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Rede G. Schaller

Thüringer Architektentag 2001

Quellennachweis:
Generalplanung Band 1 Schnitzspahn, Röder, Mohr
Littera Scripta Manet, Schriften der Unibibliothek Eichstätt

Rede des Architekten G. Schaller (Kurzfassung)

Architektur im Zuge der Globalisierung
Architektur als Spiegel unserer Gesellschaft



Es ist nicht leicht, vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse den Begriff der Globalisierung zu verwenden und einfach über ihre Konsequenzen für unsere Arbeit zu referieren. Wir leben in turbulenten Zeiten.

Andere, womöglich prinzipiellere Probleme könnten sich ergeben im Zuge einer vollkommen entgrenzten und von niemandem steuerbaren Globalisierungswelle, dann, wenn sich diese darauf beschränkt, immer weniger, immer größere, und ökonomisch mächtigere Organisationen zu schaffen, die weltweit agieren.

Große Hoffnungen wurden und werden verbunden mit der digitalen Revolution, die Grundlage dieser Entwicklung ist. Diese darf sich aber nicht darauf reduzieren, den digitalen Kapitalismus zu fördern. Deshalb würde ich mir wünschen, dass dann, wenn von Globalisierung geredet wird, wir vor allem an eine Globalisierung der Gerechtigkeit in unserer Welt denken. Nur diese wird langfristig ein friedliches Zusammenleben sichern. Lassen Sie uns dieser Tatsache immer bewusst sein.

Sicher hat sich in den vergangenen Jahren unsere Arbeitswelt stark verändert, und sicher müssen wir darauf reagieren. Jedoch glaube ich nicht, dass die Instrumente derer sich die Industrie bedient, ohne weiteres auf unseren Berufsstand übertragbar sind. Dies bedeutet nicht, dass nicht zu befürchten ist, dass diese auf uns übertragen werden von Kräften, die nicht unterscheiden mögen zwischen der Planung, dem Bau eines Gebäudes und der Produktion z.B. eines Automobils. Das Eine - die Architektur - jedesmal neu, individuell geschaffen mit allen Risiken, aber somit auch Chancen behaftet. Das Andere ein industrielles Massenprodukt, einfach anderen Gesetzmäßigkeiten folgend. Auch wenn das Mancher nicht wahrhaben möchte.

Noch nie war unser Stand schwieriger als heute.
Aber: Wurde dies nicht schon zu allen Zeiten behauptet.

Womit müssten wir uns bloß herumschlagen, da sind Veränderungen z.B. im Planungstechnischen, mit dem Einzug des "CAD", im Politischen, z.B. mit der EU-Erweiterung, die möglich macht, international zu arbeiten, im Bautechnischen mit der Entwicklung immer neuer Baustoffe, oder im Rechtlichen - Richtlinie um Richtlinie -, wo wir auf dem Weg sind, bald amerikanische Verhältnisse zu haben, in der jegliche neue Entwicklung Gefahr läuft, im Dickicht der Haftungsrisiken erstickt zu werden.

"Erfahrene Pessimisten könnten zu folgendem Ergebnis kommen: Der Architekt - und Vergleichbares gilt für Ingenieure - ist jemand, der nach der Rechtsprechung nahezu alles können muss, weil er für nahezu alles haftet, in seiner Ausbildung aber nur einen Teil davon gelernt hat. Bekommt er trotz aller Konkurrenz überhaupt einen Auftrag, versucht der Bauherr, über den Preis zu "feilschen". Führt er den Auftrag aus, tappt er von Haftungsfall(e) zu Haftungsfall(e), denn wer plant, begeht Planungsfehler, wer Bauleitung übernimmt, begeht Bauleitungsfehler, und wer am Ende den Bauherren nicht auf mögliche eigene Fehler hinweist, verschafft sich verlängerte Gewährleistungsfristen. Hat er dies alles überstanden und seine Schlussrechnung unter strikter Beachtung der DIN 276 erstellt, dann hat er es schon fast geschafft. Meist muss nur noch ein Honorarprozess geführt (und vorfinanziert) werden, und wenn dieser beendet ist, ist der Bauherr im Konkurs." (Schnitzspahn, Röder, Mohr).

Eine ironische und etwas überspitzte Darstellung, aber manchem unter uns wird dies bekannt erscheinen.

Veränderungen hat es schon immer und wird es immer geben. Das bedeutet aber nicht, dass das klassische Berufsbild des Architekten, dessen Arbeit auf dem Verständnis von Architektur als Baukunst beruht, aufgegeben werden darf, so wie dies manche fordern. Genau dies würde fatale Folgen haben. Ganz im Gegenteil müssen wir das klassische, ganzheitliche Berufsbild und unsere Arbeitsweise bewahren und diese gegebenenfalls erweitern, den Notwendigkeiten entsprechend.

Warum nicht auch Generalplanung oder Facility Management anbieten, wenn es gewünscht wird. Warum nicht auch die digitalen Möglichkeiten ausschöpfen, mit der Betonung auf "auch", sicher nicht prinzipiell.

Hier gilt ebenso: jede Aufgabe sollte mit den ihrem Wesen entsprechenden Mitteln bearbeitet werden. Manchmal kann eine Kinderzeichung aussagekräftiger sein als ein am Rechner gezeichneter Plan, und oft ist ihr ästhetischer und emotionaler Wert ein höherer.

Der Vermehrung der Technik in unseren Büros wird auch - und das möchte ich kritisch anmerken - durch das Vergabeverfahren der öffentlichen Hand kräftig Vorschub geleistet. Kein Bewerbungsformblatt ohne Anfrage nach der technischen Ausstattung, Anzahl der Computer, usw. Als ob dies Maßstab sein könnte für die Qualität der Arbeit.

Aber viele der Kollegen beugen sich dieser Entwicklung in der Hoffnung, dadurch konkurrenzfähig zu bleiben. Daran kann ich kaum glauben.

So wenig wie die Erfindung der Nähmaschine den ehrenwerten Berufsstand des Schneiders gerettet hat, so wenig wird der als Werkzeug zwar notwendige, aber sonst wenig bedeutsame Einsatz der Technik unsere Position verbessern.

Andere Kriterien sind hier von Bedeutung.

Technischer Fortschritt ist käuflich, kreatives Potential nicht. Die Diskussion ‚Architekt als Dienstleister oder Baukünstler' geht am Thema vorbei. Eine ordentliche Dienstleistung zu erbringen ist Grundlage unserer Arbeit, das Baukünstlerische aber ihr entscheidender Wesenszug, der unsere Tätigkeit von vielen anderen unterscheidet.

Sehr geehrte Damen und Herren, es muss uns gelingen, die Architektur im Bewusstsein der Bevölkerung als wichtiges Kulturgut zu verankern, dem Begriff der Baukunst folgend. Und die Entscheidungsträger müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Qualitätsvolles entstehen kann. Als Maßstab darf nicht immer zuerst das quantitativ Erfassbare dienen.

Lassen Sie mich zitieren aus unserer Berufsordnung:
In allen deutschen Architektenkammern der Länder heißt es mehr oder minder ähnlich: "Der Architekt wirkt an der Gestaltung der Umwelt des Menschen mit. Das wohlverstandene Interesse der Allgemeinheit an der menschenwürdigen Umwelt hat - ich betone! - Vorrang unter allen Motiven, die für die Berufswahl und die Berufsausübung bestimmend sind. Die Lösung der ihm gestellten Aufgabe ist deshalb stets als Teil einer größeren zu sehen."

Dies betont unsere und die aller anderen an einem Projekt Beteiligten übergeordnete Verantwortung.

In Bauwerken zeigt sich auch das Selbstverständnis und der Zustand unseres Gemeinwesens. Sie sind in hervorragender Weise geeignet, die Leistungen unserer Gesellschaft zu veranschaulichen im Technischen und im Künstlerischen.

In ihnen wird unser Vertrauen sichtbar in das, was unsere Zeit hervorzubringen im Stande ist. So zeigt sich, ob wir bereit sind, anstehende Aufgaben mit Mut anzugehen und zu lösen mit zur Zukunft hin offenen und zur Zukunft hin orientierten Mitteln, oder ob wir uns nur an dem, was wir kennen, am Bewährten, Gewohnten, oder gar Vergangenen orientieren. Kaum werden die Probleme und die Aufgaben der Gegenwart und die der Zukunft zu lösen sein mit den Mitteln - und, auf die Architektur bezogen, in den Hüllen der Vergangenheit. Dies gilt für alle Bereiche unseres Lebens.

Zeitgemäßes Denken und Handeln kann sich jedoch nicht nur beschränken auf Technisches und Konstruktives, oder auf den Einsatz zeitgemäßer Materialien, Farben und zeitgemäßen Designs - alles wichtige Aspekte, jedoch letztendlich allein betrachtet nur "Sekundärtugenden" aus dem Bereich der Architektur.

Von vielen Faktoren wird die Architektur und somit unsere Wirklichkeit bestimmt.

Da sind die Vorstellungen der Nutzer, die Zwänge der Konstruktion, die Akustik des Raumes, die angestrebte Wirtschaftlichkeit, und Einiges mehr. Und nicht zuletzt die Vorstellungen der Planer. Diese wiederum kann sich entwickeln aus der Situation vor Ort, oder übergeordnet ableiten aus der Struktur einer Stadt, deren Bild im Wesentlichen bestimmt wird durch ihre herausragenden Einzelbauwerke. Diese bilden Landmarken, an die wir uns erinnern, an denen wir uns orientieren im räumlichen, aber auch im übertragenen Sinne, und diese prägen den Charakter und die Bedeutung unserer gebauten Umwelt insgesamt.

Alle kennen die großen Werke der Baukunst, die häufig in ihrer Zeit heftig umstritten, später für nachfolgende Generationen Wahrzeichen geworden sind, ohne die unsere Städte heute nicht denkbar wären.

Und hinter allem stehen Menschen mit Ideen und Idealen, mit Sorgen und Ängsten, oder mit Mut, mit Erwartungen und Hoffnungen und vielem mehr.

So entwickelt sich jedes Bauwerk aus seiner besonderen Situation heraus und nach eigenen Gesetzmäßigkeiten. Ein vielfältiges und buntes Spiel.

Und tatsächlich: Das Spielerische ist Voraussetzung für eine freie, offene, vielfältige, interessante Architektur. Im Spiel sind wir frei, und im Spiel ist Architektur frei, widerspiegelt das Freie.

Architektur soll edel sein und für das Höhere stehen, selbst wenn die Welt so nicht ist. Lassen Sie uns dies immer bewusst sein!!

Und denken wir daran, das ein Gebäude mehr sein kann als die schiere technische Funktion, dass das, was ein Gebäude auszeichnen könnte, ja auszeichnen muss, auch jenseits dieser Funktionen liegt. Ob wir dies erreichen, ist nicht eine Frage des Geldes, sondern zuerst der Art und Weise, wie wir - lassen Sie es mich nochmals Spiel nennen - in diesem Spiel agieren und mit uns und unserer Welt umgehen. Und dies bestimmt letztendlich den ästhetischen Wert des Werkes.

Wir müssen technisch einwandfreie und gut organisierte Häuser schaffen. Was jedoch wären alle Mühen aller Beteiligten, wenn es uns nicht gelänge, auch humane und gute Architektur zu schaffen. Dafür sollten wir kämpfen mit Mut, Optimismus und Zuversicht.
Behnisch, Behnisch & Partner
G. Schaller

veröffentlicht am 19.10.2001 von Susann Weber · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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