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IBA Thüringen – Zukunftslabor für innovative Prozesse und exzellente Projekte

Interview mit Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup, dem neuen IBA-Geschäftsführer

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Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup

Gertrudis Peters: Herr Prof. Lütke Daldrup, Sie sind seit April 2013 Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Thüringen. Die „StadtBauwelt“ schrieb im März 2013: „Wer heute IBA macht, muss bereit sein, die Ärmel hochzukrempeln, auf harten Stühlen zu sitzen und notfalls unterm Heizpilz zusammenzurücken.“ Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Engelbert Lütke Daldrup: Eine Internationale Bauausstellung ist immer etwas ganz Besonderes. Sie versucht, etwas Neues zu denken, ein Stück weit Zukunftslabor zu sein und Fragen zu beantworten, die bisher in einer solchen Form noch nicht bearbeitet und beantwortet worden sind. Ich hoffe, dass ich mit meinen Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen von Planungstätigkeit, auch politischen Erfahrungen und mit meinem wissenschaftlichen Interesse da etwas einbringen kann. Insofern freue ich mich auf eine neue interessante Aufgabe.

Was verbindet Sie mit Thüringen?
Als Stadtbaurat in Leipzig habe ich Mitteldeutschland für mich entdeckt. Ich komme aus Westfalen, habe in Frankfurt am Main und lange Zeit in Berlin gelebt, und ich muss sagen, es lohnt sich, den mitteldeutschen Kultur- und Landschaftsraum näher kennenzulernen. Hier befindet sich das kulturelle Herz Deutschlands. Das war in der westdeutschen Erfahrung mit Grenze und Mauer ein Stück weit - nicht vergessen, aber in den Hintergrund gerückt. Nachdem ich jetzt gut sechs Jahre wieder in Berlin gelebt habe, gab es eigentlich nur einen Ort, wo ich sonst noch hätte hingehen wollen, und das war eben Mitteldeutschland. Insofern war die IBA Thüringen eine schöne Gelegenheit, diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen.

Als Markenzeichen der Planungskultur in Deutschland erfährt das Instrument der Internationalen Bauausstellung höchste Anerkennung und wird derzeit mit der IBA Basel und der IBA Parkstad über die Grenzen exportiert. Droht das Instrument durch inflationäre Anwendung an Qualität einzubüßen?
In Deutschland gibt es – nach der Absage in Berlin – nur noch zwei Orte oder Regionen, die eine neue IBA starten. Dabei ist es doch ein gutes Zeichen für unsere Baukultur, wenn sich viele dafür interessieren, ein Zukunftslabor, einen „Ausnahmezustand auf Zeit“ zu organisieren. Das Instrument IBA verpflichtet jedoch zu Qualität sowohl in der Diskussion um die Themen als auch in den Projekten. Ein IBA-Expertenrat, der auf Bundesebene installiert wurde und dessen Mitglied ich war, hatte genau diese Frage im Blick. Unser Ziel war es, dem Instrument IBA durch die Formulierung von Qualitätsstandards ein Gerüst zu geben. Mit dem IBA-Memorandum haben wir versucht, in zehn Punkten deutlich zu machen, was eine IBA ausmacht. Denn im Gegensatz zur Bundesgartenschau oder zur Kulturhauptstadt Europas wird das „Label“ IBA nicht durch ein Gremium vergeben. Es ist kein Zertifikat, sondern bedeutet eine Selbstverpflichtung zu Qualität.

Und was macht dieses Instrument anders als das normale Tagesgeschäft der Stadt- und Regionalplanung?
Ein Bundesland oder auch eine Stadt leisten sich einerseits eine Organisation, der man die Freiheit gibt, über Themen nachzudenken, die normalerweise im Verwaltungsalltag keinen Raum finden. Andererseits müssen - in unserem Fall - das Land Thüringen und unsere zukünftigen Projektpartner bereit sein, mit integrativen Verfahren nach Exzellenz im Planen und Bauen zu suchen und über den eigenen Horizont hinaus zu denken. Auf diese Weise kann ein Stück Bewegung im normalen Alltag von Planung und Politik entstehen.

Das Instrument IBA sucht immer auch nach innovativen Lösungen. Welche Rahmenbedingungen generieren Innovation?
Aus der Forschung wissen wir, dass Innovation durch Wettbewerb um die besten Ideen und dabei häufig an den Grenzlinien der Disziplinen entsteht. Albert Einstein hat mit Recht gesagt „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Insofern sind für mich Interdisziplinarität und ganzheitliche Herangehensweise an Themen Schlüsselbegriffe von Innovation. Man muss allerdings auch Möglichkeiten des Austausches und neue Formen der Zusammenarbeit organisieren. In Thüringen wollen wir die Hochschulen auf besondere Weise in diesen Prozess integrieren. Wir möchten als IBA Fragestellungen aufwerfen, zu denen wir verschiedene Menschen an verschiedenen Hochschulen und aus verschiedenen Disziplinen einladen, daran mitzuwirken.

IBA steht für Internationalität. Wie möchten Sie diesen Anspruch einlösen?
Internationalität bedeutet auf der einen Seite, dass wir bereit sind, von außen Menschen und Ideen aufnehmen. Zum anderen bedeutet es, dass das, was in Thüringen modellhaft entwickelt wird, nicht nur für den Freistaat von Relevanz ist, sondern von nationaler und internationaler Bedeutung sein kann. Thüringen ist ein Land, das weder Metropole noch Peripherie ist, ein Land, das sich irgendwie in der „Mitte“ befindet. Dafür gibt es eine ganze Reihe weiterer Regionen in Europa, in Nordamerika, in Südafrika, auch in Japan, die vergleichbare Strukturen aufweisen und sich in ähnlichen Transformationsprozessen befinden. Das sind für uns mögliche Referenzräume, auf die wir uns beziehen und mit denen wir in Austausch treten wollen.

Jede Internationale Bauausstellung besetzte thematisch ihren eigenen Schwerpunkt. Was ist aus Ihrer heutigen Sicht die Alleinstellung der IBA Thüringen?
An dieser Frage arbeiten wir gerade, und es wäre vermessen, dazu schon heute eine Antwort zu formulieren. Das Kabinett hat im Sommer 2011 einen Beschluss gefasst und uns Leitthemen mit auf den Weg gegeben: die Herausforderungen des energetischen Wandels, der demographischen Entwicklung, der soziokulturellen Veränderungen gilt es vor dem Hintergrund veränderter finanzieller Ressourcen und auf der Basis der Thüringer Kulturlandschaft zu reflektieren. Das legt auch das Hinterfragen von Werten, Normen, Standards nahe. Die Fragen der Energiewende, der Ressourcen werden eine besondere Bedeutung haben, weil sie in mehrfacher Hinsicht sowohl unsere Landschaften als auch unsere Städte mit ihren baulichen Strukturen berühren. Das Thema „Ressource“ kann auch im übertragenen Sinne verstanden werden und zu der Frage führen: Welche Ressourcen sind eigentlich mobilisierbar für innovative Prozesse? Jedoch reicht ein Begriff nicht, um die Alleinstellung der IBA Thüringen zu formulieren. Wir werden uns in den nächsten ein bis zwei Jahren intensiv mit der Programmierung der IBA Thüringen beschäftigen. Es wird ein Prozess sein, in dem viele mitwirken können, hoffentlich auch mitwirken werden, und dann werde ich Ihnen, wenn Sie mich in zwei Jahren wieder fragen, die Frage genauer beantworten können.

Neben der Breite an Leitthemen, die es durch die Programmierung zu verdichten gilt, muss eine weitere Herausforderung durch Ihr Team gemeistert werden. In der Machbarkeitsstudie heißt es: „IBA Thüringen – ein ganzes Land ist IBA“. Kristallisieren sich in dieser frühen Phase bereits Referenzräume heraus, die für Schwerpunktthemen stehen könnten?
Der Suchraum ist das ganze Land. Und die Fragestellungen, die uns mitgegeben worden sind, sind zunächst auch in der Fläche angesiedelt. Der demographische Wandel findet im ganzen Land statt. Die Veränderungen der Landschaften durch Energie und Landwirtschaft werden auch im ganzen Land sichtbar sein. Es wird sich zeigen, wo sich aussagekräftige Projekte entwickeln lassen. Wir gehen vorerst mit einer räumlichen Offenheit an den Prozess. Wir werden zunächst alle Landkreise und alle kreisfreien Städte mit einem Format besuchen, das wir „IBA on tour“ nennen. Ziel ist es, sich mit den einzelnen Regionen, ihren Fragestellungen, ihren Ideen und Potentialen sowie den Akteuren vertraut zu machen. Für uns sind zum Beispiel regionale Kreislaufsysteme, die existieren oder aufgebaut werden könnten, um mit dem energetischen und demografischen Wandel umzugehen, ein spannendes Thema. Die vielfältigen Austauschbeziehungen zwischen Stadt und Land gilt es, in den Fokus zu nehmen. Es ist heute noch nicht absehbar, ob wir dann zu bestimmten räumlichen Konzentrationen kommen werden.

Könnten Sie unseren Lesern den Prozess der Programmierung etwas näher erläutern? Mit welchen Formaten tritt die IBA Thüringen an die Öffentlichkeit?
2013 wird das Auftaktjahr der IBA Thüringen sein. Am Freitag, den 6. September 2013, wird sich die IBA Thüringen im Heizwerk in Erfurt im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung allen Interessierten vorstellen. Als Festredner, so viel sei verraten, konnten wir Werner Sobek gewinnen. Dann werden wir über verschiedene Formate den Programmierungsprozess sehr transparent organisieren. „IBA on tour“ hatte ich bereits erläutert. Es wird darüber hinaus ein Konferenzformat geben, mit dem wir im Spätherbst beginnen, die inhaltliche Debatte weiterführen und uns der Präzisierung und Konkretisierung der IBA-Themen widmen. Dann planen wir den Start einer Salonreihe. Die Salons werden so konzipiert sein, dass wir mit Partnern, zum Beispiel gern auch mit der Architektenkammer, Veranstaltungen durchführen, die einzelne Aspekte des IBA-Themenkanons beleuchten. Denkbar wäre ein erster Diskurs zur Idee eines „Stadt-Landschaftlichen Lebensmodells“. Wir werden selbstverständlich auch unseren Internetauftritt ausbauen, um die einzelnen Schritte zu kommunizieren und einen Austausch zu ermöglichen. Wichtig erscheint mir, den Prozess der Programmierung, also der konzeptionellen Schärfung der IBA Thüringen, als Gegenstromprinzip zu verstehen. Auf der einen Seite stehen die programmatischen Leitthemen, die im Rahmen von Fachdiskursen verdichtet werden. Auf der anderen Seite steht die Suche nach Projektfamilien oder Projektclustern, die Exzellenz versprechen, sich in Thüringen realisieren lassen und wo es strategische Partner gibt, die sich für ihre Entwicklung stark machen.

Wer sind potentielle Projektträger oder auch Ideengeber für mögliche Projekte?
Das Feld der Projektträger ist sehr breit. Das kann eine Bürgergruppe sein, die sich gemeinsam etwas vornimmt, oder eine Gebietskörperschaft, eine Kommune beispielsweise. Es kann ein Investor sein oder auch eine Stiftung. Die Auswahl der Projekte wird nach Qualitätskriterien erfolgen, die wir zur Zeit erarbeiten. Die Kriterien werden anspruchsvoll sein und im Kern denen anderer IBAs entsprechen. Wichtig ist, die IBA Thüringen ist kein Förderprogramm. Das heißt, die wirtschaftliche Tragfähigkeit muss durch den Projektträger sicher gestellt sein. Die IBA Thüringen kann bei der Projektentwicklung unterstützen und den guten Projekten durch die Vergabe des IBA-Labels helfen, bei der Fördermittelvergabe nicht hinten anstehen zu müssen.

Durch wen wird das IBA-Team bei der Programmierung und in der Umsetzung beraten?
Begleitet wird der thüringische IBA-Prozess von einem IBA-Fachbeirat, den der Aufsichtsrat auf meinen Vorschlag Ende Mai berufen hat. Der IBA-Fachbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, dass die IBA Thüringen in der programmatischen, projektbezogenen und kommunikativen Ausrichtung des IBA-Prozesses berät und unterstützt. Dieser besteht aus Experten, die Erfahrungen mit IBA-Prozessen haben und zu den Themen energetischer, demografischer und sozialer Wandel, Regionalentwicklung, Architektur und Landschaftsgestaltung, aber auch Kommunikation und Ausstellungsvermittlung international gearbeitet haben. Der Fachbeirat hat am 5./6. Juli seine konstituierende Sitzung durchgeführt. Die Mitglieder können auf unserer Homepage nachgelesen werden.

Wo sehen Sie die Rolle der Architektenkammer im weiteren Prozess?
Die Architektenkammer ist ein ganz wichtiger Partner. Sie sind zusammen mit der Ingenieurkammer Thüringen Initiator der IBA Thüringen gewesen. Ihre Mitglieder sind die Menschen, die sich um die Qualität unserer baulichen Umwelt kümmern. Ihre Kreativität ist unverzichtbar. Die Kammer kann darüber hinaus eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, bei bestimmten Formaten mitzuwirken, auch Partner von Formaten zu sein, wie zum Beispiel beim IBA-Salon. Ich hoffe, dass diese Partnerschaft auch bis zum Ende für die IBA sehr produktiv sein wird.

Herr Prof. Lütke Daldrup, wir wünschen Ihnen ein gelungenes Auftaktjahr 2013 und freuen uns auf spannende Diskurse. Vielen Dank für das Gespräch.

veröffentlicht am 30.07.2013 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, IBA Thüringen

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