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Rede Christian Köckert

10 Jahre Architektenkammer Thüringen

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident Strube.

Vielen Dank für die Einladung und den freundlichen Empfang. Ich freue mich, hierher gekommen zu sein, um mit Ihnen das 10-jährige Bestehen der Architektenkammer Thüringen zu feiern. Ihrer Einladung, die Festansprache zu halten, bin ich gern gefolgt. Nicht nur, weil ich der für sie zuständige Minister bin, sondern ganz besonders auch, weil ich mich sehr über das freue, was Sie in den letzten zehn Jahren im Wortsinn zustande gebracht haben, was Sie durch Ihr kreatives Wirken mit bewirkt haben.

Als gelernter DDR-Bürger weiß ich, dass es nicht nur individuelle, familiäre Sorgen waren, die viele Menschen umtrieben. Viele sorgten sich auch um die Zukunft der Lebensräume, um den Verfall der Städte und Dörfer, um die Zerstörung der Heimat. Zu den vielen Schandtaten des SED-Regimes muss man auch den Missbrauch und die Unterdrückung der kreativen Leistungspotenzen der Architekten und Bauingenieure, der Stadtplaner, der Landschaftsarchitekten und der Denkmalpfleger rechnen. Deshalb engagierten sich in der Wende 1989/90 auch viele Architekten und Ingenieure.

Das Diktat der Massenproduktion mit industriegerechten Planungs-, Vorfertigungs-, Montage- und Ausbau-Technologien zwang die schöpferischen und künstlerischen Fähigkeiten nahezu aller Architekten unter dieses Joch des "Ökonomismus".

Wir wissen wohl, welche fachlichen Kämpfe gegen die Demagogen des sogenannten "wissenschaftlich-technischen Fortschritts" geführt wurden, um kleinste Gestaltungsfortschritte, um Sonderlösungen zur Anpassung an Geländebedingungen oder Altbausubstanz zu erreichen.

Wir erinnern uns nur zu gut an die Sorgen der Stadtplaner, menschengerechte und menschenwürdige neue Stadtquartiere zu schaffen - hoffnungslos oft, angesichts der 5-, 6- und vielgeschossigen Typenklötze in ihrer Sperrigkeit und baukörperlichen Brutalität.

Und wir spüren noch die Wut, ohnmächtig dem Verfall der Altstädte, der baulichen Kulturgüter, aber auch dem ideologischen Missbrauch bester Traditionen gegenüber zu stehen und sehen die Scham in den Gesichtern derer, die von Berufswegen Stadtentwicklung wollten, aber Stadtvernichtung erleben mußten. Das sehr bittere Wort "Ruinen schaffen - ohne Waffen!" war insbesondere auch Ausdruck des Leidensweges Ihrer Berufsgruppen!

So haben gerade auch die Architekten, Stadtplaner, Landschaftsgestalter, Ingenieure die Wende 1989/90 als Befreiung von Bevormundung und Knebelung erlebt; viele haben die Chance ergriffen, "Freiberufler" mit allen Konsequenzen zu sein, d.h. Schicksal, Zukunft und Verantwortung in die eigenen Hände zu nehmen.

Mit der Gründung von eigenen Büros, der Gründung von Tandembüros mit Ost- und West-Partnern begann wie überall das Prinzip "Learning by doing" konstruktiv zu wirken. Im Gesamtergebnis bestätigte sich ein Selbstwertgefühl, ein Wissen um eigenes Können und dass man sich organisieren muss. Politik, auch Fachpolitik, braucht Schlagkraft, um Wirkungen entfalten zu können. Schon gleich nach der Wende 1989 und zu Beginn 1990 bildeten sich in den noch existierenden Bezirken der DDR spontane Initiativen zur Bildung solcher Interessenvertretungen bzw. zu entsprechenden Zusammenschlüssen. Diese führten hier in Thüringen zur Gründung der "Interessengemeinschaft - Architektenkammer Land Thüringen" am 22. Februar 1990.

Die erste demokratisch gewählte Volkskammer der DDR beschloß dann am 19. Juli 1990 das erste Architektengesetz und damit auch die rechtlichen Grundlagen zum Schutz der Berufsbezeichnung "Architekt", aber auch zur Errichtung von Architektenkammern.

Mit der Berufung eines Gründungsausschusses Architektenkammer Thüringen haben Sie auch eine besondere Premiere der Demokratie in ihrem Aufgabengebiet begonnen. Ein durchaus historisches Ereignis, denn so etwas wie Gründung einer Architektenkammer hatte es zuletzt in den 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegeben. Über eine Vertreterversammlung wählten Sie sich einen Vorstand und ihren ersten Präsidenten, Herrn Dr. Günter Andres - einen würdigen, kämpferischen, standesbewussten Vertreter Ihrer Zunft.

Die Bundes-Architektenkammer und die Länderkammern Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz haben diese Geburtsphasen hilfreich begleitet. Dafür heute und hier nochmals den herzlichen Dank der Thüringer Landesregierung.

Vor allem haben alle Beteiligten in 10 Jahren hier in Thüringen gemeinsam eine großartige Um- und Wiederaufbau-Leistung erreicht. Die Altstädte sind im wesentlichen gerettet, der Wohnungsmarkt ist mehr als ausgeglichen. Zudem haben sich Gewerbe- und Dienstleistungen entwickelt und sich mit ihrer Hilfe neue Gebäude und Anlagen geschaffen oder alte instandgesetzt oder modernisiert. Überdies sind große Teile unserer Umwelt und Landschaft von schädlichen Immissionen befreit, dekontaminiert und rekultiviert.

Nach wie vor ist Thüringen allerdings abhängig vom Finanzausgleich; nach wie vor haben wir den Platz der Gleichberechtigung mit einem ausgeglichenen oder gar positiven Wirtschaftsergebnis im Verhältnis aller Bundesländer nicht erreicht - trotz der Spitzenposition Thüringens in den neuen Ländern bei vielen Wirtschaftsdaten und der relativ günstigen Situation auf dem Arbeitsmarkt - jedenfalls im Vergleich zu anderen Ostländern.

Der Aufschwung Ost ist ins Stocken geraten! Wir stehen zwar nicht auf der Kippe. Doch Probleme haben wir - wer wüßte dies besser als Sie - nach einer Überhitzung insbesondere in der Bauwirtschaft. Die Auftragslage ist heute für nicht wenige Büros schwierig.

Wie die Landesregierung diese Lage bewertet, können Sie insbesondere auch an der Forderung unseres Ministerpräsidenten nach einer Investitions-Offensive oder nach einem Infrastruktur-Programm für den Osten erkennen. Da muß und - dessen bin ich mir sicher - wird die Bundesregierung noch nachlegen. Gerade bei der Infrastruktur liegen nach wie vor große Hemmnisse beim Aufholprozess - und der Abstand wird relativ nicht kleiner.

Gravierend ist auch das Hauptproblem der Zukunft - Einwohnerrückgang, Verlust qualifizierter junger Menschen durch Abwanderung, Geburten-Ausfälle, Anstieg des Durchschnittsalters. Beeinflussbar bleibt insbesondere auch die Binnenwanderung aus den Städten ins Umland! Wir stehen vor der großen Aufgabe, unsere Städte und Gemeinden so umzubauen, dass wir sehr gute Angebote für die Ansiedlung oder Wiederansiedlung von Bürgern, von Gewerbe und Industrie vorbereiten. Hier liegt auch ein großes Potential an Aufträgen für Ihre Zunft!

Wir müssen besonders unsere größeren Städte in zunehmendem Maße umbauen. Diese Einschnitte können wohl kaum als "Selbstläufer" - so wie es sich gerade ergibt - hingenommen werden. Stadtentwicklung - auch und gerade Schrumpfung - braucht stadtplanerische Vorbereitung und Kontrolle.

Die Verflechtungen von sozialen und infrastrukturellen Wirkungen und Auswirkungen, von kulturellen und ordnungspolitischen Aspekten, von Wirtschaftsbedingungen und stadtökonomischen Beziehungen sind sehr komplexer Natur und benötigen entsprechende Führung.

Deutlich wird dieser neue Prozess in der Wohnungswirtschaft - gewissermaßen in der Rolle der Signalfunktion. Mit 110.000 leerstehenden Wohnungen - der Schwerpunkt liegt in den großen Städten - wachsen stadtstrukturell deformierende Probleme heran. Der künftig anhaltende Einwohnerverlust wird sie verschärfen. Gegebenenfalls hat Erfurt in den nächsten 20 Jahren das Problem von ca. 18.000 dauerhaft leerstehenden Wohnungen einer Substanzmasse, die größer als der gesamte Plattenbaubestand im Südostraum ist. So eine Dimension braucht städtebaulich konzeptionelle Arbeit, damit in jeder Phase des Umbaus eines funktionierende, lebenswerte Wohnumwelt gewährleistet wird.

Wir müssen beim Umbau der Wohngebiete auch stärker die künftigen Wohnansprüche erkennen und alle Varianten - vom Umbau der Wohnungen und Gebäude über Teilabbrüche von Geschossen, Segmenten oder ganzen Gebäuden bis zum Abbruch von Wohnquartieren - in Betracht ziehen. Technisch ist dies alles möglich und - wie einige gelungene Beispiele zeigen - auch mit einem vertretbaren Aufwand "pro m2 Wohnfläche" finanzierbar.

Hierbei ist natürlich der Sachverstand und die Kreativität von Architekten, Stadtplanern und Freiflächengestaltern bzw. Landschaftsarchitekten unverzichtbar. Diese künftigen Aufgaben vollziehen sich natürlich nicht im luftleeren Raum. Auf der Grundlage unserer förderalen Verfassung stehen wir im Wettbewerb mit den anderen Bundesländern, mit anderen Städten aber auch mit anderen Regionen in Europa.

In diesem Zusammenhang sind mir ihre Sorgen um die Zukunft der freien Berufe, um das gefestigte Berufsbild, um den Schutz der Tätigkeitsfelder durchaus bewusst. Viele komplizierte Verfahrensfragen aus der unverzichtbaren Vereinigung Europas sind bereits eingedrungen und werden auch weiterhin in ihren Interessenkreis einbrechen. Dabei wird es sehr auf die Vermittlung ihrer Forderungen und Vorschläge über die Bundesregierung im europäischen Einigungsprozess ankommen. Die Thüringer Landesregierung wird im Rahmen ihrer Einflussmöglichkeiten diese berechtigten Interessen mit dem Ziel unterstützen, den hohen Standard der Leistungen von Architekten, Stadtplanern und Landschaftsarchitekten und deren Bedeutung im deutschen Wirtschaftsprozess sowie in der Kulturentwicklung unseres Landes zu erhalten. Ich diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute gute Gespräche. Ihrer Tagung einen guten Verlauf! Für die Zukunft Ihnen allen alles Gute!

veröffentlicht am 27.04.2001 von Susann Weber · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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