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„Die Arbeit in Thüringen zeichnet sich für mich durch kurze Wege und eine enge Vernetzung aus“

DAB-Reihe „Wir für hier“ – Im Porträt: Nicole Heusing

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Nicole Heusing, Bild: Sophia Schöttner

Mit der DAB-Reihe „Wir für hier“ versammeln wir Stimmen von Mitgliedern aller vier Fachrichtungen, die sich nach dem Studium dazu entschieden haben, ihren Beruf in Thüringen auszuüben – als Gebliebene, Zugezogene oder Zurückgekehrte.

In den Gesprächen erzählen sie von der Motivation, für Thüringen in ihrer Profession zu wirken und von den Besonderheiten ihrer Region. Außerdem gibt die Reihe Einblicke in Themen und Anliegen, die junge Kammermitglieder derzeit bewegen.

Diesmal im Porträt: Nicole Heusing, 33, ist freiwilliges Mitglied der Fachrichtung Innenarchitektur und arbeitet in Ilmenau.

DAB: Frau Heusing, was hat Sie aus Thüringen weggelockt?
Nicole Heusing: Mit meiner Entscheidung Innenarchitektur zu studieren, stand auch der Entschluss fest, Thüringen zu verlassen. Zum einen ist es – trotz der thematischen Nähe zum Bauhaus in Weimar – nicht möglich, in Thüringen Innenarchitektur zu studieren; zum anderen verspürte ich den Wunsch, aus meinem gewohnten Umfeld herauszukommen und das Neue zu erkunden. Ich wollte neue Menschen, neue Orte und neue Sichtweisen kennenlernen und mich freimachen von den vorgefertigten Denkmustern. In Städten wie Nürnberg, Stuttgart oder Düsseldorf konnte ich meinem Entdeckergeist freien Lauf lassen und habe alle innovativen Ideen und Verrücktheiten aus der Architektur- und Kreativszene, die auf mich einprasselten, aufgesogen.
Ein kompletter Tapetenwechsel und ein Ausbruch aus dem deutschen 40-Stunden-Alltag war mein Abenteuer in Kanada, bei dem ich mit selbst ausgebautem Camper durch die Natur der Rocky Mountains gereist bin. So konnte ich dem Architekturdenken mal entkommen – und die essenziellen Dinge im Leben sind mir wieder etwas bewusster geworden.

Welche Möglichkeiten eines Berufseinstieges hatten Sie, wann und warum haben Sie sich für Thüringen entschieden?
Grundsätzlich bietet die Innenarchitektur eine breite Palette an Spezialisierungen und vielfältige Möglichkeiten des Berufseinstiegs an. Mein Interesse liegt schon immer bei den humanwissenschaftlichen Themen, wie Didaktik, Soziologie und Architekturpsychologie. Während des Studiums habe ich mich auf Kommunikation im Raum spezialisiert. Jedoch ist die Anzahl der Innenarchitekturbüros in Deutschland sehr überschaubar und hauptsächlich in den Großstädten mit passendem Studiengang zu finden. Daher war die Wahrscheinlichkeit, in Thüringen eine passende Anstellung zu finden fast aussichtslos und ich bin in Nürnberg in meinen ersten Job gestartet. Erst während der Corona-Zeit wurden mir die Vorzüge Thüringens wieder bewusster. Die Nähe zur Natur, das Heimatgefühl sowie die Sicherheit und Ruhe, die ich in den Großstädten oft vermisst habe, konnte ich hier wieder finden.

Erzählen Sie uns von Ihrem Berufseinstieg: Wie ist der Übergang von Hochschule in den Beruf gelungen, was waren die ersten Projekte?
In meinem ersten Job in Nürnberg war ich nicht im klassischen Innenarchitekturberuf unterwegs, sondern habe Markenauftritte in Form von Ausstellungen, Infocenter und Messeständen entwickelt. Mit frischen, unkonventionellen Ideen habe ich die gestalterische Projektleitung für einige Kund*innen übernommen und mit der angelagerten Schreinerei das Handwerk mit allen Details kennengelernt.
Der Wunsch nach nachhaltigeren Projekten führte mich zum Masterstudium nach Düsseldorf, bevor es zurück nach Thüringen ging. Die Realität hat mich dann im Architekturbüro eingeholt. Aufklärung über den Beruf der Innenarchitektin zu leisten, war die erste Aufgabe; die Lücke zwischen theoretischem Studium und praktischem Berufsalltag zu schließen, die zweite. Einen Bauantrag auszufüllen, eine Kostenberechnung oder Ausschreibung zu fertigen – diese Tätigkeiten waren leider nie Teil meines Studiums. Aber ich habe bemerkt, dass das im Architekturstudium nicht unbedingt anders ist.

Muss man in Thüringen aufgewachsen sein, um sich hier wohlzufühlen?
In jeder Stadt oder Region, in der ich gelebt habe, haben immer die Menschen um mich herum meinen Wohlfühlfaktor bestimmt. Wenn man über Vorurteile hinwegsieht und sich auf die Region einlässt, kann man in den vielen kleinen Gemeinschaften schnell Anschluss finden. Ich fühle mich in der kleinen Kunst- und Kulturlandschaft in Erfurt, zwischen offenen, interessanten Menschen, sehr wohl. Dabei ist egal, ob man hier aufgewachsen, zugezogen oder zurückgekehrt ist.

Welche Rolle spielen Netzwerke aus Ihren Studienzeiten?
In meiner Studienzeit sind viele enge Freundschaften entstanden. Auch wenn wir mittlerweile in ganz Deutschland verteilt sind, unterstützen wir uns gegenseitig und stellen immer wieder fest, dass alle vor ähnlichen Herausforderungen im beruflichen Alltag stehen. Wenngleich ich doch auch oft bemerke, dass die Uhren in Thüringen bei Themen des Fortschritts langsamer ticken.

Was vermissen Sie hier in Thüringen?
Aus privater Sicht – oft ein bisschen mehr Zufriedenheit, Dankbarkeit und Wertschätzung; aus beruflicher Perspektive vermisse ich vor allem das Verständnis für die Innenarchitektur. Sowohl in Architekturbüros als auch bei Bauherr*innen ist unser Berufsbild oft nicht bekannt – und das, obwohl in Thüringen Themen wie Bauen im Bestand sowie die humanwissenschaftlichen Aspekte der Architektur, etwa Soziologie und Psychologie, von großer Bedeutung wären. Ebenso würde ich mir etwas mehr Offenheit in meinem Berufsalltag wünschen. In Thüringen begegnet mir oft das Bewahren der Tradition und seltener der Mut zu Innovationen.

Welches Potenzial hat Thüringen für Sie als Planende?
In der Innenarchitektur übernimmt man in Thüringen fast schon eine Vorreiterrolle. Mich persönlich motiviert das und animiert mich zum Sichtbarwerden. Wir sollten die Unkenntnis über die Komplexität des Fachbereiches der Innenarchitektur durch erfolgreiche Projekte abbauen und präsenter werden. In Thüringen sind wir keine anonyme Gemeinschaft; wir kennen uns und begegnen uns immer wieder. So können vor allem Projekte mit Gemeinschaftssinn in Zukunft auch immer mehr Wertschätzung erlangen.

Wie fühlen Sie sich als Berufseinsteigerin in Thüringen aufgehoben?
Dank der Arbeitsgruppe Junge Planende der Architektenkammer gibt es eine tolle Plattform für Austausch und Gemeinschaft über alle Fachdisziplinen hinweg. Nicht nur der fachliche Dialog wird gefördert, auch persönlich wurde mir die Integration als Berufseinsteigerin in die Thüringer Architekturszene erleichtert. Zusätzlich würde mich ein junger Austausch in meiner Fachdisziplin natürlich auch begeistern.

Was macht das Arbeiten hier besonders?
Die Arbeit in Thüringen, insbesondere in meinem Fall im Ilm-Kreis, zeichnet sich für mich durch kurze Wege und eine enge Vernetzung aus. Man kennt sich und trifft sich immer wieder – auf der Baustelle, bei Veranstaltungen oder in der Stadt. Oft treffe ich auf Menschen aus meiner Kindheit und Jugend. Diese enge Vernetzung ermöglicht zum einen eine angenehme Arbeitsweise, bedarf zum anderen eine disziplinierte, objektive Sichtweise aller Beteiligten.

Woran arbeiten Sie zurzeit?
Derzeit bin ich als Bauleiterin mit der Sanierung eines Bürogebäudes in Ilmenau beschäftigt, um es in ein modernes, zukunftsorientiertes Arbeitsumfeld zu wandeln. Im Sinne des New-Work-Gedankens wurden zum Projektstart in einem Workshop die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ermittelt und im laufenden Planungsprozess durch alle Leistungsphasen kontinuierlich hinterfragt und reflektiert. Vom Raumprogramm bis hin zur Lichtplanung werden die späteren Nutzer*innen in den Prozess integriert. Das schafft Akzeptanz und Verantwortung.

Wie sind Sie zur Architektenkammer gekommen und was wünschen Sie sich von Ihrer Kammer?
Durch mein Bedürfnis nach einem Netzwerk und nach beruflichem Austausch bin ich zur Kammer gekommen. Ich wünsche mir, dass sie noch mehr junge Menschen einbindet, die innovative Ideen mitbringen. Eine verstärkte Förderung des Nachwuchses und die Öffnung für neue Ansätze könnten dazu beitragen, die Architekturszene in Thüringen dynamischer und zukunftsorientierter zu gestalten.

Welche Stärken sollten die hier agierenden Planenden für den Berufsstand einbringen und welche Themenfelder sind derzeit von herausragender Bedeutung?
Da es manchmal etwas länger dauert, bis moderne Trends in Thüringen Fuß fassen, ist Mut zum Experimentieren besonders wichtig. Innovatives Denken und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, erfordern oft Überzeugungsarbeit bei allen Beteiligten.
Gleichzeitig sind die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit von herausragender Bedeutung in der Baubranche. Insbesondere Innenarchitekt*innen können von der aktuellen Bauwende profitieren, indem sie ihre Expertise im Bauen im Bestand einbringen und Aufklärungsarbeit bei Bauherr*innen leisten. Durch nachhaltige Konzepte und die Umnutzung vorhandener Strukturen leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Ressourcenschonung.
Aus meiner Sicht ist die Aufgabe der Planenden in Thüringen, die Brücke zwischen Tradition und Moderne zu bauen.

Zeigen Sie uns Ihren Lieblingsort in Thüringen – und erklären Sie ihn uns!

Bild: Nicole Heusing

In meiner freien Zeit suche ich ganz bewusst den Gegensatz zu unserer gebauten Umwelt und bin am liebsten in der Natur unterwegs. Als Läuferin kann ich am besten bei einer Runde durch den Thüringer Wald abschalten und genieße die Ruhe auf den Waldwegen am Rennsteig.

Vielen Dank!

veröffentlicht am 31.10.2024 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Wir für hier

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