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Erfurt macht Blau

Beitrag von vitamin Office zur Ausstellung www.erfurt-am-wasser.de

Situation
Erfurt als gewachsene Stadt an der Gera bildet heute entlang des Flusses ein Konglomerat aus Stadtszenarien, deren Außen- Zwischen- und Innenräume von meist zusammenhaltloser Heterogenität geprägt sind.
Der Flussraum wirkt daher als eine Aneinanderreihung von Resträumen und weitgehend zerklüftet.
Die angrenzenden Gebäudekanten als flussraumbildende Elemente sind meist als Rückseiten ausgebildet und negieren daher eine Interaktion von Stadtraum und Flussraum.
Die Fassaden entlang des Flusses gleichen einem Zeitkolorit und unterstreichen den uneinheitlichen Charakter des Gesamtflussraumes.
Der Fluss als verbindendes Element einer Stadt wird als solches kaum noch wahrgenommen. Oft ist der Verlauf der Gera störendes, zerschneidendes, trennendes Element. Stadträume haben sich nur in seltenen Fällen über dem Fluss entwickelt und diesen besonderen Raum als integriertes Element akzeptiert.

Dem Flussraum durch Erfurt wären zwei verschiedene, sich ergänzende übergeordnete Raumcharaktere zuzuordnen. Zum einen sind das die verdichteten Situationen in den Innenstadtbereichen, wo die Stadtstruktur am Fluss angebaut ist und diesen kanalisiert. Zum anderen sind das die Aufweitungen der Auengebiete in Richtung der beiden Stadtausgänge am Fluss entlang.

Ziel
Die Vision der Studie besteht darin, zukünftig eine einheitlich ablesbare und positive Identität des Flussraumes innerhalb des Stadtraumes zu schaffen.
Vorrangiges Ziel dabei ist, die Aufenthaltsqualitäten zu stärken und erlebbar zu machen, die sehr hohen Qualitäten und Entwicklungspotenziale von Teilgebieten hervorzuheben und zu einem gesamtheitlichen Ganzen zu fügen.
Ziel ist es ebenso, durch die gesamtheitliche Neugestaltung des Flussraumes der Stadt Erfurt einen Raum zurückzugeben, der bislang als städtischer Restraum in Vergessenheit geraten ist.
Der Mensch soll wieder in aktiver wie sinnlicher Art und Weise den Flussraum in Wechselwirkung mit den verschiedenen Stadträumen bewohnen.

Entwurfsidee
Der vorgefundenen heterogenen Flussraumstruktur stellt das Entwurfskonzept eine charakterstarke, einladende, zum Verweilen anregende Atmosphäre entgegen, die sich in Nutzung, Materialität und Formensprache in allen Detailmaßnahmen konsequent niederschlägt.

Der Flussraum – ein öffentliches Wohnhaus
Die Leitidee zum Entwurf ist ein öffentlich benutzbares Wohnhaus. Gleich einer Wohnung reihen sich an einem definierten Weg die verschiedenen Räume an, welche die Grundbedürfnisse des Wohnens befriedigen. Garderobe, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad etc. reihen sich an der Gera an, die den Weg durch das städtische Haus markiert und verbindendes Element ist.
Vorgefundenes wird aufgenommen, geordnet, wiederverarbeitet. Der ehemalige Restraum wird zum städtischen Innenraum, lädt ein und stellt die Verzahnung zum Stadtraum her. Das trennende Element wird zum verbindenden Element.

Umsetzung

Bildung von Zimmern
Gleich den verschiedenen Bereichen eines Wohnhauses wird das Gebiet entlang der Gera in Zimmer gegliedert.
Trotz dieser gesamtheitlichen Maßnahme zur Umgestaltung des Flussraumes werden die spezifischen Besonderheiten von Teilräumen aufgenommen und in „Zimmern“ verarbeitet. So bildet der Bereich hinter der Krämerbrücke als momentane „Lounge“ von Erfurt einen Teil eines Wohnzimmers oder die Sportanlagen des Rieths einen Fitnessraum. Die Freibäder am Luisenpark und das Nordbad werden jeweils zu „Badezimmern“, die Stadteingänge zu Garderoben.
Die angewandten Detailmaßnahmen zur Schaffung von Zimmern variieren je nach Nutzung. Die Zimmer untereinander bilden fließende Übergänge, so dass ein kontinuierlicher Stadtraum von einheitlichem Charakter entsteht.

Garderobe
Die Garderobe am Stadteingang bildet die Schwelle und wird zum ersten Treffpunkt Einheimischer und Gäste. Sie ist Auftakt, Endpunkt oder Wendemarke.
Autos werden hier “abgelegt“ und gegen Fahrräder oder Skates getauscht. Alles ist geordnet – alles hat seinen Platz. Ein öffentliches WC unterstreicht den Servicegedanken.
Das Blaue Band bildet die Fläche, heißt willkommen und stellt sich als ständiger Begleiter zur Verfügung.
Die Ordnung gibt das Parken, markantes Licht bildet die Struktur.

Küche
Als das kommunikative Zentrum stellt sich die Küche dar. Hier wird geredet, geangelt, gegrillt, zusammen gesessen. Musik, helles Licht, Geschrei ist erwünscht. Stationäre Grills, Tische und Bänke markieren das Zentrum. Zoniert wird dieser Bereich durch das Blaue Band, welches Satelliten vom Weg aus am Fluss bildet.
Aktionsflächen wechseln mit Hochbeeten, in denen Kräutergärten angelegt sind.

Wohnzimmer
Als Rückzugsbereich zur Entspannung bieten sich Auen und Parks als Wohnzimmer an. Hier findet man neben dem natürlichen Grün großformatige Sitzgelegenheiten, Sonnendecks mit Sonnenschirmen, ein Lesecafe oder einen Musikpavillon. Bäume wirken raumbildend - Sträucher und Beete bilden Separées. Lichtgruppen lassen offene helle, aber auch dezent gedeckte Bereiche zu.

Schlafzimmer
Naturbelassene Landschaftsräume direkt an der Gera bilden die Schlafzimmer. Schilfgürtel schützen vor Einblicken und lassen einen Intimbereich entstehen. Das Erleben des Raumes steht im direkten Zusammenhang mit dem sinnlichen Erleben des Wassers in Form von Klang, Geruch und Temperatur. Das natürliche Spiel des Biotops wird zum erlebbaren Szenario.

Badezimmer
Die vorhandenen Freibäder entlang der Gera werden revitalisiert und umgeordnet. Waren die Bäder bisher separierte, geschlossene Anlagen, werden Sie jetzt Bestandteil eines Flussbades und somit Teil des Flussraumes. Das Eintauchen in die Flusslandschaft steht hier im Mittelpunkt. Die angrenzenden Parks dienen als grenzenlose Liegewiesen zum Entspannen, Kommunizieren, Erholen.

Kinderzimmer
Den Kinderzimmern wird eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Vorhandene Spielplätze werden ausgebaut und dem Erfassen von Sinneseindrücken gewidmet.
Vorstellbar sind Kinderzimmer als weitgefasste Räume entlang der Geraauen, aber auch als Zonen innerhalb der Küchen, Wohnzimmer und Fitnessräume. Outdoorkinderzimmer als Stundenkindergarten mit Betreuung etablieren sich als neue Dienstleistung.

Fitnessraum
Neben den kommunikativen und den sinnlichen Räumen sollen ebenso die Aktionsräume dazu beitragen, den Freizeit- und Erholungswert der vernachlässigten Räume zu steigern. Vorhandene Sportstätten wie die Radrennbahn oder Stadien werden zur Flusslandschaft hin geöffnet, Skaterbahnen werden etabliert. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Wassersport. Der Flutgraben um die Altstadt herum eignet sich hervorragend für den Bootsport. Begleitet wird der Flutgraben von einem Skater- und Radweg, der eine erweiterte Schleife zum Geraradweg sein kann.

Maßnahmenkatalog

Das Blaue Band – ein künstlicher Fluss
„Erfurt macht Blau“ – in Anlehnung an die Herstellung des blauen Farbstoffes Indigo aus der Nutz- und Heilpflanze Waid im Mittelalter, soll auch heute die Farbe Blau für Erfurt wieder seine
Die Schaffung eines neuen, künstlichen Flusses, der in einen Dialog mit der Gera tritt, ist die grundlegende Maßnahme des Entwurfes.
Das Blaue Band, ein Bodenbelag aus indigoblauen Gummigranulat, begleitet die Gera in ihrem natürlichen Verlauf, unterstützt wo nötig und markiert Freiräume wo möglich.
Das Blaue Band zoniert den Aktionsraum zum Wechselspiel Mensch – Fluss. Es versteht sich als einen Eingriff in das Leben des Flusses und des Flussufers. Ziel ist die Aufwertung, das Sichtbarmachen, das Erlebbarmachen des Wassers. Zum einen bildet das Blaue Band den Untergrund für den Verlauf der Gera. Gerade an schwierig zugänglichen oder vernachlässigten Stellen des Flusses, die schnell zu Dreckecken werden, legt sich das Blaue Band in das Flussbett unter das Wasser der Gera. Der Fluss wird somit gesäubert und das Wasser auf einem Silbertablett getragen.
Zum anderen zieht sich das Blaue Band an Stellen, wo der Fluss in seiner Natürlichkeit funktioniert, aus dem Flussbett zurück, und bildet die begehbare Grundlage für alle Aktivitäten innerhalb der definierten Zimmer.
Das Material ist ein Gummigranulat, das entweder offenporig an begehbaren Bereichen eingesetzt wird, oder mit einer geschlossenen Oberfläche im Wasser selbst Verwendung findet.
In den begehbaren Bereichen wird es als ein weicher, schallschluckender und Wasserdurchlässiger Bodenbelag eingebaut. Durch seine richtungs- und randlose Struktur kann das Material an jeder Stelle scharf geschnitten werden und bildet somit einen definierten Übergang zu den angrenzenden Bereichen. Die wasserdurchlässige Struktur des Materials lässt zu, selbst bei Regen auf einem relativ trockenen, weichen, rutschfesten Belag zu gehen. Eine hohe Eigenelastizität und Resistenz gegen thermische Belastungen (Frost, Hitze etc.) und chemische Belastungen stehen für die Eignung des Materials.
Bei einem Einsatz des Materials unter Wasser wird durch die geschlossenporige Variante erreicht, dass sich auf der Oberfläche des Belages keine Ablagerungen halten können und somit eine gleich bleibende Sauberkeit des Wassers gewährleistet wird. Als positiver Nebeneffekt wird das darüber fließende Wasser optisch blau eingefärbt und somit in seiner Wahrnehmbarkeit deutlich gesteigert.

Möbel
Stationäre Möbel, die sich aus der Fläche des Belages heraus entwickeln, bilden im Zusammenspiel mit Licht das jeweilige Grundszenario eines jeden Zimmers. Als Regisseur und Choreograph wirkt der jeweilige Benutzer, der die vorhandenen Gegenstände durch selber mitgebrachte Accessoires ergänzt und somit ein sich ständig variierendes Bühnenbild kreiert. Die immer gleiche, einheitliche Oberfläche des Belages legt sich dabei wie ein Tuch über die Möbel. Dabei werden die Formen der Möbel den jeweiligen Zimmern angepasst und variieren in der Detailausbildung.

Accessoires
Neben den Möbeln tragen die spezifischen Accessoires eines jeden Zimmers zur jeweiligen Charakterisierung bei. Sind es in der Küche die einzelnen Tische und Bänke, so sind es im Wohnzimmer die überdimensionalen Blumenvasen und in den Schlafzimmern Liegeflächen mit dazugehörigen Sonnenschirmen. Die verwendeten Accessoires spielen in Anwendung und Ausformung mit der alltäglichen Umgebung einer Wohnung, in dem diese zelebriert und gleichsam ironisiert wird.

Beleuchtung
Eigens entwickelte Beleuchtungen sorgen in wechselnder Detailausbildung und Stellung zueinander für das notwendige Licht einerseits, und für das, den Zimmercharakter unterstützende, szenische Licht andererseits. Die Lichtsituationen sind in dem Maße steuerbar, als das sie den unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten sowie Event- oder Ruheszenarien angepasst werden können.
Während in den Garderoben Einzellampen im Raster die Ordnung stützen, stehen gleiche Stelen in den Wohnzimmern als Lichtgruppen beieinander, gleich einer Baumgruppe des Englischen Gartens.
Lediglich in den Loungebereichen kommt eine besondere Beleuchtung zum Einsatz, die in Ihrer amorphen Ausformung und dem blauen Licht den Chillout - Gedanken der Lounge widerspiegelt.

Marketing-Konzept

Image der Stadt Erfurt
Das Image der Stadt Erfurt wird im Bundesdeutschen Querschnitt neben dem hohen Bekanntheitsgrad als politische Landeshaupt im Wesentlichen durch die drei Faktoren

1. historisches Stadtbild
2. gastfreundliche – kulturelle Atmosphäre
3. Label als Blumenstadt

erzeugt.

Ein großes Erfolgsmerkmal der Tourismusbranche in Erfurt ist zudem eine ungewöhnlich hohe Kundenbindung der Gäste. Ebenso ist zu verzeichnen, dass sich der tatsächliche Besuch der Stadt Erfurt durchweg positiv auf einzelne Bewertungsmerkmale zum bleibenden Image von Erfurt auswirken. Der reale Erfahrungswert steht somit im Mittelpunkt unseres Interesses.
Um das Label „ Erfurt macht Blau“ in den Besuchern der Stadt Erfurt, aber auch in den Einwohnern der Stadt selbst zu verankern, geht unser Konzept in der Hauptsache auf die genannten 3 Faktoren ein.

Anzudenken wäre, die angebotenen Stadtführungen durch die historische Altstadt von Erfurt auf den Verlauf der Gera bis in die Geraauen hinaus und somit auch in die vielfältigsten Stadtgebiete auszudehnen.
Dem Blauen Band folgend, kann Erfurt aus einer völlig neuen Perspektive, vom Flussraum aus, entdeckt werden. Ein Zusammentreffen der Einwohner und der Gäste über die Innenstadt hinaus ist der Leitgedanke.
Ständiger Begleiter dieser Entdeckungsreise ist ein eigens entwickelter Stadtführer durch die einzelnen konzipierten Zimmer. Jedem Zimmer ist dabei auf ganz eigene Art und Weise ein gastgebender, kultureller, kommunikativer, erholsamer oder auch aktiver Charakter zugeschrieben. Die gartenähnlichen Anlagen der eher ruhigen, loungigen Zimmer untermalen das Flair der Stadt Erfurt für außergewöhnliche Gartenkonzepte und deren Inszenierung.

Im Wesentlichen stehen drei relevante Kundenbedürfnisse bei der Konzipierung eines gesamtheitlichen Lösungsansatzes im Vordergrund.
Das wäre zum Ersten, dass die zerklüfteten, städtischen Resträume entlang der Gera eine einheitliche Widmung erfahren und so für die Einwohner nutzbar werden. Als nächstes ist es das Ziel, einen gesamtheitlich zu lesenden Freizeitraum quer durch Erfurt zu schaffen, an denen die Bewohner der verschiedenen Stadtteile gleichermaßen Anteil haben, und somit eine gemeinsame Identifikation mit dem Gesamtraum erzeugt wird.
Als Drittes ist es der Wunsch, auf kurzen und direkten Weg in oder durch die Stadt zu kommen (per Fahrrad etc.) und dabei das Angebot von Aufenthaltsqualitäten nutzen zu können.

Als weiteres Kundensegment neben den Einwohnern und den Gästen der Stadt sind die arbeitenden Menschen aus der Innenstadt und den Randgebieten, die eine Alternative zur Innenstadt während der Pausen und nach der Arbeit geboten bekommen. Kurze Wege und ein weitgefasstes Angebotsspektrum machen diese Alternative attraktiv.

Das Label „Erfurt macht Blau“ hat sich neben dem profilierten Label der EGA zu etablieren. Muss sich die EGA mit einer weitgehend abgeschnittenen Peripherie von Erfurt begnügend, so spricht eindeutig der Standort mitten durch das Herz von Erfurt für eine erfolgreiche Positionierung des „Produktes“,
Kundennähe, Topanbindung an verschiedene öffentliche Verkehrsmittel und eine teilweise Nutzung der bestehenden Infrastruktur runden das Marketingkonzept ab.

Ein kompetentes Angebot an Dienstleistungen erhöht neben den schon hohen Freizeitqualitäten den Wert der Marke.
Die einzelnen Zimmer können als Eventbühnen für verschiedene Anlässe dienen. Angedacht sind Konzerte, Kleinkunst, Geraauenfest oder die Grillmeisterschaften des Landes Thüringen. Ein umfassendes Angebot an Kinderbetreuung fasst die zukünftigen Nutzer der Geraauen früh ins Auge.

Ein hauptsächlicher Vertriebskanal des Labels ist mit Sicherheit die Verbreitung durch Erzählen des Erlebten.
Ein steuerbarer Vertrieb ist der gezielte Auftritt zu unterschiedlichen Events und an verschiedenen Orten. Das Label wird einen festen Stand auf Messen der Tourismusbranche, auf Landesausstellungen und zu Regionaltagen bekommen.
Gezielte Angebote in Tourismusbüros, in Läden und öffentlichen Stellen der Stadt Erfurt sind Mittel eines flächendeckenden Auftrittes.

Die Kommunikation mit den breit gefächerten Nutzergruppen ist durch verschiedene Maßnahmen möglich.

Mit Unternehmern aus dem Tourismusbereich wäre ein Direktmarketing die effektivste Art.
Artikel in den Medien, Printmedien in Form einer Broschüre als Guide durch die Zimmer, Produkte, wie eine eigens gestaltete Mineralwasserflasche oder ein Internetauftritt mit Buchungsmöglichkeiten wären Maßnahmen eines PR – Auftrittes.
Die Einbindung in verschiedene Eventserien, gerade die, der aktiven Zimmer, wäre eine geeignete Maßnahme zur Bindung des jungen Publikums. Denkbar wären Skatercontests, Beachvolleyball – Serien oder eine Nutzung der Stadien des Rieths über die Parkflächen hinweg.

veröffentlicht am 22.10.2004 von Birgit Kohlhaas · Rubrik(en): News, Stiftung Baukultur Thüringen

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