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Leserbrief von Anke Schettler

apropos architektouren 2002

Es ließ sich trefflich streiten
"Die Baukunst, alltäglicher: die Architektur ist kein Gegenstand allgemeiner Bildung." Diese banale Feststellung trifft Manfred Sack gleich zu Beginn seiner Ausführungen in seinem Büchlein "Von der Utopie, dem guten Geschmack und der Kultur des Bauherren oder: Wie entsteht gute Architektur?"


Diesen Fakt zu verändern mühen sich im Lande engagierte Architekten und wissende Bürger. Initiativen wie die beabsichtigte Gründung einer Thüringer Stiftung Baukultur, das stete Bemühen um eine fachlich fundierte Architekturberichterstattung in den Medien oder eben die Ausrichtung der Veranstaltungsreihe apropos architektouren zeugen von fortwährender Anstrengung.

Die Architektenschaft bereitet sich alljährlich auf das Wochenende im Juni vor, an dem einer breiten Öffentlichkeit realisierte Architekturobjekte vorgestellt werden.
Was ist zu tun? Vorsorglich erarbeitet man zwei Verteidigungsstrategien. Die eine für die eventuell vorbeischauenden Fachkollegen, auf deren Kritik man mit vielerlei Erklärungen, was man gewollt und dann doch nicht gedurft, was man durchgesetzt, woran man gescheitert, welche Details mißglückt und warum dies zwangsläufig so kommen mußte, sofort reagieren möchte. Die zweite Taktik für die zu erwartenden interessierten Bürger und Nichtarchitekten, die nur ihrem Ärger über die "modernen Kisten" Luft machen wollen.

Man ist gewappnet und ... erstaunt! Das von unserem Büro vorgestellte Wohn- und Seniorenzentrum der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft Weimar in der Ettersburger Straße wurde überwiegend von sogenannten "Laien" besucht, die sich der Architektur überraschenderweise über völlig andere Fragestellungen näherten. Wie leben ältere Menschen? Wie funktioniert heute das Zusammenleben zwischen Jung und Alt? Können wir allen Konflikten durch strikte Trennung der Erlebnisbereiche von jungen und älteren Menschen aus dem Wege gehen? Was kann ich mir im Alter noch leisten? Welchen Anteil hat eine Genossenschaft am Gefühl des Aufgehobenseins? Wieviel Kommunikation ist man gewillt zu ertragen? Welche Rolle spielt die Akzeptanz der Privatheit? Was ist selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter?

Die Diskussion, um all diese Fragen mit dem Vorzeigen des Gebauten zu verknüpfen, unsere Antworten auf diese Fragen darzustellen, dafür Lob und Zustimmung zu erhalten, auf begründete Kritik zu reagieren, Standpunkte auszutauschen und das Gefühl zu erfahren, dass über einen hohen Gebrauchswert von Architektur auch ein zeitgemäßes Architekturbild vermittelbar ist, bereitete höchstes Vergnügen. Schnell benutzte man auch das Vokabular, welches dem Laien verständlich ist, und legte die Ausführungen zu Primär- und Sekundärstrukturen der Fassaden, zur Solitärstellung bestimmter Gebäude oder zur mäanderförmigen Ausbildung von Raumkanten zur Seite, um über Raumeindrücke, Licht und Stimmungen, über das Wohlfühlen in den Häusern und Wohnungen und die praktische Benutzbarkeit der Räumlichkeiten zu diskutieren. Anerkannt wurde unumwunden, dass nur gemeinsam mit einem starken Bauherren, der einen Bauwillen formulieren und über einen langen Zeitraum einer Vision folgen kann, solch eine Aufgabe zu bewältigen ist. Ohne den permanenten Verweis darauf; war am Ende jedes Rundganges deutlich geworden, dass an diesem speziellen Ort in Weimar Nord ein Stück dichte lebendige Stadt entstanden ist, welche die umliegenden Wohnquartiere sinnvoll miteinander verknüpft. Das dies nun wiederum das Ergebnis ist, welches die Architekten im Laufe der Planung und des Entstehens des Gebietes als ihre wertvollste Leistung schätzen, bleibe dahingestellt. Fazit des Wochenendes: Es besteht Hoffnung! Unsere verlorengegangene ästhetische Sensibilisierung ist zu retten. Über Geschmack läßt sich also doch trefflich streiten! Architektur braucht die Auseinandersetzung, braucht Lob, braucht den Verriss, braucht die öffentliche Diskussion!

Anke Schettler
Architekturbüro Schettler & Wittenberg Weimar

veröffentlicht am 09.08.2002 von Susann Weber · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit, Tag der Architektur

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