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Artikelreihe zum Stadtumbau in Erfurt

Quelle: Internetseiten der Stadt Erfurt

Inhaltsübersicht

Nr. 1 - Was ist Stadtumbau? Information über die Artikelreihe
Nr. 2 - Ziel und Zweck eines Stadtentwicklungskonzeptes
Nr. 3 - Einwohnerentwicklung und Prognosen
Nr. 4 - Unterschiedliche Betroffenheit von Stadtgebieten
Nr. 5 - Sonderfall Großsiedlungen
Nr. 6 - Voraussetzungen für den Stadtumbau in Innenstadtgebieten
Nr. 7 - Einflussmöglichkeiten beim Stadtumbau in Innenstadtgebieten
Nr. 8 - Strategie für den Stadtumbau in der Gesamtstadt
Nr. 9 - Stadtumbau und Infrastruktur
Nr. 10 - Aufbau und Systematik Stadtentwicklungskonzept
Nr. 11 - Ziele der Stadtentwicklung für Erfurt
Nr. 12 - Das Stadtbeobachtungssystem
Nr. 13 - Die Grundtypen der Intervention
Nr. 14 - Der Masterplan II
Nr. 15 - Bürgerbeteiligung im Stadtumbau

Artikelreihe zum Stadtumbau in Erfurt
Quelle: Internetseiten der Stadt Erfurt

Nr. 1 - Was ist Stadtumbau? Information über die Artikelreihe

Verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Seit einigen Jahren gehen bedrohlich klingende Nachrichten durch die Medien: "Unsere Städte schrumpfen", "Die Deutschen werden immer weniger" oder "Wo heute noch Häuser stehen, werden bald die Schafe weiden". Von einem grundlegenden "Paradigmenwechsel" (Vorzeichenwechsel) in der Stadtentwicklung ist die Rede und vom "Demographischen Wandel". In vielen Reportagen wird über den "Stadtumbau" berichtet. Vielleicht waren Sie selbst schon betroffen vom Stadtumbau und mussten in eine andere Wohnung ziehen, weil das Haus, in dem Sie vorher gewohnt haben, abgerissen wurde.

Fest steht: Zahlreiche Städte und Regionen nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Teilen Europas sind von Einwohnerrückgängen betroffen. Dadurch werden immer weniger Wohnungen gebraucht, die Leerstände nehmen zu. Das hat nicht nur für die Eigentümer Folgen, sondern wird auch zu einem Problem für die Städte. Wer möchte schon in einer Straße wohnen, in der viele Gebäude leer und verwahrlost sind? Die Städte sind deshalb gezwungen, Konzepte und Strategien zu entwickeln, wie sie mit diesem Problem umgehen: Sie müssen planen, wie sie ihre Stadt so "umbauen" können, dass sie trotz Schrumpfung lebenswert und attraktiv bleibt.

Deshalb erarbeitet die Stadtverwaltung derzeit ein "Integriertes Stadtentwicklungskonzept", das den Stadtumbau in Erfurt langfristig planerisch vorbereiten soll. Nun sind Ursachen und Wirkungen, aber auch die Handlungsmöglichkeiten sehr viel komplizierter, als das im ersten Augenblick aussieht: So sind nicht nur die Plattenbausiedlungen von Einwohnerrückgängen betroffen, sondern auch andere Stadtgebiete. In wiederum anderen Gebieten besteht gleichzeitig eine steigende Nachfrage. Einwohnerzahlen, Zuzug und Fortzug oder der Altersdurchschnitt entwickeln sich sehr unterschiedlich.

In diesem Herbst wird die Stadtverwaltung den Entwurf zum Integrierten Stadtentwicklungskonzept öffentlich erläutern. Wenn Sie dann zu wenig über diese Zusammenhänge wissen, werden Sie vielleicht Schwierigkeiten haben, das Konzept nachvollziehen zu können. Deshalb möchten wir Ihnen die Möglichkeit geben, sich durch eine Reihe von regelmäßig erscheinenden Artikeln nach und nach einen Überblick über die besonderen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für den Stadtumbau in Erfurt verschaffen zu können.

Wir möchten Sie dabei nicht nur über die zukünftige Einwohnerentwicklung informieren, sondern auch über die ganz unterschiedlichen Voraussetzungen in den einzelnen Stadtteilen und die Eingriffsmöglichkeiten, über welche die Stadt im Rahmen des Stadtumbaus verfügt. Wir werden von übergeordneten Planungszielen der Stadt berichten, Ihnen die verschiedenen Planungen zum Stadtumbau vorstellen und deren jeweilige Auswirkungen erläutern.

Natürlich werden Sie dabei auch erfahren, wo und in welcher Form Sie sich in die Planung mit einbringen können und wo Sie aktiv daran mitwirken können, dass unsere Stadt trotz Schrumpfung immer attraktiver und lebenswerter wird. Denn eines darf man nie vergessen: Auch in einer kleiner werdenden Stadt lässt es sich hervorragend leben und wohnen.

Die insgesamt etwa 15 Beiträge sollen ab Mitte Juni alle drei bis vier Tage auf der Homepage der Stadt Erfurt erscheinen. Direkt auf der Startseite kommen Sie unter der linken Spalte "Aktuelles" zur Artikelreihe. Hier können Sie nicht nur den aktuellen Beitrag, sondern auch alle bis dahin bereits erschienenen Artikel nachlesen oder herunterladen. Falls Sie keinen eigenen Internet-Zugang haben, stellen Ihnen unsere Mitarbeiter in den Bürgerservicebüros der Stadt in der Berliner Straße 26, am Fischmarkt 5 und in der Löberstraße 34 und 35 gern einen Ausdruck zur Verfügung.

Nr. 2 - Ziel und Zweck eines Stadtentwicklungskonzeptes

Im letzten Beitrag haben Sie erfahren, dass die Stadtverwaltung derzeit ein "Integriertes Stadtentwicklungskonzept" erarbeitet. Damit soll der Stadtumbau in Erfurt langfristig planerisch vorbereitet werden. Heute möchten wir Ihnen erklären, wozu ein Stadtentwicklungskonzept überhaupt da sein soll und welche Auswirkungen es für Sie als Bewohner unserer Stadt oder als Gebäudeeigentümer hat.

Jede Stadt verändert sich von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr. Neue Nutzungen und Gebäude kommen hinzu, andere verändern sich oder fallen weg. Überließe man das ganz dem Zufall, wäre in der Stadt irgendwann Vieles am falschen Platz. Da ist jede Stadt gut beraten, wenn sie nicht nur auf die Gegenwart reagiert, sondern in die Zukunft blickt. Denn durch eine sorgfältige Planung können neue Entwicklungen so gut wie möglich in die Stadt eingeordnet und viele Fehlentwicklungen vermieden werden. Wenn die Stadt selbst investiert, hat sie dadurch auch mehr Sicherheit, dass sie dies an der richtigen Stelle tut.

Hierfür ist es notwendig, übergeordnete Leitziele für die Entwicklung der Gesamtstadt vorzugeben: Wo sollten grundsätzlich künftig Wohngebiete liegen, wo Parks und Grünzüge, wo können sich Gewerbebetriebe ansiedeln und wo sollte die Landschaft möglichst unberührt bleiben? Um so eine Planung möglichst realistisch zu machen, müssen alle Einflussfaktoren, die die Entwicklung der Stadt bestimmen, genau untersucht werden. Der erwartete weitere Einwohnerrückgang in Erfurt hat hier natürlich eine besonders große Bedeutung.

Ein unkontrollierter Schrumpfungsprozess, der nur den Gesetzen von Angebot und Nachfrage folgt, kann zu einer kleinräumig durchlöcherten Stadt führen, die schließlich kaum noch Lebensqualität bietet. Durch eine vorausschauende Planung könnten aber auch längerfristig neue Grünräume realisiert werden, die unter den bisherigen Wachstumsvoraussetzungen niemals möglich gewesen wären. Das könnte zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität in den übrigen Gebieten führen.

Wenn die Stadtverwaltung den Entwurf für das Integrierte Stadtentwicklungskonzept fertiggestellt hat, muss sie die Meinung der Bevölkerung dazu einholen. Meist gibt es daraus viele Anregungen und natürlich auch Kritikpunkte, die eingearbeitet werden müssen, bevor der Stadtrat das Konzept endgültig beschließt.

Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept hat zunächst keine unmittelbaren rechtlichen Folgen für Bewohner oder Eigentümer. Die Nutzbarkeit von Grundstücken wird dadurch nicht verändert oder eingeschränkt. Allerdings bindet sich die Stadt selbst an die Vorgaben ihrer Planung. Das heißt, sie wird keine Investitionen mehr tätigen, die dem Stadtentwicklungskonzept entgegenstehen. Auch nachfolgende Planungen, die dann tatsächlich neues Planungsrecht schaffen und unmittelbar auf die Nutzung von Grundstücken Einfluss haben, werden mit dem Stadtentwicklungskonzept übereinstimmen. Dies sind hauptsächlich Bebauungspläne, aber auch Sanierungssatzungen oder der Flächennutzungsplan.

Angesichts der Herausforderungen des Stadtumbaus haben Bund und Länder ein umfangreiches Förderprogramm aufgelegt, um den Städten zu helfen, den Stadtumbauprozess zu bewältigen und zum Wohl der Städte zu gestalten. Sie haben allerdings den Einsatz der Fördermittel aus dem Programm "Stadtumbau Ost" daran gebunden, dass die Städte ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept aufstellen. Dieses Konzept sollte möglichst bis zum Jahr 2020 reichen. Damit wird sichergestellt, dass keine Steuermittel sinnlos verschwendet werden und die geförderten Maßnahmen immer im Einklang mit der geplanten Stadtentwicklung stehen. Insofern gibt es eine weitere Auswirkung des Stadtentwicklungskonzeptes: Wer von der Stadt Fördermittel erhalten möchte, für den ist das Konzept bindend.

Nr. 3 - Einwohnerentwicklung und Prognosen

Im letzten Beitrag ist bereits deutlich geworden, dass Einwohnerentwicklung und Wanderungsbewegungen eine besonders wichtige Rolle bei der Erarbeitung des Integrierten Stadtentwicklungskonzepts spielen. Deshalb möchten wir Ihnen heute und im nächsten Beitrag die wichtigsten Fakten und Prognosen dazu erläutern.

Vor 100 Jahren hat sich die Einwohnerzahl von Erfurt noch rasant entwickelt. Jede Frau brachte im Durchschnitt 4,7 Kinder zur Welt. 1906 hatte sich binnen 25 Jahren die Einwohnerzahl auf mehr als 100000 verdoppelt, das Bevölkerungswachstum setzte sich weiter fort.

Für die zahlenmäßige Bestandserhaltung der Bevölkerung ist eine mittlere Geburtenzahl von 2,1 Geburten pro Frau erforderlich. Seit Anfang der 70er Jahre haben sich die mittleren Geburtenzahlen in Deutschland mit etwa 1,4 Geburten pro Frau auf ein viel zu niedriges Niveau eingepegelt, so dass seit dem die Zahl der deutschen Bevölkerung schrumpft. Eine Stabilisierung der Einwohnerzahl durch Zuwanderung aus dem Ausland hat diese Entwicklung nur zeitweilig verlangsamt.

Nach der Wende war die Stadt Erfurt zusätzlich gleich von mehreren Entwicklungen betroffen, die sich weiter negativ auf die Bevölkerungszahlen ausgewirkt haben. Insgesamt hat die Stadt dabei über 30000 Einwohner verloren. Grund dafür war zu Beginn der 90-er Jahre die starke Abwanderung in die alten Bundesländer und die deutliche Verringerung der mittleren Geburtenzahl pro Frau. Außerdem gab es Mitte bis Ende der 90er Jahre eine ausgeprägte Stadt-Umland-Wanderung, die inzwischen aber stark zurückgegangen ist.

Positiv wirken sich gegenwärtig Wanderungsgewinne aus fast allen Kreisen Thüringens aus, insbesondere von jungen Erwachsenen, die zur Ausbildung oder ersten Berufstätigkeit in die attraktive Landeshauptstadt ziehen. Damit kann die Erfurter Einwohnerzahl vorübergehend auf dem jetzigen Niveau von etwa 200000 gehalten werden.

Alle langfristigen Prognosen kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass es zu einer Überalterung der Bevölkerung kommen wird und die Bevölkerungszahlen in Deutschland auch langfristig immer weiter schrumpfen werden. Diese Entwicklung macht auch vor Erfurt nicht halt. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Erfurter Einwohnerzahl bis zum Jahr 2020 auf etwa 181000 zurückgeht. Da aber auch das Jahr 2020 nur eine Zwischenstation darstellt, wird man sich auf eine nachfolgende weitere Schrumpfung einstellen müssen.

Um daraus Rückschlüsse auf die tatsächlich zu erwartenden Leerstände zu ziehen, muss die Einwohnerprognose auf die Zahl der Haushalte umgerechnet werden. Denn die Zahl an Kindern ist zwar für die Zukunft der Stadt wichtig, Wohnungen werden aber nur von Erwachsenen gemietet. Für die künftige Anzahl an nachgefragten Wohnungen ist also vor allem entscheidend, wie viele junge Menschen einen eigenen Haushalt neu gründen werden und wie viele Haushalte altersbedingt aufgelöst werden. Dies wird dann überlagert durch die Haushaltsgründungen und -auflösungen aufgrund von Zuzug und Fortzug.

Nach dem Jahr 2008 kommen die nach der Wende geborenen, zahlenmäßig schwachen Jahrgänge in das Alter der Haushaltsgründung, während die Sterbeziffern etwa gleich bleiben. Wurden bis dahin immer noch mehr Haushalte neu gegründet als aufgelöst, wird sich das schlagartig in das Gegenteil umkehren. Damit wird die Wohnungsnachfrage also deutlich zurückgehen, eine Trendwende ist auch hier nicht in Sicht. Natürlich sind davon genauso diejenigen betroffen, die bisher aus den übrigen Kreisen Thüringens nach Erfurt zuziehen. Deshalb ist zu erwarten, dass in wenigen Jahren die Leerstände wieder deutlich anwachsen werden. Dann ist auch nicht mehr auszuschließen, dass manche Stadtteile außerhalb der Großsiedlungen von starken Einwohnerrückgängen betroffen sind.

Nr. 4 - Unterschiedliche Betroffenheit von Stadtgebieten

Im letzten Beitrag haben wir über die bisherige und künftige Entwicklung der Einwohner und Haushalte in Erfurt berichtet. Für den Stadtumbau ist besonders interessant, wie sich das auf die verschiedenen Arten von Stadtgebieten ("Siedlungstypen") auswirken wird. Werden alle Stadtteile in gleichem Umfang von Einwohnerrückgängen betroffen sein?

Wie in allen größeren Städten der neuen Bundesländer hat auch in Erfurt der Geschosswohnungsbau (Etagenwohnungen in größeren Wohngebäuden) einen besonders hohen Anteil an den Wohnungen insgesamt. Dafür gibt es mehrere Gründe: Vor der Wende konnten die vorhandenen Altbauwohnungen zunehmend nicht mehr instandgehalten oder gar saniert werden. Sie verfielen und waren immer weniger bewohnbar. Gleichzeitig musste unbedingt neuer Wohnraum für die Bevölkerung geschaffen werden: Es entstanden die Großsiedlungen in industrieller Bauweise am Stadtrand. Vereinfacht gesagt wurde für jede verfallende Altbauwohnung woanders eine Ersatzwohnung gebaut. Die Baupolitik und Versorgungslage vor der Wende ermöglichte zudem nur wenigen Menschen den Bau eines Eigenheimes.

Nach der Wende konnten viele Menschen endlich den Traum vom eigenen Haus verwirklichen. Gleichzeitig konnten in letzter Minute die verfallenen Innenstädte saniert werden, wodurch sich die Lebensqualität in unserer Stadt in kürzester Zeit unglaublich verbessert hat. Dadurch sind aber auch massenweise neue Mietwohnungen entstanden, während der Bedarf danach bereits zurückging. Die für die Zukunft prognostizierten Einwohnerrückgänge werden sich deshalb fast ausschließlich im Geschosswohnungsbau auswirken. Denn wer nur mit seiner Familie sein eigenes Haus bewohnt, der zieht nicht ohne weiteres um.

Die Stadtteile sind also mit ganz verschiedenen Ausgangsbedingungen in die Leerstandsproblematik eingetreten: Die Großsiedlungen waren noch Mitte der 90-er Jahre annährend voll vermietet und haben seitdem ständig Einwohner verloren. Die übrigen innerstädtischen Stadtgebiete wiesen schon um 1990 teils hohe Leerstände auf, weil viele Häuser unbewohnbar waren. Diese Gebiete haben durch Sanierung - und oft unterstützt durch Maßnahmen der Stadterneuerung - seit 1999 wieder in erheblichem Umfang Einwohner hinzugewonnen.

Die Entwicklung der Haushalte wird auch weiterhin in den einzelnen Siedlungstypen bis 2020 sehr unterschiedlich ablaufen. Die Großsiedlungen werden weiter überdurchschnittlich viel an Einwohnern und damit an Haushalten verlieren. Bis zum Jahr 2020 ist hier ein Rückgang um nochmals 9000 Haushalte zu erwarten. Gemessen an 1994 entspricht das einem Einwohnerrückgang um etwa 45 Prozent.

Gleichzeitig wird für die städtischen Gebiete (Altstadt und andere Innenstadtgebiete) in den nächsten fünf Jahren mit einem weiteren Zuwachs von 4000 Haushalten gerechnet. Danach wird die Zahl der Haushalte hier bis 2020 nahezu unverändert bleiben. In den dörflichen Stadtteilen zeichnet sich für die Zeit nach 2010 ein allmählicher Einwohnerrückgang ab, der hauptsächlich daraus folgt, dass die erwachsen gewordenen Kinder die Haushalte der Eltern verlassen.

Interessant sind auch die Wanderungsbewegungen zwischen den Siedlungstypen: Nach 1996 hatten die Großsiedlungen noch starke Fortzüge sowohl in Gebiete innerhalb der Stadt als auch über die Stadtgrenze hinweg zu verzeichnen. Inzwischen hat sich die Bilanz der Umzüge zwischen den Siedlungstypen deutlich beruhigt. Die Zuzüge von außerhalb der Stadt gehen jedoch weitgehend nur noch in die innerstädtischen Gebiete. Die Zuziehenden sind vorwiegend jüngere Erwachsene, die vielleicht die urbane, lebendige Vielfalt der Innenstadt den Wohnlagen in den Großsiedlungen am Stadtrand vorziehen.

Nr. 5 - Sonderfall Großsiedlungen

Der letzte Beitrag hat sich mit den unterschiedlichen Einwohnerentwicklungen in den einzelnen Siedlungstypen beschäftigt. Heute möchten wir auf die besonderen Rahmenbedingungen für den Stadtumbau eingehen, die in den Großsiedlungen bestehen.

Seit 1996 sind die Erfurter Großsiedlungen zunehmend von Leerständen betroffen. Steigende Leerstände bedeuten, dass die Mieteinnahmen ausfallen, viele Nebenkosten aber weiterlaufen: Auch leerstehende Wohnungen müssen kontrolliert werden, es fallen Grundkosten für die Wärme an, die nicht umgelegt werden können. Hinzu kommen Tilgungen von Modernisierungsdarlehen und die sogenannten Altschulden, mit denen die Gebäude nach der Wende anstelle von Neubaukrediten belastet wurden. Schon wenn ein Fünftel der Wohnungen in einem Haus leer steht, ist sein Weiterbetrieb unwirtschaftlich.

Die Erfurter Großsiedlungen liegen fast ausschließlich in der Hand dreier Wohnungsbaugenossenschaften und des kommunalen Wohnungsunternehmens. Durch die große Menge an ähnlichen Wohnungsbeständen können diese Unternehmen Umzugsmanagement betreiben: In den einen Häusern füllen sie leerstehende Wohnungen auf und können damit in anderen die Leerstände konzentrieren, um das Haus schließlich stillzulegen. Das ist zwar wirtschaftlich sinnvoll, kann aber einen lebendigen Stadtteil auch schwer beeinträchtigen: Wer möchte schon gegenüber von einem vermauerten leeren Gebäude wohnen?

Angesichts der Leerstandsproblematik haben Bund und Länder vor einigen Jahren das Förderprogramm "Stadtumbau Ost" aufgelegt. Damit kann der Rückbau leerstehender Wohngebäude zu 100 Prozent gefördert werden. Unter bestimmten Voraussetzungen werden für rückgebaute Gebäude auch die Altschulden erlassen. Solange unsanierte Objekte zurückgebaut werden, müssen keine Kapitalmarktdarlehen zurückgezahlt werden. Dadurch ist ein Rückbau für die großen Wohnungsunternehmen zwar noch immer schmerzlich, weil sie ihr Eigentum aufgeben müssen, kann aber wirtschaftlich für das Unternehmen sinnvoll sein.

Die vier großen Erfurter Wohnungsunternehmen haben sich schon früh mit der Stadt an einen Tisch gesetzt, um die Rahmenbedingungen für den Stadtumbau in den Großsiedlungen festzulegen. Dabei ging es nicht nur um einen städtebaulich verträglichen Rückbau, sondern auch um die Fortsetzung der erfolgreichen Verbesserungen im Wohnumfeld. Das Ergebnis ist im Masterplan "Erfurter Großsiedlungen" dokumentiert worden. Seit 2002 wurden auf dieser Grundlage etwa 1000 Wohnungen pro Jahr zurückgebaut. Trotz rückläufiger Einwohnerzahlen in den Großsiedlungen hat das zu einer deutlichen Reduzierung der Leerstände von 15 Prozent im Jahr 2002 auf heute nur noch 8 Prozent geführt. Unterstützt durch geförderte Wohnumfeldmaßnahmen haben sich dadurch viele Stadtteile inzwischen stabilisiert.

Warum lässt sich dieses Erfolgsmodell nicht auf die ganze Stadt übertragen? Die Antwort ist einfach: In den anderen Stadtteilen gibt es Tausende von verschiedenen privaten Kleineigentümern und Vermietern. Diese haben schlicht keinen Vorteil von Leerstandskonzentration oder Rückbau. Häufig ist die Wohnung die Alterssicherung für den Eigentümer, oder das Haus ist bereits durch Grundschulden belastet. Wenn die Eigentümer ihre Wohnungen nicht mehr vermieten können, sind sie im wirtschaftlichen Wettbewerb gegenüber den Wohnungsunternehmen benachteiligt. Müssen sie Insolvenz anmelden, gehört das Haus der kreditgebenden Bank, die es auch nicht abreißen wird.

Selbst wenn es in einzelnen Fällen gelänge, einen Eigentümer zum Rückbau zu bewegen, so wäre das doch nur ein einzelnes Haus mit acht Wohnungen mitten in einem geschlossenen Häuserblock. Wenn die meisten Nachbargebäude saniert und vermietet sind, würde das Gebiet durch eine neue Baulücke nur unattraktiver werden und nicht aufgewertet werden.

Nr. 6 - Voraussetzungen für den Stadtumbau in Innenstadtgebieten

Im letzten Beitrag haben Sie einiges über die besonderen Bedingungen für den Stadtumbau in Großsiedlungen erfahren. Wie könnte man aber in anderen Gebieten, die auch von Einwohnerrückgängen betroffen sind oder sein werden, Stadtumbau betreiben? Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst die Voraussetzungen in diesen Gebieten untersuchen.

Erfreulicherweise gibt es in Erfurt fast keine Gebiete, in denen schon heute die Zukunftsaussichten von Wohnhäusern offensichtlich hoffnungslos sind. Fast nirgendwo sind ganze Gebäudegruppen so verfallen, dass sie nicht mehr saniert werden können. Es gibt auch keine Gebiete, in denen sich nach einer Sanierung unter keinen Umständen mehr Mieter finden ließen. In allen innerstädtischen Straßen sind Häuser saniert oder instandgesetzt worden. Meistens wechseln sich in einer Straße kleine Gruppen sanierter Gebäude mit einzelnen unsanierten in dichter Folge ab. Die Stadt besitzt nur noch unter 5 Prozent der Gebäude in diesen Gebieten. Nur bei einzelnen Häusern sind die Eigentumsverhältnisse noch ungeklärt.

Das unterscheidet Erfurt grundsätzlich von Städten wie Leipzig oder Halle. Dort ist die Stadt noch häufig Grundstückseigentümer. Der Verfall der Gebiete hat schon in den 60er Jahren begonnen und ist inzwischen viel weiter fortgeschritten. Zahlreiche Quartiere sind dort völlig unbewohnbar und wurden aufgegeben. Das ergibt einen viel größeren Spielraum für Stadtumbauprojekte. In Leipzig wurden ganze Quartiere mit verfallenen Häusern oder alten Fabrikanlagen in den Gründerzeitgebieten abgerissen. An deren Stelle sind große neue Parkanlagen wie das "Hirschgehege" oder der "Eilenburger Bahnhof" entstanden. Die verbleibenden Stadtviertel liegen dadurch plötzlich am Park und sind wieder gefragte Wohnadressen.

In Erfurt würde der vergleichsweise gute Zustand der Innenstadtgebiete solche Projekte nur in ganz kleinem Maßstab ermöglichen. Damit lässt sich nur punktuell eine Verbesserung für das Gebiet erreichen. Voraussetzung für einen Rückbau ist nämlich der Verzicht des Hausbesitzers auf sein Eigentum. Wenn er nur ein Haus oder eine Wohnung besitzt, macht eine Leerstandskonzentration oder ein Rückbau für ihn so lange keinen Sinn, wie er noch auf einen Mieter oder einen Verkauf hoffen kann. Erst wenn ein Gebäude vollkommen wertlos und ohne jede Zukunftschance ist, könnte der Eigentümer zu einem freiwilligen Abriss bereit sein. Häufig gehört ein Haus mehreren Einzeleigentümern. Solange nur einer von ihnen nicht zu einem Verzicht bereit oder unauffindbar ist, ist ein Eingreifen nicht möglich.

Öfters liegen die Gebäude, die abgebrochen werden könnten, an stark befahrenen Straßen. Wenn hier tatsächlich abgerissen würde, würde der ganze Straßenlärm in den ruhigen Innenhof eindringen und die Wohnqualität deutlich verschlechtern. Dann wäre dem Gebiet auch mit einer kleinen Grünfläche nicht geholfen. Natürlich könnte man trotzdem einen ganzen Häuserblock abreißen, um einen schönen Stadtteilpark anzulegen. Dafür müsste die Stadt aber unverhältnismäßig viel Geld ausgeben, um die Eigentümer der erst vor wenigen Jahren sanierten Häuser zu entschädigen. Wenn die Eigentümer trotz Entschädigung und gegebenenfalls einer Umverlagerung nicht dazu bereit wären, müsste die Stadt sie in einem aufwändigen Verfahren enteignen.

Aus einer Modellrechnung geht hervor, dass unabhängig von den städtebaulichen Auswirkungen in allen unsanierten Häusern der Erfurter Gründerzeitgebiete noch etwa 3500 Wohnungen abgerissen werden könnten. Reduziert man das auf die Häuser, deren Rückbau städtebaulich zu verkraften wäre oder zu einer Aufwertung führen könnte, blieben etwa 1000 Wohnungen übrig. Das ist so viel, wie jedes Jahr in den Großsiedlungen zurückgebaut wird. Allein dafür wären aber zusätzlich zu den Abbruchkosten etwa neun Millionen Euro an Entschädigungen zu zahlen. Ein großflächiger Rückbau in den Innenstadtgebieten kann also weder finanziert werden, noch bringt er einen großen Nutzen für den Stadtumbau.

Nr. 7 - Einflussmöglichkeiten beim Stadtumbau in Innenstadtgebieten

Nachdem wir im letzten Beitrag die Voraussetzungen für den Stadtumbau in Innenstadtgebieten dargestellt haben, können Sie heute einen ersten Blick in die "Stadtumbauwerkstatt" werfen: Wenn der Rückbau außerhalb der Großsiedlungen so schwierig ist, was kann die Stadt dann hier überhaupt im Rahmen des Stadtumbaus ausrichten?

Es liegt auf der Hand, dass man nicht einfach nur die räumlichen Folgen des Einwohnerschwundes beseitigen kann, um erfolgreich Stadtumbau durchzuführen. Wenn man Stadtumbau als Chance sieht, sollte die Stadt nach Durchführung der Maßnahmen lebenswerter und attraktiver sein, als wäre nichts unternommen worden. Andernfalls sind die Bemühungen beispielsweise um einen Rückbau überzähliger Wohnungen wirkungslos.

In wenigen Jahren werden die Leerstände in Erfurt wieder deutlich zunehmen. Dann könnte theoretisch jeder Mieter unter einem breiten Angebot die Wohnung aussuchen, die seinen Preis- und Wohnvorstellungen am ehesten entspricht. Wegen der niedrigen Mieteinnahmen und dem hohen Risiko von Mietausfällen würde damit aber die Sanierung von Wohnhäusern immer unwirtschaftlicher. Außerdem könnte kaum Geld für die laufende Instandhaltung zurückgelegt werden. Das ist aber unerlässlich, wenn ein Gebiet auf Dauer erhalten bleiben soll. Die laufende Instandhaltung kann nicht dauerhaft durch Förderung subventioniert werden. Stadterneuerung und Stadtumbau müssen schon aus Gründen der Gleichbehandlung immer "Hilfe zur Selbsthilfe" bleiben: Nach einer angemessenen Laufzeit muss es zu einem selbsttragenden Instandhaltungskreislauf kommen.

Deshalb sollte auch bisher mit dem Rückbau überzähliger Wohnungen wieder ein ausgeglichener Wohnungsmarkt in der ganzen Stadt erreicht werden. Das hätte durch auskömmliche Mieten dann wieder eine selbsttragende Sanierung und Instandhaltung ermöglicht. Weil bis jetzt die Zahl der Haushalte in der Stadt weiter zugenommen hat, schien das auch erfolgreich zu sein. Die Größenordnung der nach 2008 zu erwartenden Leerstände macht aber deutlich, dass dieses Ziel durch einen Rückbau nicht mehr benötigter Wohnungen auf Dauer nicht mehr erreicht werden kann.

Schon heute gibt es jedoch in einigen Stadtteilen kaum noch freie Wohnungen, obwohl anderswo große Leerstände bestehen. Das sind oft die Stadtteile, die ein eigenes "Image" haben und für Menschen, die einen bestimmten Lebensstil pflegen, besonders interessant sind. Hier funktioniert auch die laufende Instandhaltung und Sanierung der Gebäude. Das Ziel könnte also darin bestehen, möglichst vielen Gebieten dabei zu helfen, ihren eigenen Charakter zu entwickeln und sie für bestimmte Zielgruppen interessant zu machen.

Für Erfurt besonders günstig ist, dass für die innerstädtischen Gebiete in den nächsten Jahren noch mit einem Zuwachs um etwa 4 000 neue Haushalte gerechnet wird. Dadurch könnten sich in vielen Wohnlagen weiterhin Gebäudesanierungen rentieren, bis nach 2012 auch hier allmählich eine Sättigung des Marktes erreicht ist. Dieser Handlungsspielraum könnte in den nächsten Jahren dafür genutzt werden, überall dort die noch unsanierten Häuser zu sanieren, wo eine dauerhafte Nachfrage von verschiedenen Mietergruppen zu erwarten ist. Um bei den Eigentümern das nötige Vertrauen in die Zukunft des Quartiers zu schaffen, damit sie mit ihrem Geld die Häuser sanieren, müsste aber auch die Stadt ihren Teil zur Aufwertung dieser Gebiete beitragen. Das ist für die Stadt auf Dauer viel günstiger, als selber die Häuser aufzukaufen, zu sanieren und anschließend wieder zu verkaufen.

Man darf aber nicht vergessen, dass deutlich nach 2020 auch manche innerstädtische Gebiete wieder Einwohner verlieren können. Damit stellt sich die Frage, in welchem Umfang und für welchen Zeitraum welche Gebiete sinnvollerweise noch stabilisiert werden sollten.

Nr. 8 - Strategie für den Stadtumbau in der Gesamtstadt

In den letzten Beiträgen haben Sie erfahren, dass für den Stadtumbau in Innenstadtgebieten deutlich andere Handlungsansätze in Frage kommen als in den Großsiedlungen. Wenn man nun für die gesamte Stadt ein Konzept zum Stadtumbau aufstellen möchte, wie bekommt man dann diese unterschiedlichen Ansätze "unter einen Hut?"

Um sich dem Thema zu nähern, ist es hilfreich, den Sonderfall der Großsiedlungen zunächst beiseite zu lassen. Für die Überlegungen ist vor allem die Einsicht wichtig, dass ein ausgeglichener Wohnungsmarkt über die gesamte Stadt langfristig wohl nicht mehr erreichbar ist. Deshalb bringt es auf Dauer nichts, so viele Wohnungen wie möglich abzureißen und zu hoffen, dass dadurch der Rest der Stadt wieder ins Gleichgewicht kommt. Also kann Stadtumbau nur zum Ziel haben, möglichst viele von den Teilgebieten zu stabilisieren, die von Leerständen betroffen sind, in denen aber für die Zukunft eine ausreichende Nachfrage zu erwarten ist. Nur mit einer solchen "Konsolidierung" durch entsprechende Aufwertungsmaßnahmen wird die Stadt für alle Bevölkerungsschichten als attraktiver Wohnstandort erhalten und weiter gestärkt. Dafür müssen die Gebiete identifiziert werden, in denen tatsächlich mit einer ausreichenden Nachfrage zu rechnen ist.

Angesichts knapper Kassen sollte jede Maßnahme der Stadt grundsätzlich einen möglichst hohen Nutzen für den Stadtumbau insgesamt haben, ganz gleich, ob es sich um Aufwertung, Modernisierung, Nachnutzung oder Rückbau handelt und in welchen Gebieten sie stattfinden soll. Dieses Eingreifen der Stadt wird beim Stadtumbau "Intervention" genannt. Eine Intervention sollte stets zum Ziel haben, ein Gebiet zu stabilisieren und attraktiver zu machen. Ist dies auf Dauer nicht zu erwarten, sind die eingesetzten Fördermittel letztlich wirkungslos.

Die Fördermittel für den Stadtumbau sollten also vorrangig auf die Aufwertung aller konsolidierbaren Gebiete, sowohl in der Altstadt und den Gründerzeitgebieten, als auch in den Großsiedlungen konzentriert werden. Dabei muss man natürlich darauf achten, dass die für die ganze Stadt wichtigen Stadtteile bevorzugt berücksichtigt werden. Die gegenwärtig stabilen Gebiete müssen weiter beobachtet werden. Solange sich keine negative Entwicklung abzeichnet, sind hier aber keine vorsorglichen Aufwertungsmaßnahmen notwendig.

In den Gebieten, in denen trotz Aufwertung keine ansteigende Nachfrage oder Stabilisierung zu erwarten ist, könnte man nur der ohnehin erfolgenden natürlichen Schrumpfung durch Rückbau vorgreifen. Das kostet auf Dauer viel Geld und bringt vergleichsweise wenig Verbesserungen für die Gesamtstadt mit sich. Nur dort, wo sich daraus ein tatsächlicher Nutzen für angrenzende konsolidierbare Gebiete ergibt, sind Fördermittel für einen Rückbau langfristig gut angelegt. Wo dies nicht der Fall ist, müsste der Schrumpfungsprozess natürlich so begleitet werden, dass auch diesen Gebieten ein zwar langsamerer, aber verträglicher Übergang in eine langfristig veränderte Struktur ermöglicht wird. Demnach müsste man sich in einigen Bereichen der Stadt an Leerstände in gewissem Umfang gewöhnen müssen. Das ist in vielen Ländern Europas ein ganz normaler Zustand, der sich auf Lebensqualität und Funktionsfähigkeit der Städte insgesamt kaum auswirkt.

Im letzten Beitrag hatten wir die Frage aufgeworfen, dass deutlich nach 2020 auch manche der heute nachgefragten Gebiete wieder Einwohner verlieren könnten. Wäre es dann nicht sinnvoll, auch eine Konsolidierung der Stadtteile zu unterlassen, die heute noch nachgefragt sind? Je nach dem, wie weit man in die Zukunft blickt, müsste man dann die Hände in den Schoß legen und würde damit einen Rückgang an Attraktivität der Stadt insgesamt in Kauf nehmen. Daraus wird deutlich: Man kann eine Stadt nicht mit Blick auf eine ferne Zukunft schon jetzt kleiner machen, wie sie die in ihr lebenden Menschen heute brauchen.

Nr. 9 - Stadtumbau und Infrastruktur

Im letzten Beitrag hatten wir Überlegungen angestellt, wie man den Stadtumbau in der Stadt insgesamt angehen könnte. Aber welche Auswirkungen ergeben sich daraus für Läden, Kindergärten, Schulen, auf Trinkwasser-, Abwasser- und Fernwärmenetze oder die Stadtbahn?

Zunächst liegt auf der Hand, dass mit Einwohnerrückgängen zwangsläufig auch die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen im Gebiet abnimmt. Das bedeutet, dass die Händler ihr Angebot reduzieren müssen. Wenn Handelsbetriebe nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können, sind auch Schließungen unvermeidlich. Die Stadt kann das leider kaum verhindern, weil sie den privaten Händlern keinen Ausgleich für zurückgehende Umsätze zahlen kann. Entfallen die gewohnten Einkaufsmöglichkeiten, muss sich die Bevölkerung des Stadtteils umorientieren, was gerade ältere Mitbürger vor große Probleme bei der Bewältigung ihres Alltags stellen kann. Umgekehrt gibt es aber schon heute in der Stadt viele Wohngebiete ohne Einkaufsmöglichkeiten, in denen man trotzdem sehr gut wohnen kann.

Auch Kindergärten, Schulen und andere soziale Einrichtungen sind grundsätzlich von Nachfragerückgängen betroffen. Oft sind die betroffenen Gebiete zudem stark überaltert, weshalb die Nachfrage nach Kindergärten und Schulen dort weiter zurückgeht. Gleichzeitig steigt aber der Bedarf an Betreuungseinrichtungen für Senioren. Das zeigt die zunehmende Anzahl an Einrichtungen freier Träger und gewerblicher Anbieter. Mit der Übergabe vieler Kindergärten an freie Träger sowie durch alternative Schulangebote hat sich hier das Angebotsspektrum in den letzten Jahren stark erweitert. Viele Einrichtungen haben sich mit einem individuellen Angebot auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet. Dadurch sind deren Einzugsbereiche viel größer geworden, oft kommen die Kinder aus dem ganzen Stadtgebiet oder sogar aus der Region. Diese Einrichtungen sind naheliegenderweise von Einwohnerrückgängen im angrenzenden Wohngebiet kaum betroffen.

Beim Stadtumbau muss man vor allem darauf achten, dass die Planung der sozialen Infrastruktur Hand in Hand mit der Stadtumbauplanung erfolgt. So können einzelne Einrichtungen durchaus zu einer Stabilisierung der Wohnungsnachfrage beitragen. Umgekehrt kann mit der Schließung einer Schule die Konsolidierung eines Gebietes ernsthaft gefährdet werden.

Mit Einwohnerrückgängen werden aber auch Trinkwasser, Fernwärme oder die Kanalisation weniger ausgelastet als vorher. An den nun überdimensionierten Versorgungsanlagen sind Anpassungen und zusätzliche Maßnahmen nötig, um die Versorgungsqualität aufrechtzuerhalten. So kann ein Nachspülen von Abwasserleitungen oder ein Umbau von Trinkwassernetzen erforderlich werden, um Geruchsbelastungen bzw. längere Standzeiten und damit Verkeimungsgefahren zu vermeiden. Die Leerstandskonzentration in den Großsiedlungen kann diese Folgekosten verringern, da nach einer Gebäudestilllegung Leitungsabschnitte gekappt und stillgelegt werden können. In anderen Stadtgebieten, wo keine Leerstandskonzentration sinnvoll ist, ist eine Anpassung der technischen Infrastruktur aber kaum möglich.

Auch hier kann es nicht Aufgabe der öffentlichen Hand sein, Wertverluste und Mehrkosten in Folge von Einwohnerrückgängen mit Fördermitteln auszugleichen. Diese Fördermittel sollen vielmehr der Stadt helfen, die städtebaulichen Folgen der Einwohnerrückgänge zu bewältigen. Deshalb werden bei Rückbaumaßnahmen die unmittelbar dadurch verursachten Leitungsumverlegungen und sonstigen Änderungen mit gefördert.

Bei zurückgehenden Einwohnerzahlen muss unter Umständen auch die Erschließung durch Stadtbahn und Bus der zurückgehenden Nachfrage angepasst werden. Dies kann aber durch Reduzierungen von Kapazität oder Taktfrequenzen aufgefangen werden.

Nr. 10 - Aufbau und Systematik Stadtentwicklungskonzept

In den ersten neun Beiträgen der Artikelreihe haben wir viele Gesichtspunkte angeschnitten, die für den Stadtumbau in Erfurt von Bedeutung sind. Heute möchten wir Ihnen darlegen, wie das "Integrierte Stadtentwicklungskonzept" der Stadt Erfurt aufgebaut sein wird und wie seine einzelnen Teilplanungen miteinander zusammenhängen.

Grundsätzlich wird es darin einen "Gesamtstädtischen Teil" geben, der sich mit der künftigen Entwicklung der Gesamtstadt befasst. In mehreren "Teilräumlichen Konzepten" werden dann die Ziele des Stadtumbaus und der Stadterneuerung für größere zusammenhängende Teilgebiete genauer dargestellt.

Ein tragfähiger Stadtumbau muss natürlich in die langfristig verfolgten Ziele und Leitbilder der Stadtentwicklung eingebettet sein. Angesichts der zur erwartenden Einwohnerrückgänge ist ein Stadtentwicklungskonzept ohne eine Strategie zum Stadtumbau jedoch heute nicht mehr sachgerecht. Und diese Strategie zum Stadtumbau muss schnell und flexibel auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren können, um ein Gegensteuern zu ermöglichen.

Der Gesamtstädtische Teil besteht deshalb aus dem langfristig angelegten eigentlichen "Stadtentwicklungskonzept", das die übergeordneten Leitbilder und Entwicklungsziele für die Stadt darstellt, sowie aus dem regelmäßig fortzuschreibenden "Stadtumbaukonzept", in dem das strategische Vorgehen beim Stadtumbau erläutert wird und in dem die Prioritäten für den Stadtumbau in den einzelnen Teilbereichen der Stadt festgelegt werden.

Nun haben wir festgestellt, dass eine Strategie zum Stadtumbau auf eine Abschätzung der heutigen und künftigen Nachfrage nach Wohnraum in den einzelnen Gebieten angewiesen ist. Deshalb macht sich das Stadtumbaukonzept die vorhandenen Daten des gesamtstädtischen "Stadtbeobachtungssystems" zu Nutze, die sehr kleinräumig jedes Jahr aktualisiert werden können. Auf Grundlage der daraus hervorgehenden, entscheidenden Kennziffern können die Beobachtungsgebiete dann verschiedenen "Grundtypen der Intervention" zugeordnet werden. Das heißt, für jedes der beobachteten Gebiete wird festgelegt, welche grundsätzliche Perspektive hier im Rahmen des Stadtumbaus verfolgt werden sollte.

Für diese Grundtypen gibt es dann einen sogenannten "Werkzeugkasten" des Stadtumbaus. Das ist ein Katalog von grundsätzlich geeigneten Maßnahmen mit entsprechenden Handlungsmustern und Empfehlungen. Die Möglichkeiten für eine Intervention, also für ein Eingreifen der Stadt, eröffnen sich nämlich oft nur ganz kurzzeitig. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Eigentümer überlegt, sein Grundstück vorübergehend für eine Zwischennutzung zur Verfügung zu stellen. Mit dem Werkzeugkasten kann die Stadt dann schnell und unkompliziert einzelne Maßnahmen durchführen, ohne lange überlegen zu müssen, welche einzelnen Schritte dafür notwendig sind. Mit diesem "Werkzeugkasten" ist der Gesamtstädtische Teil des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes abgeschlossen.

Dazu wird es voraussichtlich vier "Teilräumliche Konzepte" geben, in denen ganz konkret die jeweiligen Ziele und Maßnahmen für die Schwerpunktgebiete des Stadtumbaus und der Stadterneuerung dargestellt werden. Als erstes teilräumliches Konzept soll noch in diesem Jahr der "Masterplan II" für die Erfurter Großsiedlungen fertiggestellt werden. In den Folgejahren sollen dann schrittweise weitere Teilräumliche Konzepte aufgestellt werden. Neben der Altstadt und dem Gründerzeitgürtel soll auch der Erfurter Norden betrachtet werden. Diese teilräumlichen Konzepte werden in Detaillierungsgrad, Zielaussagen und Systematik untereinander sehr verschieden sein, weil in den einzelnen Gebieten auch ganz unterschiedliche Rahmenbedingungen und Eingriffsmöglichkeiten bestehen.
Im nächsten Artikel möchten wir Ihnen erläutern, welche Bedeutung die übergeordneten Leitbilder und Entwicklungsziele für die Stadt Erfurt besitzen und welche Ziele dafür grundsätzlich denkbar sein könnten.

Nr. 11 - Ziele der Stadtentwicklung für Erfurt

Nachdem wir im letzten Beitrag die Gliederung des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes dargestellt haben, möchten wir in den folgenden Beiträgen auf einzelne Bestandteile dieses Konzeptes näher eingehen. Wir beginnen heute mit den übergeordneten Zielen und Leitbildern der Stadtentwicklung, die am Anfang des Gesamtstädtischen Teiles stehen werden.

Im zweiten Artikel "Ziel und Zweck eines Stadtentwicklungskonzeptes" haben Sie bereits erfahren, warum eine Stadt langfristige Ziele und Leitbilder für ihre Entwicklung aufstellen sollte. Gerade bei zurückgehenden Einwohnerzahlen ist es wichtig, weiterhin die "große Linie" zu verfolgen. Dabei sind folgende Aspekte von besonderer Bedeutung:

Es ist absehbar, dass sich die Konkurrenz der Städte um Einwohner und Gewerbetreibende weiter verstärken wird. Zentrale Aufgabe ist es daher, attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen, um in diesem Wettbewerb bestehen zu können. Die Entwicklungsziele orientieren sich an dem Leitmotiv „Stark in der Mitte - die Mitte stärken“. Das beschreibt die guten Voraussetzungen, aber auch die Handlungserfordernisse der zukünftigen Stadtentwicklung. Ein Gunstfaktor ist dabei die zentrale Lage in der Mitte Deutschlands, die mit der Realisierung der ICE-Strecke München - Erfurt - Berlin weiter verbessert wird. Als Zentrum von Handel, Dienstleistung, Ausbildung und Kommunikation ist Erfurt schon heute Mittelpunkt der Wirtschaftsregion. Vorhandene Potenziale für eine regionale Zusammenarbeit, insbesondere mit Weimar und Jena, sollten künftig intensiver genutzt werden. Als Beispiel für die vielfältigen verbindenden Funktionen sei die positive Entwicklung als Kongress- und Tagungsstandort genannt, die Bedeutung als Sportstadt, aber auch die Wirtschaftsstruktur.

Im Wettbewerb der Kommunen ist es besonders wichtig, den überregionalen Bekanntheitsgrad von Erfurt und seiner hohen Lebens- und Standortqualität weiter deutlich zu verbessern. Das historische Stadtzentrum bestimmt dabei Identität und Image der Stadt. Eine erfolgreiche Entwicklung der Altstadt ist auch eine wichtige Grundvoraussetzung für die weitere positive Entwicklung von Wirtschaft und Forschung. Die spezielle Ausrichtung der Hochschulen unterstützt diese Profilbildung: Erfurt zieht schon heute viele junge Menschen an, die hier ihre Ausbildung machen oder studieren möchten. Dabei kann Erfurt an die lange Tradition als geistig-kulturelles Zentrum Mitteldeutschlands anknüpfen.

Im Mittelpunkt der räumlichen Entwicklung steht die Konzentration auf Kernbereiche. Erfurt hat hervorragende Ausgangsbedingungen, um das Leitbild der "kompakten Stadt" umzusetzen: Das gewährleistet trotz Schrumpfung urbane Lebensqualität und Nutzungsvielfalt bei kurzen Wegen. Gleichzeitig kann damit dauerhaft eine bedarfsgerechte Versorgung und Betreuung zu angemessenen Kosten angeboten werden. Mit dem Vorhalten angemessener Flächen für den Wohnungsneubau soll auch zukünftig der Wunsch nach einem Eigenheim in der Stadt erfüllbar sein. Dazu sollen vorrangig Brachflächen in Innenstadtnähe und Standorte an den bereits vorhandenen Entwicklungsachsen verwendet werden.

Die durch den Stadtumbau frei werdenden Flächen bieten die Chance, Erfurt im Wettbewerb der Städte dauerhaft als "lebenswerte Großstadt im Grünen" zu positionieren. Ausgehend von den landschaftlichen Gegebenheiten und den vorhandenen Grünstrukturen wurde daher ein Grün- und Freiraumkonzept entwickelt, das darstellt, wie die bisher zergliederten Freiraumelemente schrittweise zu einem vernetzten System von öffentlichen und privaten Grün- und Freiflächen verbunden werden können. Das langfristige Zielkonzept sieht jeweils einen grünen Ring um die Innenstadt und um das zusammenhängend bebaute Stadtgebiet vor. Mit einer verbesserten Wahrnehmbarkeit der Gera und ihrer Wasserarme sowie mit dem Ausbau der "Erfurter Seen" am nördlichen Stadtrand kann dadurch nach und nach in der Stadt eine attraktive Freizeit- und Erholungslandschaft entstehen.

Nr. 12 - Das Stadtbeobachtungssystem

Nachdem sich der letzte Beitrag mit den Zielen und Leitbildern der Stadtentwicklung beschäftigt hat, möchten wir Ihnen nun einen wichtigen Baustein des Stadtumbaukonzeptes vorstellen: Das Stadtbeobachtungssystem.

Denn für einen wirkungsvollen Stadtumbau müsste man vorhersagen können, in welchen der von Leerständen betroffenen Gebieten künftig mit einer ausreichenden Wohnungsnachfrage für eine Konsolidierung zu rechnen ist. Gleichzeitig müsste man abschätzen, inwiefern dort tatsächlich Möglichkeiten für eine durchgreifende Konsolidierung bestehen. Wenn nämlich in einem Gebiet fast alle Straßen und Plätze saniert sind, das Wohnumfeld aufgewertet ist, die meisten Häuser saniert sind und trotzdem die Einwohnerzahlen weiter abnehmen, dann wird man kaum noch etwas unternehmen können, um ein Gebiet zu stabilisieren. Klar ist auch, dass man dabei sehr genau hinsehen muss und nicht ganze Stadtteile über einen Kamm scheren kann.

Deshalb hat die Stadt ein kleinräumiges Stadtbeobachtungssystem eingerichtet, das für etwa 160 bewohnte Beobachtungsgebiete laufend ermitteln soll, wo Leerstandsprobleme bestehen und wo die Ausgangsbedingungen für einen effizienten Stadtumbau möglichst günstig sind. Im Rahmen des Stadtumbaukonzepts konzentriert es sich deshalb auf die Indikatoren, die tatsächlich einen Aufschluss über zu erwartende Nachfrageentwicklung und die dem gegenüber stehenden Möglichkeiten für ein Eingreifen ("Intervention") erlauben. Daraus ergeben sich vier Themenbereiche ("Säulen"), die für eine Beurteilung in Frage kommen:

1. die tatsächliche heutige Leerstandsbetroffenheit,

2. die bisherige Wohnungsnachfrage und die anzunehmende weitere Nachfrageentwicklung,

3. die städtebaulichen und stadtstrukturellen Qualitäten und Mängel des Gebiets sowie

4. die tatsächlich nutzbaren Möglichkeiten für eine Aufwertung des Gebiets.

Als gesonderter Themenbereich wird die soziale Situation im Gebiet betrachtet, um Erkenntnisse über mögliche sozialplanerische Schwerpunkte einer Intervention zu gewinnen.

Dazu werden jährlich aktualisierbare Daten der kommunalen Statistik und eine formalisierte Beurteilung der städtebaulichen und stadtstrukturellen Standortbedingungen verwendet. Für die Bewertung der Nachfrageentwicklung wird zum Beispiel die Veränderung der Anzahl an Erwachsenen in den vergangenen drei Jahren, ihre Zuzugs- und Fortzugsbilanz sowie die Altenquote betrachtet. Für Städtebau und Stadtstruktur werden die weitgehend unveränderlichen Eigenschaften eines Beobachtungsgebietes bewertet, also die stadträumliche Qualität, die Lage im Stadtgefüge, die Zentrumsnähe, die Lage zu Naherholungsmöglichkeiten, die Belastung durch Lärm und Abgase sowie die Infrastrukturausstattung.

Bei den Aufwertungspotenzialen werden alle Eigenschaften bewertet, die durch Stadterneuerungsmaßnahmen verbessert werden könnten. Dies sind die Verbesserung des öffentlichen Raumes (Gehwege, Straßen und Plätze), der Grünausstattung (Straßenbäume, Wohnumfeld, Grünflächen im Gebiet), die Sanierung noch unsanierter Gebäude bzw. deren Rückbau sowie die mögliche Schaffung neuer Parkplätze für die Bewohner. Die Bewertung aller vier Säulen erfolgt immer so, dass eine hohe Punktzahl in der Bewertung eine hohe Wirksamkeit von Stadtumbaumaßnahmen bedeutet. Zur besseren Vergleichbarkeit werden deshalb alle Säulen in eine einheitliche Bewertung von 0 bis 100 Punkten umgerechnet.

Leider ist die Datengrundlage zur Beurteilung der Sozialen Situation aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktreformen (Hartz-IV) zu einem großen Teil entfallen. Bis auf weiteres kann hier nur mit wenigen Ersatzindikatoren gearbeitet werden. Aus Datenschutzgründen dürfen diese auch nur für die jeweiligen Stadtteile insgesamt verwendet werden.

Nr. 13 - Die Grundtypen der Intervention

Im letzten Beitrag wurde der Ansatz des Stadtbeobachtungssystems beschrieben. Aber wie lassen sich diese Informationen nun für den Stadtumbau auswerten? Zählt man nämlich alle Punktwerte eines Gebiets zusammen, lässt sich zwar eine Rang- und Reihenfolge der Beobachtungsgebiete aufstellen, eine verwertbare Aussage lässt sich daraus aber nicht ableiten.

So könnte beispielsweise ein Gebiet heute noch geringe Leerstände aufweisen, aber bei eher ungünstigen städtebaulichen Rahmenbedingungen eine deutlich negative Nachfrageprognose aufweisen und zugleich kaum noch über sinnvolle Aufwertungsmöglichkeiten verfügen. Unter diesen Voraussetzungen erscheint ein Eingreifen wenig aussichtsreich. Andere, heute stark von Leerstand betroffene Gebiete, könnten bei günstigen städtebaulichen Rahmenbedingungen und positiver Nachfrageprognose durchaus für eine Konsolidierung in Betracht kommen, wenn genug Möglichkeiten für eine Aufwertung bestehen.

Daraus folgt, dass die wichtigen Aussagen für eine Beurteilung der Beobachtungsgebiete im Vergleich der vier Themenbereiche ("Säulen") liegen. Nur daraus kann man ersehen, ob ein Eingreifen im Sinne des Stadtumbaus voraussichtlich effizient sein wird oder nicht. Man kann auch feststellen, ob zum Beispiel eine Begleitung des Schrumpfungsprozesses durch soziale Maßnahmen eher Vorrang vor baulichen Verbesserungen haben sollte.

Mit dem Vergleich dieser vier Bewertungssäulen sind die jeweiligen Problemlagen im Rahmen des Stadtumbaus schon im Grundsatz vorgezeichnet. Dabei zeichnet sich ab, dass sich alle Beobachtungsgebiete in wenige Fallgruppen unterteilen lassen, die jeweils eine eigene, auf ihre Probleme zugeschnittene Strategie beim Stadtumbau erfordern. Vielleicht haben Sie in Zeitungsartikeln oder Fernsehberichten aus anderen Städten schon von "Konsolidierungsgebieten", "Umstrukturierungsgebieten" oder "Abwartegebieten" gehört. Diese Begriffe werden in fast allen Städten für diese Fallgruppen im Stadtumbau verwendet.

Eine Zuordnung der einzelnen Beobachtungsgebiete zu diesen Fallgruppen, den "Grundtypen der Intervention" kann natürlich nicht rein rechnerisch aus den Punktwerten der einzelnen Säulen hervorgehen. Die Punktwerte gehen aber neben weitergehenden stadtstrukturellen Überlegungen und Zielstellungen maßgeblich in die Abwägung dazu mit ein. Erst im Ergebnis dieser Abwägung können die jeweiligen Beobachtungsgebiete schließlich den Grundtypen der Intervention zugeordnet werden.

Nun ist es kaum möglich, Jahre im voraus vom grünen Tisch aus festzulegen, wann und wo die Stadt welche Maßnahmen des Stadtumbaus durchführen oder fördern möchte. Häufig ergibt sich erst im Lauf der Zeit, auf welchen Grundstücken die Stadt, unterstützt durch die Anliegen von Bewohnern und Eigentümern, tätig werden kann. Wenn sich auch Zeitpunkt und Ort dieser Maßnahmen schwer vorhersehen lassen, so wiederholen sich aber häufig ihre grundsätzlichen Zielstellungen und Handlungsmuster. Deshalb sollen sie als Katalog vorstrukturiert werden, damit sie bei Bedarf so zügig wie möglich eingesetzt werden können.

Diesen Katalog haben wir "Werkzeugkasten des Stadtumbaus" genannt: Er enthält für die Grundtypen, die ein Handeln notwendig machen, jeweils ein ganzes Bündel an verschiedenen "Werkzeugen", mit denen man vor Ort Stadtumbau betreiben kann: Dazu gehören zum Beispiel die Neugestaltung einer Straße oder eines Wohnumfeldes, eine vorübergehende Zwischennutzung, die Festlegung eines Fördergebietes oder soziale Betreuungsangebote.
Mit der Einteilung in die Grundtypen und dem Werkzeugkasten endet das Stadtumbaukonzept. Auf dieser Grundlage werden dann für zusammenhängende Bereiche der Stadt "Teilräumliche Konzepte" aufgestellt. Als strategische Planungen sollen sie die Handlungsspielräume für mögliche Maßnahmen auf der Gebietsebene genauer darstellen. Der nächste Artikel erläutert Ihnen die Systematik des ersten Teilräumlichen Konzeptes: Wir möchten Ihnen die "Spielregeln" des Masterplanes II für die Großsiedlungen vorstellen.

Nr. 14 - Der Masterplan II

Im fünften Beitrag "Sonderfall Großsiedlungen" hatten wir Ihnen bereits die besonderen Rahmenbedingungen für den Stadtumbau in den Großsiedlungen erläutert. Nachdem Sie inzwischen viel über den Stadtumbau in der gesamten Stadt erfahren haben, möchten wir Ihnen heute das Prinzip des neuen Masterplans II für die Erfurter Großsiedlungen erklären, der Anfang September zur Bürgerbeteiligung freigegeben werden soll.

Der erste Masterplan war bereits 2001 aufgestellt und 2003 nochmals aktualisiert worden. Inzwischen haben sich die Stadtteile weiterentwickelt. Daher ist der Masterplan nun grundlegend gemeinsam von Stadt und Wohnungsunternehmen überarbeitet worden. Der neue Masterplan II wird künftig als "Teilräumliches Konzept" für alle Großsiedlungen in das Stadtumbaukonzept integriert. Schon deshalb wurde auch der Johannesplatz einbezogen.

Die wichtigste Neuerung am Masterplan II ist, dass sein Schwerpunkt nicht mehr auf der Rückbauplanung liegt, sondern darauf, welche Bereiche langfristig stabil bleiben. Deshalb gilt der Masterplan II auch bis zum Jahr 2020. Auf der Grundlage von städtebaulichen Leitbildern stellt er einerseits die bis dahin zu erhaltenden Gebietsteile dar, andererseits legt er die Bereiche fest, in denen weiterhin ein Rückbau gefördert werden kann. Damit haben Bewohner, Stadt, Eigentümer und Fördergeber eine langfristige Entscheidungsgrundlage.

Die mindestens bis 2020 zu erhaltenden Bereiche werden als Garantiegebiet (orange) festgelegt. Die Anzahl an Wohnungen in diesen Garantiegebieten liegt noch unter der Zahl der Haushalte, die 2020 voraussichtlich in den Großsiedlungen leben. Die Garantiegebiete enthalten alle gut vermieteten, sanierten Gebäude, aber auch teil- und unsanierte mit langfristig guter Prognose. Einzelne Gebäude, die im Garantiegebiet liegen, aber bis 2020 zurückgebaut werden sollten, werden von vornherein als Beobachtungsobjekte im Garantiegebiet (dunkelgrün) dargestellt. Mit Ausnahme dieser Beobachtungsobjekte gibt es im Garantiegebiet keine Förderung für einen Rückbau, sondern nur für eine weitere Aufwertung.

Alle übrigen bebauten Bereiche werden als Dispositionsgebiet (orange-grün gestreift) festgelegt. Hier kann ein Rückbau grundsätzlich gefördert werden, wenn die Eigentümer dies beabsichtigen. Ein Teil der Gebäude kann aber je nach Bedarf auch noch 2020 und darüber hinaus Bestand haben. Wenn sich Gebäude im Dispositionsgebiet in den nächsten Jahren günstig entwickeln, können sie auch nachträglich in das Garantiegebiet überwechseln. Die Dispositionsgebiete enthalten hauptsächlich unsanierte, aber auch teilsanierte oder sanierte Gebäude mit heute noch unsicheren Zukunftsaussichten.

Zusammenhängende Flächen, auf denen bereits abgerissen wurde, werden zum Entwicklungsgebiet (grün). Diese Flächen können je nach Eignung verschiedene Nachnutzungen erhalten, aber auch Grünfläche bleiben. Rückbauobjekte werden im Masterplan II nicht mehr dargestellt. Weil der Masterplan II bindende Regeln zur Förderung festlegt, ist gewährleistet, dass die eingesetzten Fördermittel immer sinnvoll eingesetzt werden.

Aus der Einwohnerprognose wissen wir, dass die Großsiedlungen auch künftig stark von Einwohnerrückgängen betroffen sind. Niemand weiß aber viele Jahre im Voraus, wann welche Gebäude so leer sein werden, dass sie abgerissen werden müssen. Deshalb wird der Masterplan II durch Maßnahmepläne ergänzt, die alle zwei Jahre neu aufgestellt werden. Hier werden alle beabsichtigten Aufwertungs- und Rückbaumaßnahmen für die beiden folgenden Jahre dargestellt und rechtzeitig vorher veröffentlicht. Der Masterplan II und der zugehörige Maßnahmeplan für die Jahre 2006 bis 2008 sollen voraussichtlich Anfang September in mehreren öffentlichen Einwohnerversammlungen detailliert erläutert werden.

Nr. 15 - Bürgerbeteiligung im Stadtumbau

Im letzten Beitrag hatten wir unter anderem auf die Einwohnerversammlungen zum Masterplan II hingewiesen, die voraussichtlich Anfang September stattfinden sollen. Wahrscheinlich haben Sie sich aber schon vorher manchmal gefragt, wie Sie als Bewohner unserer Stadt beim Stadtumbau eigentlich Einfluss nehmen und mitwirken können.

Stadtumbau kann nur gelingen, wenn er von Ihnen und den von Ihnen gewählten Vertretern im Stadtrat mitgetragen wird. Natürlich haben Sie einen Anspruch darauf zu erfahren, wie die Stadt den Stadtumbau steuern möchte. Dabei dürfen wir keine unerfüllbaren Erwartungen an die begrenzten Einflussmöglichkeiten der Stadt wecken. Vielmehr wünschen wir uns, dass Sie sich nicht nur als Betroffene oder als Nichtbetroffene sehen, sondern vor allem als aktive Bürger, die gemeinsam die große Aufgabe des Stadtumbaus angehen. Denn nur mit Ihrer Mitwirkung kann unsere Stadt trotz Schrumpfung in Zukunft lebenswerter werden.

Selbstverständlich müssen die grundsätzlichen Ziele und Leitbilder der Stadtentwicklung öffentlich diskutiert werden. Darin sollen sich nicht nur Ihre Erwartungen an die Stadt widerspiegeln, sie können auch Ihre Verbundenheit mit der Stadt, in der Sie leben, weiter fördern. Diese Leitbilder ziehen sich dann wie ein roter Faden durch alle weiteren Planungsschritte.

Das Stadtumbaukonzept muss jedoch auf Nachfrageanalysen aufgebaut werden, die kaum grundsätzlich korrigiert werden können. Würde die Stadt mit ihrer Strategie deutlich davon abweichen, wäre ein Scheitern vorprogrammiert. Eine Bürgerbeteiligung ändert leider wenig an der Nachfrage nach Wohngebieten. Wenn hier massive Probleme bestehen, haben die Bürger nämlich schon abgestimmt, und zwar mit dem Möbelwagen. Das Stadtumbaukonzept entzieht sich übrigens auch der rein planerischen Einflussnahme. Ein Gebiet kann städtebaulich so wertvoll sein wie es will: Wenn kaum noch Jemand dazu bewegt werden kann, dort hinzuziehen, sind die Anstrengungen der Stadt vergeblich. Deshalb möchten wir Sie vor allem ausführlich über die Methodik des Stadtumbaukonzeptes informieren und die daraus folgenden Entscheidungen so transparent wie möglich machen.

Bei den auf dem Stadtumbaukonzept aufbauenden Teilräumlichen Konzepten und bei der Vorbereitung konkreter Maßnahmen müssen Sie als Bürger natürlich intensiv beteiligt werden. Allerdings hängt die Möglichkeit, tatsächlich Einfluss zu nehmen, von der Art der vorgesehenen Planungen und Maßnahmen ab. Die bevorstehende Aufwertung und Neugestaltung einer Straße, eines Platzes oder eines Wohnumfeldes sollte zum Beispiel unbedingt gemeinsam mit den Bewohnern, Eigentümern und Gewerbetreibenden geplant werden, die die Situation vor Ort am besten kennen. Denn vor allem für sie soll die Maßnahme eine wirkliche Verbesserung mit sich bringen. Eine Bürgerbeteiligung kann auch dazu beitragen, dass sich Bevölkerung und Eigentümer in den jeweiligen Gebieten aktiv an der Maßnahme beteiligen oder sie auf ihren Grundstücken mit eigenen Aktivitäten fortführen.

Beim Rückbau eines nicht mehr vermietbaren Gebäudes liegt hingegen die endgültige Entscheidung immer beim Eigentümer selbst. Es ist Jedermanns gutes Recht, auf sein Eigentum zu verzichten, es sei denn, es handelt sich um ein Denkmal oder das Gebäude liegt im Gebiet einer Erhaltungssatzung. Mit einer Abstimmung über einen Rückbau würde zudem die Betroffenheit von Bewohnern verschiedener Gebäude gegeneinander ausgespielt. Die Stadt kann nur entscheiden, ob sie einen Rückbau fördern würde oder nicht. Deshalb ist es uns wichtig, lange im Voraus verbindlich festzulegen, wo eine Rückbauförderung gewährt wird und wo nicht, um damit die stabilen Gebietskerne zu erhalten.
An dieser Stelle endet nun unsere kleine Artikelreihe. Wir hoffen, dass wir Ihnen darin einige Tatsachen und Überlegungen vermitteln konnten, die Ihnen den Überblick über den Stadtumbau in Erfurt erleichtern. Wir freuen uns jetzt darauf, mit Ihnen gemeinsam nach der Sommerpause in die Diskussion der Planungen und ihrer Ergebnisse einzusteigen. Bis dahin wünschen wir Ihnen vor allem ein waches Auge für die Entwicklung unserer schönen Stadt.

veröffentlicht am 23.08.2005 von Birgit Kohlhaas · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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