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„Die Suche nach dem Speziellen, den Eigenheiten vor Ort, bereitet uns zumindest immer wieder Vergnügen“

DAB-Reihe „Wir für hier“ – Im Porträt: Architektin Julia Naumann und Architekt Max Wasserkampf

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Julia Naumann und Max Wasserkampf, Bild: NWA

Mit der DAB-Reihe „Wir für hier“ versammeln wir Stimmen von Mitgliedern aller vier Fachrichtungen, die sich nach dem Studium dazu entschieden haben, ihren Beruf in Thüringen auszuüben – als Gebliebene, Zugezogene oder Zurückgekehrte.

In den Gesprächen erzählen sie von der Motivation, für Thüringen in ihrer Profession zu wirken und von den Besonderheiten ihrer Region. Außerdem gibt die Reihe Einblicke in Themen und Anliegen, die junge Kammermitglieder derzeit bewegen.

Diesmal im Porträt: Julia Naumann, 34, und Max Wasserkampf, 36, die gemeinsam das Büro Naumann Wasserkampf Architekten in Weimar führen. Ihr Erstlingswerk, ein Wohnhaus in Rott, sorgte laut baunetz.de „rasch für regionale Aufmerksamkeit“. Nicht das Streben nach einem formalen Strukturalismus treibe die Architekten an, sondern die Suche nach benutzerfreundlichen und effizienten Raumkonfigurationen.

DAB: Was hätte Sie nach dem Studium aus Thüringen weggelockt?
Julia Naumann: Die Frage sollte lauten: „Was hat uns zurückgelockt?“ Denn zunächst haben wir Thüringen verlassen, um in größeren Städten zu arbeiten. Die Möglichkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität zu arbeiten, war für Max Grund genug, um nach Weimar zurückzukommen.

Max Wasserkampf: Etwa ein Jahr später, kurz vor der Geburt unseres ersten Kindes, zog Julia hinterher. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch unklar, ob wir in Weimar bleiben würden.

Welche Möglichkeiten eines Berufseinstieges hatten Sie nach Ihrem Studium, wann und warum haben Sie sich für Thüringen entschieden?
JN: Eigentlich wussten wir schon sehr früh, dass wir uns selbstständig machen wollen. Und obwohl wir bereits während des Studiums selbst Wettbewerbe bearbeitet haben, war uns klar, dass wir vom „daily (architecture) business“ keine Ahnung hatten. Leistungsphasen, HOAI, DIN-Normen – all das war uns weitestgehend unbekannt. Daher arbeiteten wir zunächst als angestellte Architekten für etablierte Büros in Dresden und Leipzig, um praktische Erfahrungen zu sammeln. Der Berufseinstieg in die Selbstständigkeit gelang dann mit dem Ende der Elternzeit und mit Max’ Teilzeitstelle an der Bauhaus-Universität Weimar tatsächlich eher spontan und nicht von langer Hand geplant.

Erzählen Sie uns von Ihrem Berufseinstieg: Wie ist der Übergang von Hochschule in den Beruf gelungen, was waren die ersten Projekte?
MW: Unser Kind ging ab Januar 2017 in die Kinderkrippe. Voller Eifer begannen wir noch im gleichen Monat mit dem Wettbewerb „Das 100“ – einem Studierendenwohnheim in Weimar. Entgegen jeglicher Erwartungen gewannen wir einen von zwei ersten Preisen, leider wurde unser Beitrag nicht umgesetzt. Kurz darauf gewannen wir dann den Wettbewerb „Museum Lützen 1632“, den wir für Julias letztes Büro machten; die Fertigstellung ist für 2023 geplant.

Muss man in Thüringen aufgewachsen sein, um sich hier wohl zu fühlen?
JN: Man kann sich zumindest in Weimar wohlfühlen, ohne hier aufgewachsen zu sein. Kurze Wege führen durch malerische Gassen, schöne Plätze und beindruckende Parkanlagen; ab und an vergisst man sogar, dass man – nicht wie viele andere, die in der Stadt unterwegs sind – noch zurück an den Schreibtisch muss. Außerdem locken die renommierten Hochschulen und das DNT Studierende und junge Familien aus allen Ecken Deutschlands und auch aus dem Ausland nach Weimar, wodurch eine tolerante und offene Atmosphäre entsteht. Zugegeben: Die soziale Durchmischung bleibt etwas auf der Strecke und wir müssen uns immer mal wieder bewusst machen, dass wir hier in einer rosaroten Blase leben.

Welche Rolle spielen Netzwerke aus Ihren Studienzeiten?
MW: Absolventen der Bauhaus-Universität zieht es oft in namhafte Architekturbüros, später machen sich einige von ihnen selbstständig. Der Austausch mit unseren ehemaligen Kommilitonen – viele davon sind Freunde geblieben – findet auf fachlicher, aber auch auf persönlicher Ebene statt.

Was vermissen Sie hier in Thüringen?
JN: Ich bin in Leipzig aufgewachsen und mir fehlt manchmal die Ruhelosigkeit und das Gewimmel der Großstadt.

Welches Potenzial hat Thüringen für Sie als Architektin bzw. Architekt?
JN: Wir gehören zu den sehr wenigen jungen Büros in Thüringen, was Fluch und Segen zugleich ist. Einerseits kommt man sehr schnell mit den etablierten Büros in Kontakt, auf der anderen Seite hat man als junges Büro oft das Gefühl, keine Lobby zu haben. Als großes Potential sehen wir daher, als junge Architekten durch Gremienarbeit Dinge verändern zu können.

Wie fühlen Sie sich als junge Familie in Thüringen aufgehoben?
MW: Weimar ist ein wunderbarer Ort für junge Familien. Die Stadt besitzt den richtigen Maßstab für (kleine) Kinder. Es gibt genügend Kultur- und Freizeitangebote sowie ein breit aufgestelltes Bildungssystem. Der Freistaat sollte viel mehr mit seinem familienfreundlichen Image werben und diese Standortqualität auch weiter ausbauen.

Was macht das Arbeiten in Weimar besonders?
JN: Der Kontakt zur Universität bedeutet uns viel – der Austausch mit Studierenden, Mitarbeitern, Professoren; die Angebote der Institution in Form von Symposien, Podiumsdiskussionen etc. und auch die Möglichkeit, das Angebot der gut sortierten Universitätsbibliothek nutzen zu können.

Woran arbeiten Sie zurzeit?
MW: Wir arbeiten, zusammen mit einem Dresdener Büro, an der Umsetzung des Museums Lützen 1632, dessen Wettbewerb wir 2017 gewannen. Weiterhin wird der erste Bauabschnitt der Wohnbebauung Böllberger Weg in Halle (Saale) bis 2023 fertiggestellt, auch dieses Projekt stammt aus einem Wettbewerbsgewinn. Für die Klassik Stiftung Weimar realisieren wir die sanitären Anlagen in den Parks in und um Weimar. Zudem beginnen wir in der kommenden Woche einen neuen Wettbewerb, der sich mit generationenübergreifendem Wohnen beschäftigt; darauf freuen wir uns schon sehr.

Welche Rolle spielt die Baukultur in Ihrer Region, gibt es regionaltypische Aspekte? Und welchen Stellenwert hat die regionale Baukultur für Sie persönlich?
JN: Es ist tatsächlich ein bisschen kurios – in der hiesigen Universität ist das Thema der Baukultur so präsent wie es in der regionalen Praxis absent zu sein scheint. Viele aktuelle Bauten beziehen sich nicht mehr auf unser doch sehr reiches (bau-)kulturelles Erbe vor Ort; referenz- und dadurch oft seelenlose Architekturen entstehen. Und dabei haben wir hier in Thüringen doch jede Menge wunderbare, teils sehr berühmte Bauten, wie in Weimar das Haus Hohe Pappeln und die ehemalige Kunstgewerbeschule von Henry van de Velde, das Haus am Horn von Georg Muche oder auch den Eiermann-Bau in Apolda. Abseits davon gibt es auch unbekannte und dennoch herausragende Architekturen, die man überall entdecken kann. Wir möchten jetzt nicht falsch verstanden werden – keineswegs geht es uns um die Heraufbeschwörung vergangener Epochen unter dem Deckmantel einer idealisierten Vergangenheit! Für uns vereint Baukultur vielmehr regionale Eigenheiten – manchmal Merkwürdigkeiten – mit einem zeitgemäßen Ausdruck und unter Berücksichtigung technischer Möglichkeiten. Die Suche nach dem Speziellen, den Eigenheiten vor Ort, bereitet uns zumindest immer wieder Vergnügen.

Wie sind Sie zur Architektenkammer gekommen und was wünschen Sie sich von Ihrer Kammer?
JN: Nur die Kammermitgliedschaft erlaubt einem die Berufsbezeichnung zu führen, nur mit der Mitgliedschaft ist man vorlageberechtigt und darf Bauanträge unterzeichnen. Es handelt sich daher zunächst einmal um eine nicht zur Disposition stehende Notwendigkeit. Selbstverständlich sehen wir aber auch die Vorteile, die die Kammer bringen kann. Insbesondere wünschen wir uns eine gut funktionierende Schnittstelle zwischen Berufsständigen und Politikern (regional und national), engagierte Interessensvertreter und mehr Transparenz innerhalb der Kammer. Auch die zunehmende Digitalisierung von Veranstaltungen, zum Beispiel der Vertreterversammlung, würden wir in Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Wirtschaftlichkeit und Ressourcenverbrauch sehr begrüßen.

Welche Stärken sollten die hier agierenden Architekt*innen, Stadtplaner*innen, Innen- und Landschaftsarchitekt*innen für den Berufsstand einbringen und welche Themenfelder sind für die hier Arbeitenden derzeit von herausragender Bedeutung?
MW: Aufgefallen ist uns als Büro, dass ja vorrangig durch Wettbewerbe akquiriert wird, dass es keine offenen Wettbewerbe mehr in Thüringen gibt und dass auch die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit bei Verfahrensbewerbungen deutlich und nicht nachvollziehbar erhöht wurden. Nicht selten müssen auch für überschaubare Bauvolumina absurde Referenznachweise aufgeführt werden, was junge Büros kategorisch ausschließt. Gleichzeitig wundert man sich, warum es in Thüringen keine jungen Kollegen (mehr) gibt. Das ist doch paradox! Wir müssen die Schwellen senken, Verfahrensbetreuer*innen müssen häufiger die Kategorie „Junge Büros“ einführen, es muss wieder offene Wettbewerbe geben und mittelfristig muss vor allem das Vergaberecht novelliert werden, das in der derzeitigen Fassung die Benachteiligung junger und kleiner Büros legalisiert! Wir werden an der Generationenfrage in Thüringen scheitern, wenn wir nicht schnell und energisch unsere Wettbewerbskultur ändern.

Zeigen Sie uns Ihren Lieblingsort in Thüringen – und erklären Sie ihn uns!

JN: Es gibt so viele schöne Orte in Thüringen, aber besonders gern sitzen wir auf dem Herderplatz in Weimar und blicken auf die Stadtkirche Sankt Peter und Paul.

Vielen Dank.

Sie möchten sich ebenfalls mit einem Porträt über Ihr Wirken in Thüringen beteiligen? Schreiben Sie gerne an: radermacher@architekten-thueringen.de

veröffentlicht am 22.07.2022 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Wir für hier

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