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„Jede Region hat gute Architektur verdient“

DAB-Reihe „Wir für hier“ – Im Porträt: Architektin Frauke Kliemannel

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Frauke Kliemannel, Bild: privat

Mit der DAB-Reihe „Wir für hier“ versammeln wir Stimmen von Mitgliedern aller vier Fachrichtungen, die sich nach dem Studium dazu entschieden haben, ihren Beruf in Thüringen auszuüben – als Gebliebene, Zugezogene oder Zurückgekehrte.

In den Gesprächen erzählen sie von der Motivation, für Thüringen in ihrer Profession zu wirken und von den Besonderheiten ihrer Region. Außerdem gibt die Reihe Einblicke in Themen und Anliegen, die junge Kammermitglieder derzeit bewegen.

Diesmal im Porträt: Frauke Kliemannel, 37, Architektin und Netzwerkerin im Südharz. Zusammen mit Steven Hahnemann leitet Sie das Büro HK ARCHITEKTEN in Nordhausen.

DAB: Was hätte Sie nach dem Studium aus Thüringen weggelockt?
Frauke Kliemannel: Die Frage sollte lauten: „Was hat mich zurückgelockt?“ Denn zunächst habe ich Thüringen nach der Schule verlassen, um in Darmstadt und München Architektur zu studieren. Der Gedanke, mit meinem Mann wieder auf das Land in unsere gemeinsame Heimat zu ziehen, reifte nach etlichen Jahren Leben und Arbeiten in Großstädten. Gegen den Trend sahen wir es als Herausforderung und persönliches Experiment an, dem ländlichen Raum eine Chance zu geben. Mit viel Engagement und Einsatz für flexible Arbeitsmodelle verwirklichten wir unseren Traum, Arbeit und Privates auf dem Land in Einklang zu bringen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass nicht alle Menschen in Großstädten leben können und das Land ebenso lebenswert sein kann.

Welche Möglichkeiten eines Berufseinstieges hatten Sie, wann und warum haben Sie sich für Thüringen entschieden?
Nach dem Studium habe ich die Chance genutzt, als angestellte Architektin in einem renommierten Architektur- und Innenarchitekturbüro in Stuttgart zu arbeiten. Der Wunsch nach einem Eigenheim war dort mit immensen Kosten verbunden. Kinder in der Großstadt und in weiter Ferne der Großeltern aufzuziehen, entsprach ebenfalls nicht meinen Vorstellungen. Davon angetrieben, brach ich die Zelte ab und habe in der Region Göttingen in einem etablierten Architekturbüro angefangen zu arbeiten und dort meinen heutigen Büropartner Steven Hahnemann kennengelernt.

Der Wunsch nach eigener Selbstständigkeit wuchs mit dem Projekt Haus K in Ellrich – ein Refugium inmitten von reichlich vorhandener Natur für meinen Mann und unsere beiden Kinder. Die Herausforderung und das Ziel, den vorgefertigten Holzbau in der Region zu etablieren und somit einen Beitrag zum ressourceneffizienten nachhaltigen Bauen im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu leisten, bewegte mich schlussendlich zur Selbstständigkeit. Es folgten diverse Wohnhausprojekte in Holzbauweise für junge Familien und Rückkehrer, wie zum Beispiel Haus R in Weimar und Haus B in Westerengel.

Zusätzlich bin ich an der TU Braunschweig als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Dadurch behalte ich den Anschluss an aktuelle Entwicklungen und leiste einen Beitrag zur interdisziplinären Forschung in der Architekturlandschaft.

Erzählen Sie uns von Ihrem Berufseinstieg: Wie ist der Übergang Hochschule zu Beruf gelungen, was waren die ersten Projekte?
Der Übergang fiel mir leicht. Während des Studiums arbeitete ich immer parallel in Architekturbüros. Ich brauchte den Praxisbezug. Schon in dieser Zeit setzte ich erste kleinere Projekte eigenständig um. So war der Übergang von Hochschule zu Berufseinstieg nicht so hart. Eine Herausforderung war aber die Größe und Tragweite der Projekte nach dem Studium, darunter ein Kongresszentrum und große Einkaufszentren.

Muss man in Thüringen aufgewachsen sein, um sich hier wohlzufühlen?
Nein! Aber um sich an einem Ort, egal wo auf der Welt, wohlzufühlen, ist immer eigenes Empfinden gefragt. Jeder Ort der Welt sollte ein Wohlfühlort sein.

Welche Rolle spielen Netzwerke aus Ihren Studienzeiten?
Ich bin noch mit vielen meiner ehemaligen Kommilitonen und Kollegen befreundet. Sie besuchen mich gern auf dem Land, einige sind selbst in den ländlichen Raum zurückgekehrt. Fast alle sind noch als Architekten oder Innenarchitekten tätig. Zusammen haben wir schon viele spannende Diskussionsabende bezüglich des Lebens in der Großstadt und auf dem Land durchlebt.

Was vermissen Sie hier in Thüringen?
Wenn es nichts zum Vermissen gäbe, würde Stillstand eintreten. Von daher fallen mir eine Menge Verbesserungen ein und es ist mir zu einer Herzensangelegenheit geworden, das Leben im ländlichen Raum mit Impulsen und Initiativen zu beleben. Ich begleite die Netzwerkkirche Ellrich im Transformationsprozess zum neuen Typus Kirche. Es soll ein kultureller Begegnungs- und Veranstaltungsort über die Grenzen der Gemeinde hinaus entstehen. Ein unglaublich spannender Prozess.

Welches Potenzial hat Thüringen für Sie als Planende?
Die Südharzregion in der Mitte von Deutschland bietet große Chancen – eine gute Verkehrsverbindung inklusive Bahnanbindung relativiert Entfernungen. Ich verstehe die Region als eine Art Metropolregion im größeren Kontext – umgeben von etlichen Großstädten, die in circa einer Stunde erreichbar sind. Großartig!

Auch das Netzwerk mit Handwerkern ist eng, sicher auch ein Resultat des knappen Angebots. Die intensive Arbeit mit regionalen Firmen und das gewonnene Vertrauen zueinander sieht man in den Projektergebnissen. Ich verstehe den Bauprozess als Resultat einer gut funktionierenden Mannschaft aus Fachplaner*innen, Handwerker*innen und der Architektin als „Kapitänin“.

Wie fühlen Sie sich als junge Familie in Thüringen aufgehoben?
Wir fühlen uns als Familie unglaublich wohl. Die Wahl des Ortes fiel bewusst auf unsere Südharzer Heimatstadt Ellrich, die trotz ihrer geringen Größe alle wichtigen öffentlichen Einrichtungen bietet und eine starke Bindung zu unserer Familie mit sich bringt. Mit den Eltern in einem gemeinsamen Ort zu leben, erleichtert es ungemein, Familie und Beruf in Einklang zu bringen.

Was macht das Arbeiten hier besonders?
Es ist sehr bereichernd von der Expertise regionaler Firmen zu lernen. Mit ihnen setze ich „neue“ Techniken und Innovationen, wie den vorgefertigten Holzbau, um und versuche diese Bauweisen in der regionalen Baukultur zu verankern. Leider muss ich oft Überzeugungsarbeit für den Holzbau leisten, da er immer noch mit vielen Vorurteilen behaftet ist.

Woran arbeiten Sie zurzeit?
Zusammen mit meinem Büropartner arbeite ich an Projekten im Bereich Wohnungsbau und Schulbausanierung sowie an Innenarchitekturprojekten. Die kürzlich fertiggestellte umfangreiche Sanierung des Hauses B in Westerengel mit vielen innenarchitektonischen Highlights wird am Tag der Architektur 2023 teilnehmen, passend zum diesjährigen Motto „Architektur verwandelt“.

Für die Netzwerkkirche in Ellrich haben wir eine flexible und modulare Möbellandschaft entworfen und im partizipativen Prozess mit Bürger*innen weiterentwickelt. Dazu haben wir ein leerstehendes Ladengeschäft in der Ellricher Innenstadt wiederbelebt und das Schaufenster als Werbeträger für Informationen und Bekanntmachungen der Veranstaltungsreihe genutzt – ein „Pop-up-Werkraum“ für die Netzwerkkirche! Nun gilt es, die Kirche im Transformationsprozess hin zu einem offenen Veranstaltungs- und Begegnungsort zu begleiten.

Welche Rolle spielt die Baukultur in Ihrer Region, gibt es regionaltypische Aspekte? Und welchen Stellenwert hat die regionale Baukultur für Sie persönlich?
„Jede Region hat gute Architektur verdient“ – mit diesem Credo bin ich zurückgekehrt. Als interdisziplinäres Büro für Architektur, Innenarchitektur und Design habe ich mir zusammen mit meinem Partner als Ziel gesetzt, eine Architektur zu schaffen, die dauerhaft das Leben der Menschen bereichert, sinnvolle Innovationen bietet und über die reine Funktionserfüllung hinaus einen kulturellen Mehrwert in der Region liefert. Wir streben stets nach zeitgemäßen architektonischen Lösungsansätzen und ganzheitlichen neuartigen Konzepten. Hierbei ist unser höchster Anspruch, nachhaltig, ökologisch und energetisch bewusst zu bauen. Denn in diesen Punkten sehen wir einen großen Handlungsbedarf in der regionalen Baukultur.

Wie sind Sie zur Architektenkammer gekommen und was wünschen Sie sich von Ihrer Kammer?
Direkt nach meinem Diplom wurde mir als Berufseinsteigerin empfohlen, in die Kammer mit Kopplung an das Versorgungswerk einzutreten. Als Interessenverband und Sprachrohr für Architektinnen und Architekten leistet die Kammer einen wichtigen Beitrag für den Berufsstand. Für Existenzgründer sollte sie noch mehr Beratungsangebote anbieten und diese zum Start in die Selbstständigkeit beim Netzwerken unterstützen.

Welche Stärken sollten die hier agierenden Planenden für den Berufsstand einbringen und welche Themenfelder sind derzeit von herausragender Bedeutung?
Ich habe leider die Erfahrungen machen müssen, dass es schwer ist, als Newcomer-Büro an offenen Wettbewerben in Thüringen teilzunehmen, aufgrund der enorm hohen Anforderungen und damit verbundenen Referenznachweisen. Eine Chancengleichheit unter Berücksichtigung der Newcomer sollte für Wettbewerbe und öffentlichen Vergabeverfahren dringend geschaffen werden. Einerseits wird händeringend nach Architekten und Architektinnen gesucht, andererseits oftmals auf etablierte Büros zurückgegriffen und jungen Büros werden nur wenige Chancen gegeben.

Zeigen Sie uns Ihren Lieblingsort in Thüringen – und erklären Sie ihn uns!

Haus K: Refugium für meine Familie und mich. Wir genießen die Ruhe und entfliehen dem stressigen Berufsalltag, ideal zum Energie- und Krafttanken, als Inspirationsquelle, Ideenschmiede und Ort des Freigeistes.

Vielen Dank!

Sie möchten sich ebenfalls mit einem Porträt über Ihr Wirken in Thüringen beteiligen? Schreiben Sie gerne an: radermacher@architekten-thueringen.de

veröffentlicht am 30.06.2023 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Wir für hier

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