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Rede Christian Köckert

Thüringer Architektentag 2001

Rede des Thüringer Innenministers Christian Köckert

Präsident Strube, Thüringer Architektenkammer
Dr. Priester, Geschäftsführung LBS Hessen-Thüringen
Prof. Stamm-Teske
Architekt Günther Schaller,

Seit dem Terroranschlag in den USA ist der Innenminister vor allem als "Sicherheitsminister" gefragt. Manch einer vergißt dabei, dass er auch Städtebau- und Wohnungsbauminister ist. Und ich füge hinzu: er ist es gern.

Herzlichen Dank für Ihre Einladung zum Thüringer Architektentag. In einer Phase des Paradigmenwechsels im Wohnungs- und Städtebau - im Übergang vom Mangel zum Überfluß - ist der Dialog zwischen dem Bauminister und der Architektenkammer besonders nützlich.

Der Freistaat Thüringen darf sich stolz als klassisches Land der Baukunst bezeichnen. Dies gilt nicht nur für die alten Residenzstädte, es gilt besonders auch für das Bauhaus in Weimar, wo eine entschlossene Schar Begeisterter um Walter Gropius in den zwanziger Jahren eine Wende in Architektur, Städtebau und Gestalten, damals fast eine Revolution im Bauwesen eingeleitet hat. Dies strahlt auch auf unsere Gegenwart aus: ich nenne die Bauhaus-Universität Weimar mit ihren Impulsen, aber auch wegweisende zeitgenössische Architektur, die wir jährlich alternierend mit dem Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau und dem Architekturpreis der Architektenkammer und LBS Hessen -Thüringen würdigen. "Wenns einer kann, dann ists keine Kunst. Wenns einer nicht kann, schon gar keine" - sagt der Münchner Komiker Karl Valentin. In einem Punkt darf ich ihm widersprechen: Die Bauwerke, die wir heute prämieren, sind in der Tat ein Stück zeitgenössische Baukunst, Ausdruck des Lebensgefühls, ein Stück Lebensqualität.

Dies gilt für das Sozialwohnungsprojekt Ringelberg ebenso wie für die Studentenwohnungen in Weimar, das Fachwerkhaus Niederorschel oder das Wohnhaus aus dem Projekt "Neues Bauen am Horn" in Weimar. Die Architekten und Bauleute in Thüringen beherrschen ihre Kunst.

Architektur ist Stein gewordener Zeitgeist. "Zeige mir, wie du baust und ich sage dir, wer du bist" - Christian Morgenstern wußte, wovon er sprach.

Doch auch das Bauen hängt von vielen Parametern ab, vor allem von Wirtschaft, Politik und Bevölkerungsentwicklung.

"Die Krankheit unserer heutigen Städte und Siedlungen ist das traurige Resultat unsere Versagens, menschliche Grundbedürfnisse über wirtschaftliche und industrielle Forderungen zu stellen." Als Walter Gropius diesen Satz prägte, konnte er noch nicht ahnen, zu welchen Bausünden ein totalitäres System wie die DDR einmal fähig sein sollte. Historische Stadtteile wie das Erfurter Andreasviertel wären heute nicht mehr vorhanden, wenn wir die Wende nicht durchgesetzt hätten. Heute beseitigen wir die Altlasten von gestern, und das sind auch die Bausünden des SED-Regimes. Zugleich aber müssen wir in dieser Situation neue städtebauliche Akzente setzen.

Waren in den Folgejahren der deutschen Einheit überall im Land die Baukräne weit sichtbare Zeichen des Aufschwungs, so darf heute in Zeiten drastischen Bevölkerungsrrückgangs nicht die Abrißbirne zum Symbol der Zeit werden. Aus dem früheren Wohnungsnotstand ist heute Wohnungsleerstand geworden und wir müssen Sorge dafür tragen, dass aus Überfluß nicht Überdruß wird. Der Wohnungsmarkt ist heute mehr als ausgeglichen, er ist zum Mietermarkt mutiert. Mit seiner berechtigten Forderung nach einer Investitions-Offensive, nach einem "Sonderprogramm Ost" und nach einem Infrastruktur-Programm für die neuen Länder - auch und besonders für den Bereich des Städtebaus - hat der Thüringer Ministerpräsident die richtige Antwort auf die derzeitige wirtschaftliche Stagnation in den neuen Ländern gegeben. Erfreulich, dass dies inzwischen auch Bundestagspräsident Thierse einsieht, wenn er fordert, Milliardeninvestitionen in die ostdeutsche Infrastruktur vorzuziehen.

An der ICE-Strecke durch Thüringen kann die Bundesregierung beweisen, ob sie es ernst meint. Sonst droht sich die Schere zwischen Ost und West noch weiter zu öffnen. Wir stehen in den neuen Ländern noch lange nicht auf dem Gipfel, aber weiß Gott nicht an der Kippe. Schon gar nicht in Thüringen. Wir haben weiterhin die niedrigste Arbeitslosenquote aller neuen Länder: 14,7 Prozent.

Der wirtschaftliche Aufschwung in den neuen Ländern hat nicht zuletzt wegen der weltwirtschaftlichen Flaute an Tempo verloren, und es drohen Rückschläge. Die Wirtschaft in den neuen Ländern ist mit ihrer schwachen Kapitaldecke in den Sog des weltweiten Konjunkturtiefs geraten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
das Hauptproblem der Zukunft ist für die jungen Länder der Einwohnerrückgang, der Verlust qualifizierter junger Menschen durch Abwanderung, Geburtenausfälle, Anstieg des Durchschnittsalters und schließlich Arbeitskräftemangel. Dramatische Verschiebungen in der Bevölkerungsstruktur stellen den Wohnungsmarkt in den neuen Ländern vor große Herausforderungen.

Nicht Kurieren an Symptomen, nicht kurzatmiger Aktionismus, sondern langfristig tragfähige Konzepte sind gefragt. Eine Million Wohnungen stehen in den neuen Ländern leer, Tendenz steigend. Zusätzlich drücken die Altschulden.

Auch Thüringen ist davon betroffen: Zwischen 1989 bis 1999 hat der Freistaat rund 262.000 Einwohner verloren, das sind fast 10%.

Unsere 6 großen Städte (Erfurt, Gera, Jena, Weimar, Eisenach und Suhl) haben zusammen von 1989 - 1999 rund 95.000 Einwohner = fast 15 % ihres ursprünglichen Bestandes verloren haben.

In diesen Städten aber stehen die großen Mietwohnungsbestände und auch die großen Plattenbaugebiete - und Teile davon stehen deshalb auch jetzt schon leer.

Wir müssen bis 2020 leider mit folgenden Negativ-Trends in Thüringen rechnen:

  • Die Anzahl der Einwohner sinkt um weitere 220.000;
  • die Anzahl der Haushalte reduziert sich um 48.000;
  • im Altersaufbau und in der Familienstruktur werden sich wesentliche Verschiebungen ergeben.



Die Thüringer werden weniger, älter, die Familien kleiner, Single-Haushalte nehmen zu. Das hat enorme Folgen für den Wohnungsmarkt und Städtebau!

  • Ganze Wohnquartiere und Stadtteile geraten durch Wegzug der jüngeren und leistungsstärkeren Einwohner zunehmend in eine soziale Schieflage und werden auch stadtstrukturell zu Problemzonen. In den großen Plattenbaugebieten nimmt der Leerstand überdurchschnittlich zu.
  • Auch die Erfolge der Stadtsanierung in den Innenstädten sind gefährdet.


Ein Wort zur aktuellen Lage am Thüringer Wohnungsmarkt :

  • Zur Zeit stehen ca. 110.000 WE leer, davon über die Hälfte in Altbauten.
  • Der Leerstand in den Plattenbauwohnungen liegt bei ca. 35.000 WE - das ist ein Drittel des gesamten Leerstandes. Liquidität und Investitionskraft der Wohnungswirtschaft verschlechtern sich rapide. Die Banken verhalten sich zunehmend restriktiver.
  • Der Bauwirtschaft - anfangs einer der Träger des Aufschwungs - fehlen die Aufträge.
  • Was kann der Freistaat Thüringen tun?



Mit einem Bündel von Maßnahmen versuchen wir mittelfristig diese Trends zu stoppen.

Der geplante Stadtumbau und der notwendige wohnungswirtschaftliche Strukturwandel ist ohne massive Förderung von Bund und Land nicht zu schaffen.
Die Thüringer Landesregierung hat sich bereits im vergangenen Jahr entschlossen, und der Landtag ist diesem Vorschlag, - erfreulicherweise - gefolgt, ein Wohnungsmarkt-Stabilisierungsprogramm mit dem Doppelhaushalt 2001/2002 neu zu schaffen. Dies haben wir - übrigens mit Sachsen als einzige Länder - beschlossen, bevor der Bund zur Einsicht gelangte, Ähnliches zu tun.

Das Programm Stadtumbau-Ost, das des Bundes, leider durch Umschichtung aus anderen Städtebauförderungsprogrammen statt über den Erblastentilgungsfonds finanziert, ist zwar insgesamt ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir werden insbesondere in den Folgejahren Nachbesserungen gegenüber dem Bund durchsetzen müssen.

Das Resultat unserer gemeinsamen Tagung Ende September "Mehr Stadt für weniger Bürger" läßt sich in einem Kernsatz zusammenfassen: wir müssen den notwendigen Schrumpfungsprozess als Chance für einen qualitätsverbessernden Stadtumbau nutzen. Nur so erreichen wir eine neue Stabilität, sowohl für die Gesamtstadt und ihre Rolle im Siedlungsnetz als auch für die Qualität der einzelnen Stadtteile.

Wir werden mit Fördermitteln Impulse für städtebauliche Leitbilder zur Steuerung der Umbauprozesse geben. Diese sollen dann nach den Zielen der Kommunen umgesetzt werden. Unsere Wohnungs- und Städtebauförderung wird weiter von Kontinuität und Verlässlichkeit geprägt sein. Die Programmsäulen Sanierung und Entwicklung, städtebaulicher Denkmalschutz und Stadtumbau werden mit einer wirksamen Innenstadtinitiative, aber auch mit Entwicklungsinitiativen für den ländlichen Raum weitergeführt. Selbstverständlich behalten wir realistisch die finanzielle Leistungsfähigkeit unserer Gemeinden im Auge. Vielleicht reizen wir damit auch den Bund zu etwas mehr Kontinuität.

Der Bund kündigt derzeit an, dass ohne eine wirksame Innenstadtinitiative Sanierung und Stadtumbau unvollständig wären und diskutiert eine gleiche Initiative. Wir in Thüringen haben die Innenstadtinitiative seit 1996 als wichtigen Förderbestandteil entwickelt und mit einer kontinuierlichen Begleitforschung evaluiert.

Wir wollen künftig sämtliche Wohnungs- und Städtebaufördermittel auf der Grundlage von Stadtumbaukonzepten vergeben. Hier sind die Kommunen aufgerufen, in Abstimmung mit der Wohnungswirtschaft und durch verbindliche Beschlüsse ihrer Organe spätestens bis Jahresende 2002 entsprechende Konzepte auf den Weg zu bringen. Auf Drängen des TIM arbeiten inzwischen 42 Gemeinden gemeinsam insbesondere mit den aktiv im kommunalen und regionalen Wohnungsmarkt Agierenden an Stadtumbaukonzepten auf der Grundlage wohnungswirtschaftlicher Konzepte.

Im Rahmen der wohnungswirtschaftlichen Konzepte erarbeiten die Wohnungsunternehmen der jeweiligen Stadt bezogen auf den regionalen Wohnungsmarkt gemeinsame Strategien. Die Arbeit an wohnungswirtschaftlichen Konzeptionen wird zurzeit bei 14 Wohnungsunternehmen durch Landesmittel gefördert.

Sehr geehrter Herr Strube,
sehr geehrte Damen und Herren,
das Thema Stadtumbau, Stadtplanung ohne Wachstum, ist nur mit intensiver Nutzung des Sachverstands der Thüringer Architektenkammer mit ihren 1.800 Mitgliedern zu bewältigen. Ihr interdisziplinäres technisches know-how ist gefordert, aber auch ihre schöpferischen Fähigkeiten.

Wer durch Erfurt, Weimar odere Eisenach wandert, spürt das Unverwechselbare dieser städtischen Gebilde. Stereotype, beliebig austauschbare Wohnsilos - als Kontrast zu historisch gewachsenen Ensembles - sind vom Bazillus der Monotonie und Anonymität infiziert. Nur die gestaltete Stadt kann Heimat werden, übrigens gilt dies auch für unsere Plattenbaugebiete - die durchaus Entwicklungsperspektiven haben.

Der Städtebau gehört zum Stolz und zum Kern gestaltender Kommunalpolitik. Darauf sollten sich die Kommunen wieder besinnen. Die Arbeit an der gemeindlichen Gesamtentwicklungsplanung ist vielerorts verkümmert. Auf den ersten Blick einleuchtende Begründungen (schwindende Finanzkraft, Schwerfälligkeit von Rechtsverfahren ) reichen zur Begründung des Abwartens nicht aus.

Die tiefergehende Ursache ist in einem veränderten Verständnis von staatlicher Tätigkeit und öffentlicher Verwaltung zu suchen: Anstelle obrigkeitlicher Rechtssetzung tritt immer stärker die Rolle der Kommune als Moderator unterschiedlicher Interessen.

Der städtebauliche Plan entsteht aus einem komplizierten Wechselspiel der fachlichen Abstimmung von unterschiedlichen öffentlichen Interessen, von Bürgerbeteiligungen und von wirtschaftlichen Interessen.

Klare Zielvorgaben gehen immer mehr verloren. Hier, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss auch die Rolle der Architekten sowie städtischer und freier Planer neu definiert werden. Sonst drohen zunehmend Develloper deren Funktion zu übernehmen. Eine Initiative zur Bau- und Planungskultur sollte durch neue Formen der Kooperation als Hauptziele Identifikation, Inszenierung des öffentlichen Lebens und sozialer Ausgleich definieren. Etwa unter dem Motto: "Stadt als Heimat, Stadt als Bühne, Stadt als Werkstatt, Stadt als Freizeit- und Lebensraum".

Dabei soll kein alleiniges Medienereignis des Bundes, sondern die Bezugsebene Bund, Land und Gemeinde hergestellt werden.

Die Tradition des europäischen Städtebaus als Kernstück gestaltender kommunaler Selbstverwaltung muss weiterentwickelt werden. Zum bisweilen "titanenhaft" erscheinenden Stadtbaurat und zum "selbstbewussten Patrizier" geht kein Weg zurück.

Dies bedeutet die Entwicklung einer neuen Planungskultur: Das Prinzip des Wettbewerbs der Ideen und Konzepte muss allgemein Geltung erhalten und auch durch konkrete, öffentlich kontrollierte Qualitätsvereinbarungen zwischen Stadt und Devellopern ergänzt werden. Neue Formen der Kooperation zwischen Stadtwirtschaft und Bürgerschaft lösen viele Planungsprobleme durch freiwillige Zusammenarbeit und Selbstbindung, nicht mehr durch herkömmliches Konkurrenzverhalten und hoheitliche Akte, gerade bei einer Stadtplanung ohne Wachstum.

Der Thüringer Staatspreis Architektur, der im Wechsel Hochbau, Städtebau und immer öffentliche Räume betrachtet, ist ein Baustein in diese Zukunft. Der Architektenkammer herzlichen Dank! Den Preisträgern, die Lebensträume zu Lebensräumen werden lassen, herzlichen Glückwunsch!

veröffentlicht am 19.10.2001 von Susann Weber · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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