Zum Seiteninhalt Logo der Architektenkammer Thüringen

Auf dem Weg zu mehr Verfahrenskultur

Rückblick auf den Mitteldeutschen Vergabetag

1 Bild vergrößern
Mitteldeutscher Vergabetag, Bild: AKT

Die Vergabe freiberuflicher Leistungen im Praxistest – so lautete das Motto des ersten Mitteldeutschen Vergabetags, der am 16. Mai 2013 im Collegium Maius in Erfurt stattfand. Gut hundert Teilnehmer waren der Einladung der Architektenkammern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie der Ingenieurkammern Thüringen und Sachsen-Anhalt gefolgt, um gemeinsam mit Auslobern, Verfahrensbetreuern und Preisrichtern in einen Erfahrungsaustausch einzutreten.

Hartmut Strube, Präsident der Architektenkammer Thüringen (AKT), hob einleitend hervor, dass es sich bei der Auswahl eines Planungspartners um eine der wichtigsten Entscheidungen handelt, die im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung einer Planungs- und Baumaßnahme zu treffen ist. Sie hat maßgeblichen Anteil an der Qualität eines Bauwerks und damit auch an der Werthaltigkeit einer Investition. Daher versteht es sich von selbst, fuhr Strube fort, dass sich das Augenmerk der Kammern auf die Vergabepraxis richtet.

Hier zeichnen sich bedenkliche Tendenzen ab: Zum einen beherrschen formale und betriebswirtschaftliche Kriterien sowie die Bewertung der fachlichen Eignung eines Bieters auf der Basis historischer Leistungen die Vergabeentscheidung, während das Potential eines Planungswettbewerbs ungenutzt bleibt. Zum anderen kennzeichnet ein Übermaß an Bürokratie die Verfahren. Auswahlkriterien werden mitunter zu Ausgrenzungskriterien und führen zu einer Wettbewerbsverzerrung. Verfahrensmängel häufen sich und gefährden den Vergabeprozess. Der Präsident der AKT appellierte an die Teilnehmer, sich gemeinsam für eine Qualifizierung der Vergabeverfahren einzusetzen.

Einen umfassenden Überblick über die Struktur und die Grundsätze des Vergaberechts gab der Vortrag von RA Johannes-Ulrich Pöhlker, Referent beim Hessischen Städteund Gemeindebund. Er erläuterte die einzelnen Schritte zur Durchführung eines Vergabeverfahrens und sensibilisierte für Fehlerquellen.

Einer besonderen Fehlerquelle der Vergabepraxis war der zweite Beitrag gewidmet. Axel Scheid, Vorsitzender der Vergabekammer Thüringen, informierte über die Abgrenzung von Eignungs- und Zuschlagskriterien, ihre Gewichtung und Wertung. Er betonte, dass Eignungskriterien die Eignung des Unternehmers feststellen, sie sind bieterbezogen orientiert, während Zuschlagskriterien die Wirtschaftlichkeit des Angebotes des jeweiligen Unternehmens ableiten lassen und daher einen Leistungsbezug aufweisen müssen.

Strittig blieb die Frage, wie dem Vergabegrundsatz, kleinere Büroorganisationen und Berufsanfänger an Vergabeverfahren angemessen zu beteiligen, entsprochen werden kann. Dr. Hans-Gerd Schmidt, Vorsitzender des Landeswettbewerbsausschusses der AKT, erläuterte, dass nach Angaben der Bundesarchitektenkammer in Deutschland 33 Prozent Einpersonenbüros, 43 Prozent Büros mit bis zu vier Vollzeitbeschäftigten, 15 Prozent Büros mit fünf bis neun Vollzeitbeschäftigten und neun Prozent mit zehn und mehr Vollzeitbeschäftigten existieren. In Thüringen liege der Anteil der Büros mit zehn und mehr Vollzeitbeschäftigen lediglich bei sechs Prozent. Dies bedeute, dass ein hoher Prozentsatz an Büros bei Auswahlverfahren vielfach allein aufgrund der Bürogröße keine Chance erhalte. Dr. Schmidt konstatierte, dass insbesondere Wettbewerbsverfahren kleineren Büros oder Berufsanfängern die Chance bieten, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Leider zeige die Thüringer Praxis eine geringe Wettbewerbsdichte, da der Planungswettbewerb oft als zeit- und kostenintensiv gelte. Dr. Schmidt relativierte diese Vorbehalte an Beispielen und appellierte an die Auslober, von standardisierten, in Teilen bürokratisch überfrachteten Verfahren abzusehen und ihre Vergabeentscheidung an qualitativen Kriterien auszurichten.

Oliver Stolzenberg schloss unmittelbar an. Der Vorsitzende des Ausschusses Wettbewerb und Vergabe der AK Sachsen stellte die drei Arten des Verhandlungsverfahrens – reines Bietergespräch, Verhandlungsverfahren mit Lösungsvorschlag, Verhandlungsverfahren mit Planungswettbewerb – im Ablauf gegenüber. Während die Lösungsvorschläge entsprechend einer Mehrfachbeauftragung jedem Teilnehmer zu vergüten sind, stellt der Wettbewerb nach der Richtlinie für Planungswettbewerbe (RPW 2013) eine Ausnahmeregelung von der gültigen preisrechtlichen Bindung an die HOAI dar. Deutlich herausgehoben wurde der Vorteil für den Auftraggeber: Er erhält eine Vielzahl an Lösungsansätzen, in der Regel in der Bearbeitungstiefe der Vorentwurfsplanung.  Die Wettbewerbssumme, mit der die Gesamtleistung aller Teilnehmer abgegolten wird, entspricht dem Honorar, das gemäß HOAI für eine Vorentwurfsplanung zu vergüten ist. Stolzenberg plädierte für eine effiziente Gestaltung der Vergabeverfahren. Dazu gehören neben einer präzisen Aufgabenbeschreibung und der frühzeitigen Einbindung aller Entscheidungsträger auch Augenmaß beim Umfang der geforderten Leistung sowie vereinfachte Auswahlverfahren beim Teilnahmewettbewerb.

Insbesondere der Umfang von Wettbewerbsleistungen war Thema des Beitrags von Prof. Ralf Niebergall, Präsident der AK Sachsen-Anhalt. Aus der Sicht eines Preisrichters zeigte er Chancen, aber auch Grenzen interdisziplinärer Wettbewerbe auf, die darauf zielen, Aspekte der Energieeinsparung und Energieeffizienz durch eine frühzeitig optimierte Planung berücksichtigen zu wollen. Prof. Niebergall erläuterte, dass bautechnische Nachweise eine größere Bearbeitungstiefe voraussetzen, die nicht der einer Wettbewerbsplanung entspricht. Hier bietet ein zweiphasiges Verfahren beste Voraussetzungen, allen Anforderungen gerecht zu werden. Während sich die Teilnehmer in der ersten Phase auf grundsätzliche Lösungsansätze beschränken können, besteht bei interdisziplinären Wettbewerben die Möglichkeit, in der zweiten Phase den Teilnehmerkreis um weitere Fachrichtungen auszudehnen.

Benjamin Hossbach, Geschäftsführer des Büros „phase eins“, Berlin, zielte mit dem letzten Beitrag auf eine professionelle Verfahrenssteuerung. Dies könne durch den Auslober selbst erfolgen oder durch einen externen Verfahrensmanager. Der Mehrwert eines „Externen“ bestehe in der Unabhängigkeit, sowohl vom Auslober und den Belangen vor Ort als auch vom Wunsch nach Weiterbeauftragung nach Abschluss der Verfahrensbetreuung.

Wettbewerbsbetreuung oder die Steuerung von VOF-Verfahren bedarf der besonderen Expertise. Dies zeigten die Vorträge. Die Architektenkammern führen hierzu eigene Listen, denen Auslober geeignete Ansprechpartner aus ihrer Region entnehmen können.

Der Mitteldeutsche Vergabetag machte die Komplexität der Vergabepraxis deutlich und sensibilisierte für die Anliegen der Beteiligten. Das Plädoyer der Kammern für Bürokratieabbau und schlanke Verfahren, für eine frühzeitige Abwägung einer der Aufgabenstellung angemessenen Verfahrensart, für mehr Planungswettbewerbe auch im Sinne der Nachwuchs- und Mittelstandsförderung und für Fairness bei der Vergütung von Planungsleistungen war unmissverständlich. Der Mitteldeutsche Vergabetag war ein Auftakt, den Dialog zwischen Auftraggebern, Planern und Verfahrensbetreuern nicht abreißen zu lassen, um Vergabeverfahren zu qualifizieren.

„Baukultur ist Planungskultur ist Verfahrenskultur“ – so das Credo der Kammern, aber auch der Titel der Broschüre, die zum Mitteldeutschen Vergabetag erschien. Die neue Publikation informiert über die Vergabearten nach VOF 2009 und RPW 2013. Sie soll bei der Abwägung einer der Planungs- und Bauaufgabe angemessenen Verfahrensart Orientierung bieten. Anhand von ausgewählten Beispielen werden Verfahrensdauer und -kosten miteinander verglichen. Herausgeber der Broschüre sind die Architektenkammern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie die Ingenieurkammern Thüringen und Sachsen-Anhalt.

Die Broschüre kann – entweder als gedrucktes Exemplar oder als PDF-Datei – kostenfrei bei den Geschäftsstellen der beteiligten Kammern angefordert werden.

gp

Beiträge der Referenten und Impressionen:
www.architekten-thueringen.de/vergabetag/

Nachrichten

Kontakt

Architektenkammer Thüringen
Assistentin der Geschäftsführung
Susann Weber
Bahnhofstraße 39
99084 Erfurt
Telefon: +49 (0)361–210 500
Fax: +49 (0)361–210 5050
info@architekten-thueringen.de

veröffentlicht am 24.06.2013 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

Diese Seite teilen

Die AKT in den sozialen Netzwerken