Zum Seiteninhalt Logo der Architektenkammer Thüringen

Kein Fall gleicht dem anderen

Die Tätigkeit als öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige ist unglaublich vielfältig und abwechslungsreich. Trotzdem fehlt Nachwuchs. Ein Gespräch mit Kerstin Anlauf

1 Bild vergrößern
Spezialisten, Bild: Birgit Kohlhaas

Kerstin Anlauf, freischaffend tätige Architektin in Sondershausen, ist seit 2001 ö. b. u. v. Sachverständige für Schäden an Gebäuden und vertritt die Architektenkammer Thüringen im Sachverständigenausschuss der IHK Erfurt.

DAB: Sehr geehrte Frau Anlauf, was ist Ziel der öffentlichen Bestellung und welche Bereiche sind für Mitglieder der Architektenkammer von Belang?
Kerstin Anlauf: Die öffentliche Bestellung hat den Zweck, Gerichten, Behörden, Versicherungen, Unternehmen und Verbrauchern sachkundige und persönlich geeignete Sachverständige zur Verfügung zu stellen, deren Aussagen besonders glaubhaft sind. Die öffentliche Bestellung umfasst die Erstellung von Gutachten und andere Sachverständigenleistungen wie Beratungen, Überwachungen, Prüfungen, Erteilung von Bescheinigungen sowie schiedsgutachterliche und schiedsrichterliche Tätigkeiten. Die Industrie- und Handelskammer bestellt daher Sachverständige für bestimmte Sachgebiete, in denen der Bewerber ein hohes Fachwissen nachweisen kann.
Mitglieder der Architektenkammer verfügen aufgrund ihrer Ausbildung und Tätigkeit über einzigartiges Wissen. Dazu gehören beispielsweise die Altbausanierung, das barrierefreie Bauen, der Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, der Innenausbau, der Städtebau, die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, Architektenleistungen und Honorare, Nachhaltigkeit, Fassaden- und Außenwandkonstruktionen, vorbeugender Brandschutz, Bewertung der energetischen Qualität von Gebäuden, der Wärme- und Feuchtigkeitsschutz sowie der Wohnungs- und Siedlungsbau und natürlich auch mein Sachgebiet Schäden an Gebäuden. Ich weiß, dass klingt sehr umfangreich, aber diese Gebiete liegen alle innerhalb unseres Berufsbildes und damit innerhalb unserer Aufgabenbereiche. Viele Mitglieder haben sich ohnehin auf Teilbereiche der Planung spezialisiert, warum sollten sie also nicht ihr Fachwissen in die Tätigkeit als Sachverständige einbringen.

Hat das Sachverständigenwesen in den Bau-Sachgebieten ein Nachwuchsproblem?
Auf jeden Fall. Das Durchschnittsalter beträgt über 60 Jahre.

Was sind die Folgen?
Gerichte sollen nach den einschlägigen Vorschriften vorwiegend öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige heranziehen. Aber auch Behörden, Versicherungen, Unternehmen und Verbraucher vertrauen auf unsere besondere Sachkunde und Integrität. Fehlen ausreichend Sachverständige in den jeweiligen Gebieten, führt dies zu einer höheren Auslastung der Sachverständigen und damit zu längeren Bearbeitungszeiten bei der Begutachtung und zu längeren Verfahrenslaufzeiten bei den Gerichten.

Wie viele Kammermitglieder sind derzeit öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige und wie ist die Entwicklung?
Derzeit sind leider nur neun Mitglieder der Architektenkammer öffentlich bestellt und vereidigt und zwar in den Sachgebieten Holzschutz, Bewertung von Immobilien, vorbeugender Brandschutz und Schäden an Gebäuden. Wenn man das mit der Liste der für Architekten möglichen Sachgebiete vergleicht, merkt man schnell, wie viele Themen hier nicht besetzt sind. Die Entwicklung sieht altersbedingt leider nicht rosig aus.

Wie wird man Sachverständige/r, was sind die Anforderungen und wie erfolgt die Bestellung?
Wer sich für diese Tätigkeit interessiert, sollte sich zuerst an die zuständige Industrie- und Handelskammer in Erfurt, Gera oder Suhl wenden. Hier gibt es kompetente Ansprechpartnerinnen, die die Interessenten beraten und sie durch das gesamte Verfahren führen. Da die besondere Sachkunde eines der Merkmale eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen darstellt, muss diese vor einem Fachgremium nachgewiesen werden. Das gilt auch für praktische Erfahrung und persönliche Eignung. Die Bestellung erfolgt dann über die zuständige IHK.

Wie lange dauert das Verfahren und welche Kosten sind damit verbunden?
Nun, das hängt von den persönlichen Voraussetzungen ab: Über welche vertieften Sachkenntnisse verfügt man bereits, hat man schon Gutachten geschrieben und weiß man, wie diese aufgebaut sind, welche Weiterbildungsmaßnahmen braucht man noch und wann fühlt man sich fit für die Sachkundeüberprüfung. Ich denke, dass ein bis anderthalb Jahre für die Vorbereitung eingeplant werden sollten. Unabhängig von den individuellen Weiterbildungen betragen die Kosten für das Bestellungsverfahren circa dreitausend bis viertausend Euro. Genaueres regeln die Gebührenordnungen der IHKs.

Ab wann sollten Interessierte einsteigen und mit welchen persönlichen Voraussetzungen?
Wenn man sich ohnehin auf Teilbereiche unseres Berufsbildes spezialisiert hat und sich darin bereits überdurchschnittliche Fachkenntnisse erarbeitet hat und wenn man im Rahmen dieses Wissens etwas Neues ausprobieren möchte, dann sollte man einfach loslegen und sich bei der IHK über die Rahmenbedingungen informieren. Zu den persönlichen Voraussetzungen gehören hauptsächlich geordnete wirtschaftliche Verhältnisse und Zuverlässigkeit sowie die Fähigkeit, technische Zusammenhänge nachvollziehbar, verständlich, unparteiisch und unabhängig darstellen zu können.

Bleibt man automatisch ein Leben lang Sachverständige/r?
Einen Automatismus gibt es hier nicht. Selbstverständlich muss man sich weiterbilden, um seine Sachkunde auf dem neuesten Stand zu halten. Deswegen prüft die zuständige IHK alle fünf Jahre, ob die Voraussetzungen für die Bestellung noch gegeben sind. Das ist einfach notwendig, um den Qualitätsstandard und die Vertrauensbasis in unser Fachwissen halten zu können.

Wie lauten Ihre Tipps für Interessierte?
Meine Tätigkeit als Sachverständige für Schäden an Gebäuden ist unglaublich vielfältig und abwechslungsreich. Kein Fall gleicht dem anderen. Manche sind hochkomplex und umfangreich, manche knifflig und verzwickt. Oft kann ich Menschen schon mit einer Beratung vor Ort bei der Lösung ihrer baulichen Probleme helfen. Ich würde diesen Weg immer wieder beschreiten und kann diese Tätigkeit jedem, der sich dafür interessiert, nur empfehlen.

Vielen Dank.

FORTBILDUNGSTIPP:
Einführung in das Sachverständigenwesen – Braucht unsere Gesellschaft heutzutage noch öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige?

Montag, 15.05.2023, 15:00 Uhr bis 16:30 Uhr, kostenfreier Online-Vortrag
Referent: Dipl.-Ing. Roland Biskop, Sachverständiger für Schäden an Gebäuden, Weimar | Veranstalterin: Bauhaus Akademie Schloss Ettersburg | Für AKT-Mitglieder anrechenbare Fortbildungsstunden: 2

veröffentlicht am 05.04.2023 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Spezialisten, Berufspraxis

Diese Seite teilen

Die AKT in den sozialen Netzwerken