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DIN 18030 – Barrierefreie Planungsgrundlage

Factus 2â Architekten, Erfurt

DIN 18030 – Barrierefreie Planungsgrundlage oder unrealistisches Regelwerk?

Die Entwicklung des barrierefreien Bauens vollzog sich in den vergangenen Jahren, entsprechend den politischen Prioritäten, mal langsam - mal stetig. Bald 6 Jahre sind vergangen seit der Auftragserteilung durch den Fachbereich „Grund- und Planungsnormen“, die bestehenden vier Normen 18024 - 18025 zu einer allgemeingültigen Norm für barrierefreies Bauen zusammen zu fügen. Ein beschaulicher Anstoß folgte im Mai letzen Jahres mit dem Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG). So leise, wie die Verabschiedung dieses Gesetzes vonstatten ging, säuselte dann auch der Wind durchs Normungsinstitut. Schon im Nov. 2002 folgte die Veröffentlichung des Entwurfs zur neuen DIN 18030. Menschen mit Behinderungen erhoffen sich nun „Universal Design Standards“, die ihnen, wie in Übersee, die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Schon heute hat jeder Bürger in diesen Ländern das Recht auf Nichtbenachteiligung. Gegen bauliche Barrieren besteht für jeden die Möglichkeit, rechtlich mit Erfolg vorzugehen. Dieser Hoffnung frönend fand der Entwurf schnell seine Verbreitung unter den zukünftigen Nutznießern, Planern und Gegnern.
Seitdem wird in Fachkreisen heftig erörtert, diskutiert, gescholten, Gegendarstellungen formuliert und Einsprüche erhoben. Selbst jetzt, da die Einspruchsfrist abgelaufen ist, werden noch immer ganze Abhandlungen zum Thema verfasst. Ungeachtet dessen versuchen plötzlich vom Zeitgeist gepackte Kollegen, Siegeshymnen auf die neue DIN anzustimmen. Nur leider ist es dafür noch etwas zu früh. Da immer mehr wirtschaftliche Aspekte den Planungsalltag beherrschen, sollte die 18030 vereinfacht und klarer strukturiert werden. Unwesentliches und doppelt Geschriebenes sollte entfallen. Und hinzu kam die Forderung der Aufnahme der sensorischen Anforderungen. Generell war der Normausschuss dazu angehalten, keine Lösungen vorzugeben, sondern nur die Anforderungen an die Funktion zu formulieren. Es sollten so wenig wie möglich Ergebnisse vorgegeben werden. Leider haben diese anfänglich gesetzten Ziele offensichtlich nur im Vorwort Einzug gehalten, denn das, was im Entwurfstext folgt, sind Festlegungen, unfertige Ansprüche und Mussbestimmungen ohne Toleranzen.
Der zu begrüßende Satz: „Die Anforderungen nach dieser Norm dürfen auch auf andere Weise als in dieser Norm festgelegt, erfüllt werden.“ wird nicht unbedingt mit Leben erfüllt, z.B. im Pkt. 4.4.5 „Handläufe müssen griffsicher, gut umgreifbar und rund mit einem Ø von 3cm bis 4,5cm sein.“ „Die äußeren Handläufe sind...mind. 40cm hinaus waagerecht weiter zu führen.“ Anforderung werden als Lösung postuliert, welche überhaupt keine Toleranz oder Alternative zulässt. Auch das schafft Barrieren- nämlich in den Köpfen von Planern und Architekten. Statt das Ziel zu erklären, werden Forderungen aufgestellt.

Im Punkt 4.4.1 wird die stufenlose Erreichbarkeit zu allen wesentlichen Zugängen gefordert, es sei denn, „zwingende Gründe“ lassen dies nicht zu. Wenn man bedenkt, dass sich die Norm in erster Linie auf Neubauten bezieht, bleibt die Frage offen, wann sind was „zwingende Gründe“?

Sicher werden sofort höhere Kosten als „zwingende Gründe“ angegeben, die jedes weitere Nachdenken über andere Lösungsmöglichkeiten im Keim ersticken. Wenn eine aufgestellte Forderung im Nebensatz das Auslassen ermöglicht, dann muss es auch eine Meßlatte geben, welche die „zwingenden Gründe“ definiert. Die immer wiederkehrenden Diskussionen mit der Denkmalschutzbehörde zeigen, dass bauliche Maßnahmen für „besondere Personengruppen“ aus „zwingenden Gründen“ des Denkmalschutzes nicht realisiert werden können. Da stellt sich doch die Frage, hat der Denkmalschutz Vorrang vor dem Grundgesetz Art.3 und dem BGG? Sind Gebäude für Menschen da oder Menschen für Gebäude? Würde sich diese Frage jeder Planer grundsätzlich beim Entwurf eines Gebäude stellen, würden große Teile der DIN sowieso obsolet.

Eine der ungeschicktesten Formulierungen bzw. Forderung steht im Pkt. 4.4.3. „Treppen als einzige vertikale Verbindung sind unzulässig. Sie sind durch Aufzüge oder Rampen zu ergänzen.“

Sollte diese Forderung tatsächlich so gemeint sein wie sie formuliert ist, denn die Norm gilt nach ihrem Anwendungsbereich für ausnahmslos alles Gebaute, gilt sie auch für Einfamilienhäuser. So werden die Aufzugshersteller in Zukunft einen enormen Umsatz zu verzeichnen haben. Die entstehenden Kosten nicht nur für die Herstellung und den Einbau, sondern auch die Unterhaltung, Wartung etc., kann nicht so ernsthaft gefordert werden, wie sie hier formuliert ist. Wenn alle Treppen als so essentielle Barrieren gelten, so dass sie immer und ohne Ausnahme durch Rampen und Aufzüge ersetzt werden müssen, so kann die Norm auch im Folgenden auf die detaillierte Beschreibung und Ausführungen von Treppen verzichten. Auch die festgelegte Gliederung zu den geometrischen Anforderungen manifestiert wieder die Auffassung, rollstuhlgerecht sei barrierefrei. Beim genauen Lesen fällt immer wieder auf, dass die 18030 nicht nur eines Feinschliffes bedarf, sondern das noch ganz grobe Schnitzer geheilt werden müssen.
Bereits heute sind die vier vorhandenen Normen (18024/25 T1/T2) nicht voll anwendbar im Sinne einer generellen Verpflichtung zur Anwendung. Durch das starre Vorscheiben von Lösungen und festen Vorgaben zur Umsetzung werden Planern und Bauherren Ergebnisse vorgeschrieben, die verständlicherweise nicht immer auf Akzeptanz, geschweige denn gar auf Begeisterung stoßen. Dem Planer blieb oft nichts anderes übrig, als die vorgefertigten Lösungen zu übernehmen. Das ermutigt natürlich nur sehr wenige, über neue, möglicherweise wirtschaftliche oder sogar kreativere Lösungen nachzudenken. Aus diesem Grund sollte das Ziel der 18030 sein funktionsorientiert die Anforderungen der einzelnen Personengruppen darzustellen und die Lösung dem Planer zu überlassen.
Durch ungeschickte Formulierungen, überzogene Forderungen und fehlende Absprachen mit dem Gesetzgeber, der Denkmalschutzbehörde und obersten Baubehörden der Länder, wird es die Norm in dieser Form nicht in die Technischen Baubestimmungen der Länder schaffen, geschweige den in den Landesbauordnungen verankert werden.

Hoffen wir also auf die Überarbeitung und eine DIN ohne Barrieren.

veröffentlicht am 12.05.2003 von Susann Weber · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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