Wolfgang Kil: Ein Thema und 19 Variationen
Das Thüringer Programm zum Umbau von Plattenschulen
Nicht nur Wohnungen, auch Schulen wurden in der DDR als typisierte Montagebauten errichtet. Da für deren Entwicklung die einzelnen Baukombinate zuständig waren, lassen sich 12 verschiedene Typenprojekte unterscheiden, die innerhalb eines Bezirkes jeweils einheitlich zur Anwendung kamen (allerdings gab es individuelle Anpassungen an die topografische Situation der Standorte). Im heutigen Freistaat Thüringen wird der Großteil des überwiegend aus den 60er bis 80er Jahren stammenden Schulbestandes durch zwei einander recht ähnliche Wiederverwendungsprojekte bestimmt: durch den „Typ Erfurt“ sowie den „Typ Gera“. Beide Varianten bestanden aus einem viergeschossigen Riegel für die allgemeinen Klassenräume sowie einem symmetrisch hinzu gesetzten dreigeschossigen Fachklassentrakt; zwischen den zwei Gebäudeteilen befand sich ein Verbindungsbau. Anders als in Berlin, Leipzig oder Cottbus hatte man sich in Erfurt und Gera für den sogenannten „Schustertyp“ entschieden, d.h. aus raumökonomischen Überlegungen wurde auf lange Flure verzichtet. Die einzelnen Klassenräume wurden über separate Treppenhäuser erschlossen, was die gebäudeinterne Kommunikation allerdings erschwerte.
Das heute dreigliedrige Schulsystem führt zu deutlich ausdifferenzierten Raumprogrammen für Grundschulen, Regel-(Real-)Schulen und Gymnasien. Auch sonst bedurften die für ein gänzlich anderes Schulsystem entwickelten Gebäude aus DDR-Zeit weitreichender Veränderung. Den rund 200 Plattenbauschulen Thüringens fehlten vor allem Pausen- und Kommunikationsflächen sowie Aula-, Mehrzweck-, Musik- oder Hort-Räume. Gemeinsam mit dem Kultusministerium ermittelte die Staatshochbauverwaltung* Ende 1998 den landesweiten Sanierungs- und Modernisierungsbedarf und beschloss ein Pilotprojekt, in dem 17 zur Sanierung anstehende kommunale Schulen sowie zwei staatliche Sportgymnasien nicht nur repariert oder auf den technisch neuesten Stand gebracht, sondern auch architektonisch deutlich aufgewertet werden sollten. Für diese Beispielobjekte wollte sich das Finanzministerium mit der Installierung eines Projektkoordinators, einer Übernahme von Planungskosten (bis zur HU Bau) sowie mit einer fünfzigprozentigen Förderung der Baukosten engagieren. Die Erwartungen waren hoch gesteckt. Einerseits sollte den gleichförmigen Plattenbauten eine prägnante, identitätsfördernde Gestalt nach dem Motto „Unsere Schule!“ verliehen werden. Andererseits war aber auch Hoffnung auf das Prinzip Serie gerichtet: Wenn die Schulen nach einheitlichen Projekten errichtet waren, so müssten doch mit einer ebenfalls „auf Serie“ konzipierten Umbaustrategie Synergieeffekte zu erzielen sein. Man glaubte, mit vier Architekturbüros auszukommen.
Gegen soviel „Normierung“ des Umbaus setzte sich allerdings die Architektenkammer zur Wehr, sie forderte die Beteiligung mehrerer Planungsbüros, und zwar ausdrücklich solcher aus Thüringen. Also wurde 1999 unter 12 ausgewählten Büros (nach 174 Bewerbungen) ein standortloser Ideenwettbewerb durchgeführt, dessen Prinzipvorschläge einen ersten Überblick über Art und Umfang möglicher (bzw. irrealer) Veränderungen an den Typengebäuden erbrachten. Nach einer hieraus erstellten Machbarkeitsstudie legten Bauverwaltung und örtliche Träger die endgültigen Umbau-Objekte fest und formulierten für diese die jeweils konkreten Anforderungen. Danach wurden die Vorhaben ausgeschrieben, pro Standort gab es durchschnittlich 200 Bewerber. In einem recht aufwändigen Auswahlverfahren einigten sich Staatshochbauamt, örtliche Träger und Schulvertreter auf 19 Büros, die mehrheitlich zu Arbeitsgemeinschaften zusammengespannt wurden. Auf einzelne Auftragnehmer konnten auch mehrere Objekte entfallen.
Als echter „Serieneffekt“ schlug die Tragwerksplanung zu Buche, die von nur zwei Ingenieurbüros für sämtliche Standorte realisiert werden konnte. Allerdings stellte sich während der Arbeit heraus, dass wegen der vielen lokalen Anpassungsvarianten und bauhandwerklicher Abweichungen bei der Montage kein Schulgebäude einem anderen glich; wie bei jedem herkömmlichen Umbauvorhaben waren also auch bei Typenprojekten jeweils individuelle Bauaufnahmen unverzichtbar.
Trotzdem hat die zwischengeschaltete Phase der Ideenentwürfe „vereinheitlichend“ gewirkt, an allen Standorten lassen sich einige wiederkehrende Entwurfsmotive feststellen. So sind durchweg die Verbinder zwischen den Klassentrakten abgerissen worden. An ihre Stelle treten sehr variantenreiche Pausenhallen, die – mal als offener Hof, mal als gläsern überdachtes Foyer – den Schulen nicht nur ein kommunikatives Zentraltreppenhaus, sondern auch ein repräsentatives Entreé verschaffen. Überhaupt wurde auf die Inszenierung neuer Eingangssituationen, häufig in räumlicher Verbindung mit zusätzlichen Raummodulen für Aula und Speisesaal, großer Wert gelegt. Weiterhin wurden in allen Fällen Laubengänge vorgesehen, die den bisher isoliert gestapelten Normalklassen eine horizontale Erschließung in den Geschossebenen ermöglichen. Schließlich erhielten sämtliche Betonfassaden eine Dämmverkleidung, die unter einem (zumeist kräftig farbigen) Putzmantel die vorherige, streng rationalistische Architektursprache der Montageelemente zwar leicht verfremdet, aber im Grunde doch wiedererkennbar „aufbewahrt“.
Den interessantesten Aufschluss über mögliche Synergieeffekte gewann die Bürogemeinschaft Stadermann /Junk&Reich, die insgesamt fünf Schulen realisieren konnten. Anhand einer 3D-Simulation entwickelten sie ein Modulsystem, welches je nach Raumprogramm abzureißende und neu hinzuzufügende Bauteile auswies. Mit Blick auf den engen Kostenrahmen galt der Grundsatz, in den bestehen bleibenden Gebäudeteilen so wenig Substanz wie möglich anzugreifen (denn erfahrungsgemäß stellen neue Öffnungen in den vorhandenen Betonstrukturen weniger ein technisches, als vielmehr ein statisches und somit ein Sicherheitsproblem dar). Darüber hinaus boten fünf gemeinsam zu bearbeitende Standorte die Chance, einheitliche Lösungen für Dämmfassaden, Fenster, Sonnenschutz und Akustikdecken zu entwickeln, wodurch – noch unterstützt durch ein markantes Rot-Gelb-Blau für die jeweils verschieden kombinierten Baukörper – zumindest vier dieser Schulen als „von einer Hand“ erkennbar werden. Die fünfte schließlich, das Marie-Curie-Gymnasium in Bad Berka, hat durch kräftige Neubauakzente unter geschickter Ausnutzung der Hanglage eine solche Präsenz gewonnen, dass dem Projekt der diesjährige Thüringische Staatspreis für Architektur und Städtebau zugesprochen wurde.
Während die Anpassung der Funktionsprogramme nach wie vor Sache der jeweiligen Schulverwaltungen ist, verstand sich die Initiative „19 Schulen auf einen Streich“ der Staatsbauverwaltung wesentlich als Revue architektonischer Möglichkeiten und somit als Beitrag zur Förderung der Baukultur im Alltag. Sie hat nicht nur für etwa 8200 Schüler und 900 Lehrer die Lern- und Arbeitsbedingungen einschneidend verbessert. Sie erbrachte obendrein den Nachweis, dass alte Plattenbauschulen relativ problemlos und variantenreich auf aktuelle Standards umzurüsten sind, und zwar für die knappe Hälfte sonst üblicher Neubaukosten. Während vor Beginn des Programms viele Schulträger dem zusätzlichen Aufwand skeptisch gegenüber standen, sind heute alle von den Ergebnissen begeistert. Gerade mit Blick auf neue Raumanforderungen bei Einführung der Ganztagsschule sollten die Thüringer Erfahrungen auch in anderen Bundesländern auf Interesse stoßen.
Ausführlichere Informationen über sämtliche 19 Projekte können auf der Homepage des Thüringischen Finanzministeriums eingesehen werden.
*Zu Beginn des Schulumbau-Programms war die Staatliche Hochbauverwaltung noch dem Finanzministerium zugeordnet. Inzwischen gibt es in Thüringen ein eigenes Ministerium für Bau und Verkehr.