich in den Dienst an einer modernen, nachhaltigen, Welt-Umweltpolitik und Welt-Kulturpolitik zu stellen.

Der XXI. UIA Weltkongress für Architektur in Berlin vom 22. bis 26. Juli 2002 möchte für diese Perspektive die dazu notwendige Öffentlichkeit herstellen.

5. Abschlußbemerkung


Seit 1953 hat der Bund Deutscher Architekten BDA - als die damals bedeutendste Architektenorganisation Deutschlands - die deutsche Architektenschaft in der UIA vertreten. Als Mitglied des Präsidiums, als Vizepräsident und als Präsident des BDA in den Jahren 1992 bis 2000 habe ich mich dafür eingesetzt, die UIA als Plattform für die internationale Positionierung unseres Berufsstandes besser zu nutzen. Der XXI. Weltkongress stellt gewissermaßen den Höhepunkt und den Abschluß der BDA-Politik auf diesem Gebiet dar.

Ich habe mich immer dafür ausgesprochen, daß diese berufsinhaltlich und berufspolitische Arbeit künftig auf eine breitere, gemeinsame Basis gestellt werden sollte um unsere Kräfte zu bündeln und vereint für die neuen Bedingungen der internationalen Marktöffnungen für Dienstleistungen - also auch für Architekten - einzusetzen.

Ich freue mich deshalb hier mitteilen zu können, daß die Bundesarchitektenkammer als die bedeutendste berufständische Organisation im Einvernehmen und gemeinsam mit dem BDA und den anderen Verbänden nach dem UIA Weltkongress die Arbeit auf dieser internationalen Ebene mit allen verfügbaren Kräften weiterführen wird.

Zum Abschluß möchte ich mich für Ihre freundliche Aufmerksamkeit für diese langen Ausführungen bedanken und Ihnen allen für das neue Jahr Ideen, Kreativität, Freude an diesem schönen Beruf und nicht zuletzt Gottes Segen wünschen.

Andreas Gottlieb Hempel
Kongresspräsident des XXI. UIA Weltkongresses Berlin 2002
1. Vizepräsident UIA

Erfurt, 14. Januar 2002
(Aufgrund der kurzfristig eingetretenen Krankheit des Herrn Hempel wurde die Rede verkürzt durch den neugewählten Präsidenten des BDA, Herrn Kasper Kraemer, vorgetragen)

veröffentlicht am 14.01.2002 von Susann Weber · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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