Zum Seiteninhalt Logo der Architektenkammer Thüringen

„Wir ehret das Oalt und grüßet das Nü.“

Bericht von der Architekturexkursion Vorarlberg vom 26. bis zum 29. Oktober 2023

25 Bilder vergrößern
Gruppenfoto vor Lehmbau-Wohnhaus Schlins, Architekten: Roger Boltshauser und Martin Rauch, Bild: Ines M. Jauck

Unter dem Motto „Wir ehret das Oalt und grüßet das Nü.“ brachen zwölf Freunde der Baukultur aus der planenden, handwerklichen, künstlerischen und lehrenden Zunft in unser Nachbarland Österreich zu einer viertägigen Architekturexkursion auf.

Die Idee zu dieser Reise wurde im März 2023 am Rande des Symposiums „Kultur Erbe Aneignung“ an der Bauhaus-Universität Weimar geboren. So übernahm Katja Huhle als Vertreterin der AG Baukulturelle Bildung der Architektenkammer Thüringen die Co-Organisation der Architekturreise von Anmeldung über inhaltliche Programmabstimmung bis Busreservierung. Fachlich vorbereitet und durchgeführt wurde die Exkursion von Saskia Jäger, Architektin aus Bregenz und seit vielen Jahren Architekturführerin im Vorarlberg unter anderem für das v.a.i. – Vorarlberger Architektur Institut.

Die Region Vorarlberg ist seit langem bekannt zum einen für ihre Vorreiter- und Vorbildrolle für regionaltypische und innovative Architektur in Symbiose mit regionalem Handwerk und zum anderen für eine große Wertschätzung von Architektur und Handwerk in der Bevölkerung, nicht zuletzt durch gute Baukulturvermittlungsarbeit. Voller Neugier starteten wir also in das Architekturabenteuer.

Den Auftakt bildete am Nachmittag des Anreisetags ein abwechslungsreicher Stadtspaziergang durch Dornbirn, angefangen bei der Sägerbrücke als filigranem Betonbau an einem stark frequentierten Verkehrsknotenpunkt (Architekturwerkstatt Dworzak-Grabher, 2016) über den noch im Bau befindlichen neuen Campus der Fachhochschule Vorarlberg in Dornbirn. Am CAMPUS V fanden wir besonders am Beispiel der POSTGARAGE (NONA Architektinnen, 2019) eine Antwort darauf, wie innovative zukunftsweisende Freiräume für den Nachwuchs aussehen können. Mit dem Weiterbau der ehemaligen Postbusgarage und Raumeinbauten im Innenraum wurde ein Coworking-Space mit Event-Arena und Café-Bar als Plattform und „Schaufenster“ für junge Startups in Kollaboration mit Unternehmen aus Kreativwirtschaft, Wissenschaft und Forschung geschaffen.

Neben vielen anderen zum Stadtspaziergang gestreiften Architekturen beeindruckte vor allem das Museum „inatura“ auf dem Gelände der ehemaligen Rüsch-Werke (HK-Architekten + Dietrich Untertrifaller Architekten + Architekturbüro Christian Lenz, 2003) – Industrie-, Natur- und Kunstmuseum in einem mit behutsamem Umbau und Adaptierung ehemaliger Industriegebäude und Umgestaltung der Außenräume zu einem öffentlichen, bespielbaren neuen Dornbirner Stadtgarten.

Der Freitag begann mit einem Treffen im Vorarlberger Architektur Institut, wo uns der Kurator Clemens Quirin durch die aktuelle Ausstellung „Refuse, Reduce, Re-use, Recycle, Rot“ führte und uns einen Kurzabriss über die seit den 1990er Jahren erfolgreiche Baukulturvermittlungsarbeit des v.a.i. gab. Nachahmenswert fanden vor allem die Mitglieder der AG Baukulturellen Bildung die Art und Weise der niederschwelligen Angebote von Beiträgen in der Tagespresse über Kurse und Veranstaltungsformate wie „Haus des Monats“ bis hin zu Architekturführungen.

Anschließend besuchten wir die Dornbirner Stadtbibliothek (Dietrich Untertrifaller Architekten, 2019), deren markantestes Merkmal der transparente Schirm aus 8.000 vorgefertigten Keramikhohlstäben, die die Assoziation an Buchrücken wecken, vor der organischen Glasfassade ist. Der Innenausbau der Stadtbibliothek mit naturbelassenem Holz wirkte auf alle mit seiner unaufgeregten Ästhetik beruhigend. Von hier ging es per Bus auf Tour ins Rheintal. Zuerst nach Hohenems, wo wir einen Eindruck einer erfolgreichen langjährigen und immer noch andauernden Quartiersentwicklung des von jüdischer Vergangenheit geprägten und lange Jahre in Vergessenheit geratenen Altstadt-Zentrums (Schadenbauer Projektentwicklung) bekamen. Viele historische Gebäude werden hier vor dem Verfall aus dem „Dornröschenschlaf“ gerettet und erhalten für einen funktionierenden wiederbelebten Ortskern geeignete neue Nutzungen, in vorgeschalteten Beteiligungsprozessen im „Visions-Café“ diskutiert.

Einen Höhepunkt des Tages bildete der anschließende Besuch der Firma „Lehm Ton Erde“ in Schlins. Der Begründer Martin Rauch zählt heute als bekanntester und innovativster Lehmbauer Europas. Uns beeindruckte vor allem die Experimentierfreude des Familienbetriebs vom Stampflehmboden über verschiedene Lehmbauwandkonstruktionen bis hin zum Fertigteilbau, entweder vor Ort im Werk oder über mobile Fertigungsstraßen direkt auf den Baustellen. Besichtigen konnten wir auch die Wohnhäuser der Familie Rauch und die Betriebserweiterung des Werks in Schlins inklusive der Musterräume.

Zum Abschluss des Tages besuchten wir den Islamischen Friedhofs in Altach (Bernardo Bader, 2012) vor herbstlicher Bergkulisse. Die Räumlichkeiten entwickeln sich aus dem Thema der Mauer aus rötlichem holzgeschaltem Beton, die überdeckte Räume und einen Innenhof bilden. An der Längsfassade fällt eine ornamentale Holz-Intarsie als subtiler Filter zwischen Innen und Außen ins Auge. Einen Moment der Stille erlebten wir im Andachtsraums (Azra Aksamija, Boston), in dem Vorhänge aus Metallgewebe mit eingeflochtenen, partiell goldbestückten Holzschindeln zentrales Element der Innenarchitektur sind.

Am Samstag ging es bei bestem Wetter und Weitsicht auf Tagestour in den Bregenzer Wald, vorbei an vielen traditionellen Bregenzerwald-Häusern, die als Erbe erhalten und behutsam für eine Wohnnutzung umgebaut werden, ergänzt von manchen Neubauten in Holzbauweise, die altbewährte Motive in die Neuzeit führen. Sehr eindrucksvoll war der Spaziergang durch die Weidenlandschaft nahe der Krumbacher Moore zur Kapelle Salgenreute (Bernardo Bader Architekten, 2016), die in einem mehrjährigen Prozess des gemeinsamen Planes und Bauens von Bürgern und Handwerkern aus Krumbach errichtet wurde. Die Kapelle aus Holz und Stein setzt mit ihrer signifikanten Form als steil aufstrebende Faltung, mit ihrer Einfachheit und Klarheit die Bautradition des Bregenzer Waldes fort. Im Innern dominiert neben der Einheitlichkeit von Wand und Dach das sehr helle frontal einfallende Licht, welches dem Raum eine besondere Stimmung verleiht. So erlebten auch wir begleitet durch die Geräuschkulisse der Kuhglocken von draußen diese spirituelle Ruhe und den Einklang des Raumes mit der Natur.

Mitunter humoristische Züge haben die sieben Krumbacher Bushaltestellen. International renommierte Architekten wurden mit dem Versprechen eines Bregenzer-Wald-Urlaubs zum Projekt BUS:STOP (in Kooperation mit dem Architekturzentrum Wien und dem Vorarlberger Architektur Institut) nach Krumbach gelockt – das Ergebnis sind sehr unterschiedliche Miniarchitekturen als ungewöhnlicher Dialog mit Vorarlberger Tradition, Baukultur und Handwerk.

Zeit nahmen wir uns auch für die Besichtigung des Pfarrsaals und der Bibliothek in Krumbach (HK Architekten + Bernardo Bader Architekten + Bechter Zaffignani Architekten ZT GmbH, 2013). Hier gab es einen kleinen Exkurs zur meisterhaften Handwerkskunst, regionales Holz aus den Gemeindebeständen und regionalen Sägewerken unbehandelt für Böden, Wand- und Deckenbekleidungen zu verwenden. Nach kurzem Zwischenstopp am vor allem für die Messe „Handwerk und Form“ berühmten Werkraum Bregenzer Wald in Andelsbuch (Peter Zumthor, 2013) war das letzte Ausflugsziel des Tages Schwarzenberg mit seinem sehr alten historischen Ortskern, an dessen Gebäuden wir die Holzbohlenbauweise mit Holzschindelverkleidung erleben konnten. Hauptziel war allerdings das Angelika-Kauffmann-Museum (Dietrich Untertrifaller, 2007). Der ehemalige Wälderhaus-Wohnteil aus dem 16. Jahrhundert dient als Heimatmuseum. Das neue Angelika-Kauffmann-Museum füllt den früheren Wirtschaftstrakt und wird über dessen Tenne betreten. Eine breite Schiebewand bildet die innere Verbindung zwischen Alt und Neu. Der Ausstellungssaal wurde als flach gedecktes „Haus im Haus“ in die Scheune eingefügt, meisterhaft gestaltete Glasfugen als Fenster auf die alte Scheunenkonstruktion sowie geschickt integrierte Fugen für technische Installationen. Tradition und Innovation werden in diesem Bauwerk in zurückhaltender Weise geschickt miteinander verknüpft.

Der Sonntagvormittag vor unserer Abreise war neuer Architektur in Bregenz gewidmet. Wie eindrucksvoll zeitgemäßer Bildungsbau im Vorarlberg gelingt, zeigten zwei Besichtigungen im Bregenzer Stadtteil Vorkloster: Der neue Kindergarten St. Gebhard (DORNERMATT, 2020) ist eine Abfolge von hohen, lichtdurchfluteten Erschließungsräumen mit Luftbrücken aus Sichtbeton und wohlig-warmen Gruppen- und Ausweichräumen aus Eichenholz. Diese Führung war für uns sehr exklusiv, denn Saskia Jäger selbst war die projektleitende Architektin in der Ausführungsphase. Sie gab uns einen Eindruck davon, wie eng die Abstimmung vieler Details mit Bauherrn, Nutzern und Behörden erfolgte – trotz nur zweijähriger Planungs- und Ausführungszeit. Unmittelbar neben dem Kindergarten grenzt die Schule Schendlingen (Architekt Matthias Bär ZT GmbH + Architekt Bernd Riegger ZT GmbH + Querformat ZT GmbH, 2017) an. Durch einen glücklichen Zufall erhielten wir durch einen Physiklehrer der Schule eine kleine fachkundige Führung durch die Schule nach Cluster-Konzept. Jedes Cluster besteht aus jeweils drei Klassenräumen, die um eine zentrale Gemeinschaftsfläche beziehungsweise den daran angeschlossenen Außenbereich gruppiert sind. Über transparente Eingänge wird das Innenleben der einzelnen Räume zum Flur hin sichtbar. Das Herzstück des Schulneubaus ist der geschossübergreifende Lichthof, in dem auch die zentrale Begegnungszone des Hauses liegt. Neben Sichtbeton fanden sägeraue Holzböden und Einbauten aus Esche sowie Akustik-Baffles aus Filz der regionalen Sattlerei Mohr Polster aus Andelsbuch Anwendung.

Nach einem Spaziergang an der Bregenzer Seebühne mit dem Festspielgelände (Dietrich Untertrifaller, Hauptgebäude 2006) und einem kurzen Blick auf eine laufende Baustelle von DORNERMATT hieß es voller neuer Inspirationen und erfüllt von intensiven Begegnungen mit gleichgesinnten Menschen Abschied nehmen aus der Region Vorarlberg – verbunden mit dem Versprechen, wiederzukommen und vor allem mit dem v.a.i. Kontakt zu halten.

In Vorarlberg gelingt eine Symbiose von experimenteller, neuer und doch regionaltypischer in den umgebenden Landschaftsraum passender Architektur; eine Architektur, die mit regionaltypischen Elementen das Vorhandene aufgreift und weiterentwickelt.

In den Köpfen der Mitglieder der Architektenkammer ist eine nächste Architekturreise 2024 an andere inspirierende Orte längst im Gange.

Katja Huhle, AG Baukulturelle Bildung

veröffentlicht am 21.11.2023 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News

Diese Seite teilen

Die AKT in den sozialen Netzwerken