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Rede Gert Kähler

Neujahrsempfang 2001

Die Geschichte fängt mit einer Panne und mit einem Glücksgriff an. Die Panne liegt im Titel: Initiative Architektur und Baukultur - das ist zumindest bedenklich, legt es doch "Äpfel" und "Obst" in einen sprachlichen Korb und hat zudem den überzeugenden Charme einer "Sättigungsbeilage" oder einer "Jahresendfigur". Mit beiden gemeinsam hat die Initiative den gut gemeinten Inhalt.

Der Glücksgriff bezieht sich auf die Wahl dessen, der die Baukultur in einem "Statusbericht" auf Haltbarkeit und Bißfestigkeit hin untersuchen soll, nämlich auf mich, wobei ich einräume, daß die Sache mit dem "Glück" vielleicht noch zu früh für eine allgemeine Untersuchung taugt, daß sie aber für mich als kleinem, selbständigen Gewerbetreibenden schon jetzt zutrifft: Ich verschiebe meine Position von der des "Kritikers" zu der des "Machers", lerne andeutungsweise die Arbeits- und Denkweisen von zahlreichen Verbandshandelnden und Ministerialbeamten kennen und lieben und werde dafür auch noch bezahlt.

"BMVBW" ist die Abkürzung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Dieser Name ist zu lang, als daß er mediengerecht wäre, weshalb er üblicherweise als "Verkehrsministerium" abgekürzt wird. Auch seine Vorsteher des letzten Jahres, die Herren Klimmt und Bodewig, werden als "Verkehrsminister" zu unrecht in ihrem Aufgabenbereich beschränkt. Denn sie haben sich auch zum Beispiel um die Bauten des Bundes zu kümmern, um Botschaftsarchitektur all over the world, um Sanierungsprogramme wie das der "sozialen Stadt" oder den "Experimentellen Wohnungsbau". Daß Reinhardt Klimmt Anfang des Jahres in der "Zeit" geradezu vehement für ein Stück moderner Architektur anstelle des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses plädierte, sprach für sein Interesse an Themen der Architektur und des öffentlichen Raumes.

Das wurde aktiviert, als Bund Deutscher Architekten BDA und Bundesarchitektenkammer die Gründung der genannten "Initiative" vorschlugen: Den Versuch, in einer konzertierten Aktion möglichst vieler einschlägiger Berufsverbände und des Ministeriums ein Aktionsprogramm zur Hebung der Baukultur in Deutschland zu entwickeln. Die Idee ist so neu nicht; in anderen Ländern der EU gibt es derartige Programme schon längst - in Schweden und Finnland, in den Niederlanden oder in Frankreich. In Finnland hat es sogar dazu geführt, daß ein "Recht auf eine gute Umgebung" in der Verfassung festgeschrieben wurde. Dort stellte man auch fest - und an dieser Stelle wird die "Baukultur" selbst für Wirtschaftsministerien interessant -, daß "gute Architektur zum nationalen Wohlstand beiträgt" (eine Erkenntnis im übrigen, die sich auch bei einigen privaten Bauherren hierzulande schon eingestellt hat, die z.B. die Kosten eines Architektenwettbewerbes tragen, weil sich der Bau dann durch seine höhere Qualität verbilligt).

In Deutschland stellen sich Vorhaben mit "-kultur" im Namen gleich mehrere Hindernisse in den Weg: Zum einen handelt es sich also um "Kultur" mit großem "K" und damit um eine Ländersache. Zudem wird der größte Teil der Bauten der öffentlichen Hand von den Kommunen abgewickelt. Aber das Thema selbst stößt offenbar auf allgemeines Interesse; in der im Rahmen der Initiative eingerichteten "Lenkungsgruppe" sitzen inzwischen auch Vertreter der Länder und des Deutschen Städtetages. Das setzt voraus, daß sich der Bund auf sein "Kerngeschäft" zurückzieht, das heißt: auf die Bauten des Bundes und auf die genannten Förderprogramme.

Und auf die Definition dessen, um was es sich bei der "Baukultur" überhaupt handelt. Wenn es denn das Wort gäbe, dann würde ich lieber den Begriff der "Umweltkultur" dafür einsetzen - aber den gibt es eben nicht, und wahrscheinlich ist das kein Zufall. Stattdessen gibt es die Baukultur. Aber genaugenommen meint die das gleiche: Nämlich auf einer allgemeinen Ebene die "Produktion von und den Umgang mit der gebauten Umgebung". Damit ist Baukultur nicht allein eine Sache der Architekten, Ingenieure oder Behörden, die professionell damit befaßt sind, sondern aller Bürger, die mit der gebauten Umwelt in Verbindung stehen; und sie ist nicht allein eine Sache der Architektur, sondern eine allen Gebautens. Die Betrachtung nur der Architektur verkürzt nämlich den Blick darauf, daß wesentliche Teile der gebauten Umwelt, die die Menschen prägt, nicht aus Häusern, sondern aus Straßen, Plätzen, Brücken, Müllentsorgungsboxen etc. besteht. Auch am Umgang damit läßt sich die "Baukultur" eines Landes ablesen.

Man muß sich ja nur einmal umsehen, wie es sich damit verhält: Bei einem Stück Architektur kann man streiten, ob es gelungen ist oder nicht. Aber bei den vielen kleinen Umweltsünden kann man nicht einmal das, weil sich keiner je Gedanken darüber gemacht hat, ob das jeweilige Oblekt "schön" ist: Tagsüber im High-Tech-Produkt Automobil fahren, und es abends in eine Waschbeton-Plattenbau-Garage stellen. Von Nord bis Süd die immer gleichen, grobschlächtigen Autobahnbrücken bauen. Ein Straßenpflaster im Laufe der Zeit mit so vielen Materialien reparieren, daß es wie ein Flickenteppich aussieht. Oder Schulklassen und Hochschulräume verkommen zu lassen, in denen Vorlesungen über die Sensibilität des Menschen gehalten werden.

Ach, und die Handwerker - ist doch egal, ob das Türschild gerade oder schief ist; man kann es doch lesen

?
Das genau ist der Punkt: Die vielen Kleinigkeiten, die in der Summe so wichtig sind, weil sie die gebaute Umwelt prägen, sind "egal". Es kümmert sich immer jemand um die Einhaltung von Normen und um Kosten, um Termine und um die öffentliche Sicherheit. Nur um die Schönheit, oder sagen wir: Um ein anständiges Aussehen - darum kümmert sich keiner. Die Folge ist eine ästhetische Umweltverschmutzung, die so folgenreich ist wie die, um die wir uns sogar mit Hilfe eines Bundesministers kümmern - nur sieht man die Folgen nicht so unmittelbar auf unserem Planeten.

Zwar gibt es keine mathematische Logik, die belegt, aus einer bestimmten gebauten Umwelt entstehe ein bestimmtes Verhalten von Menschen. Andererseits ist jedermann einleuchtend, daß gebauten Umwelt Menschen prägt. Ob einer im Slum wohnt ohne Licht und Sonne oder in der bürgerlichen Villa - sein Verhalten wird unterschiedlich sein. Und 20 qm eines Zimmers können einen schönen Wohnraum ergeben - sie können aber auch als Flur 20 mal 1 m betragen - möchte man darin wohnen? Und eine Tiefgarage kann Angst einflößen oder Sicherheit ausstrahlen - auch durch ihre Gestaltung. Wenn das aber einleuchtet - warum sollten dann die Gestalt eines öffentlichen Platzes, die Ästhetik einer Müllentsorgungsbox (ein Volk, das erkannt hat, daß Müll eine Ressource ist, behandelt ihn immer noch wie - Müll) oder ein Rathaus, das nur aussagt, daß hier jemand billig gebaut hat, keine Folgen für das Wohlbefinden der Menschen haben?

Das sind die Überlegungen, die im Kern hinter der Initiative stehen, und es ist zunächst einmal eine tolle Sache, daß sich von den Stadtplanern bis zu den Bildenden Künstlern, von den Ingenieuren bis zur Bauwirtschaft und natürlich den Architekten viele Berufsverbände zusammentun, um ein gemeinsames Programm zur Verbesserung der gebauten Umwelt zu entwickeln. Zum ersten Mal in der Gechichte der Republik kümmert man sich auf dieser Ebene um "Baukultur" - gleich, wie schwammig der Begriff ist.

Der erste Schritt (und damit das Herz des "Statusberichtes") ist dabei die schwierige Feststellung, was die "Baukultur", also unser aller Umgang mit gebauter Umgebung, eigentlich alles beeinflußt - nur der "Geschmack", über den man eh' nicht streiten kann? Und wie bildet der sich? Mit Fragen wie diesen kommt man schnell zu der Erkenntnis, daß es sich um einen überaus komplexen Vorgang handelt, der von der eigenen Wohnumgebung bis hin zur "Bildung" alle Bereiche umfaßt, die auch sonst die Sozialisation jedes einzelnen prägen. Das ist der Grund dafür, daß sehr schnell, auch in der Initiative, der Ruf nach einer "ästhetischen Erziehung" in der Schule laut wird. Eine derartige Forderung hat den Vorteil, unzwetfelhaft vernünftig zu sein und von allen Berufsverbänden unterstützt zu werden - denn sie hat für diese keine Folgen.

So besteht sehr schnell die Gefahr, daß die Initiative mit ihren hehren, von niemandem im Ernst bezweifelbaren Zielen zum Lippenbekenntnis gerinnt. Das ist in vorauseilender Skepsis von den Kritikern bereits angemerkt worden: Anstatt zu begrüßen, daß überhaupt etwas auf diesem Gebiet geschieht, wird das wahrscheinliche oder vermutete Ergebnis vorweg kritisiert: Eine deutsche Krankheit.

Aber was wäre eigentlich dagegen zu sagen, wenn "nur" als Ergebnis steht, daß sich alle einschlägigen Berufsverbände zusammengesetzt haben, um in (selbstkritischer?) Einschätzung zu sagen: Es gibt noch viel zu tun?

Anstelle dieses Minimalkonsenses liegen inzwischen eine ganze Reihe von Vorschlägen auf dem Tisch, die von der - zugegeben: eher unwahrscheinlichen - Grundgesetzänderung mit dem "Recht auf eine gute Umgebung" bis dahin reichen, jedes neue Bauwerk mit einem Schild zu versehen, auf dem Planer und Bauherr verzeichnet sind. Dann sind die Täter nämlich identifizierbar; sie werden verantwortlich! Sie reichen von Stipendien für junge Architekten, ingenieure und Planer bis hin zur Gründung eines "Deutschen Architektur Institutes", in dem die Möglichkeiten, den Umgang und das Verständnis für unsere gebaute Umwelt zu verbessern, erforscht werden. Denn die sind vielfältig - sie beziehen sich auf die Schule wie auf eine Verbesserung der Ausbildung, auf die Selbstverpflichtung des Bundes zu offenen Wettbewerben bis zur Verpflichtung auf eine faire Bezahlung von Planungsleistungen, von der Einrichtung von "Verbraucherschutzanwälten" für Architekturleistungen bis zu mehr Mitbestimmung bei der Planung - einer Mitbestimmung, die sich nicht nur auf "Anregungen und Bedenken" bei Bebauungsplänen bezieht, die für den Laien unlesbar sind.

Bisher sind das alles nur Möglichkeiten, nichts ist bisher beschlossen, Kaum verwunderlich, nachdem erst Mitte Oktober der offizielle Startschuß gegeben wurde.

Einige Ergebnisse der Initiative allerdings lassen sich bereits jetzt konstatieren. Zum einen zeigt sich, daß die angestoßene Diskussion bereits Kreise zieht - und es wäre großartig, wenn sich auf Länderebene gleichgerichtete Initiativen bildeten; Ansätze dazu gibt es bereits in verschiedenen Bundesländern!

Auch ein(e) "Baukultur-Beauftragte(r)" als eine Art "Ombudsmann/frau" für die geschundene gebaute Umwelt wäre in Analogie zur "Frauenbeauftragten" alle Anstrengung wert.

Für mich als Beteiligten hängen Erfolg oder Mißerfolg der Initiative nicht am Erreichen einer bestimmten Maßnahme. Gescheitert wäre sie, wenn sie am Ende der Wahlperiode einfach nur versickerte, wenn sie nur deklamatorischen Charakter trüge. Den Bewußtseinsprozeß aber von der "Gestalt der gebauten Umwelt als gesellschaftlicher Ressource" in Gang zu setzen, ist schwer, weil er auf allen Ebenen einsetzen müßte: Es reicht nicht, nur den Schülern Grundbegriffe einer ästhetischen Erziehung zu vermitteln - wann würde das Folgen haben? Auch den "Erwachsenen", den privaten Bauherren, den Entscheidungsträgern in den kommunalen Bauausschüssen, den Handelnden in den Ämtern müßte das Licht aufgehen, daß sie Verantwortung für die Gestaltung der gebauten Umwelt tragen. Das schließt nicht aus, daß dennoch etwas mißlingt. Das stellt keine ästhetische Normen auf. Aber es zwingt - hoffentlich! - dazu, sich überhaupt zuständig zu fühlen, sich darum zu kümmern!

Denn, nicht wahr, jeder darf über Fußball reden - wenn er wenigstens weiß, was "Abseits" ist. Warum soll das im Hinblick auf die Beurteilung der Qualität gebauter Umwelt anders sein (was uns zu der Frage führt, wie man die Mitglieder in Gemeinde- und Stadträten qualifizieren kann, die - völlig zu recht! - als gewählte Repräsentanten des Volkswillens über so viel Architektur bestimmen...)?

Eine Initiative Architektur und Baukultur auf Bundesebene, mit den bescheidenen Kompetenzen des Bundes für die Kultur - das ist wenig. Den Prozeß in Gang zu setzen, der die Verantwortung für die Gestalt der gebauten Umwelt als Thema für alle Bürger - auch in den Medien! - dauerhaft installiert - das wäre ein großer Erfolg! Und vielleicht gibt es auch für die Medien den "Reich-Ranitzky der Architektur", der in einem "architektonischen Quartett" über die Qualität der gebauten Umwelt stritte - immerhin könnte man diese im Unterschied zu den Büchern im Bild zeigen!

Man kann den Prozeß in Gang setzen. Es gibt andere Länder, andere Städte, in denen Architektur und gebaute Umwelt zum nationalen Thema geworden ist - in den Niederlanden, wo es einen (ehrenamtlichen) "Reichsbaumeister" gibt, jede Baumaßnahme von den Bürgern diskutiert und junge Architekurbüros gezielt gefördert werden; in Finnland, das (fast) keine Graffitti an den Wänden kennt, weil man Respekt vor dem öffentlichen Raum hat; in der Schweiz, wo die Bürger über geplante Bauten abstimmen, ohne daß das gestalterische Niveau sinkt; in Barcelona (im Gegensatz zu Madrid), in Chicago (im Gegensatz zu New York).

Denn, nicht wahr: Was spricht dagegen, Schulen zu bauen, in die die Schüler gern gehen, weil sie sie schön finden - niemand wird annehmen, sie seien zu dumm, es zu bemerken? Was spricht dagegen, Autobahnbrücken zu bauen, die auf dem heutigen Stand der technischen Möglichkeiten Material sparen, weil sie mehr Intelligenz anwenden? Was spricht dagegen, Müllentsorgungsboxen zu entwickeln, die zeigen, daß Rohstoffe kostbar sind? Und was spricht dagegen, öffentliche Straßen- und Platzräume zu bauen, die die Sorgfalt einer Gestaltung für die Bürger zeigen, nicht nur, daß sie pflegeleicht sind?

Und was spricht dagegen, über das alles eine öffentliche und offenen Diskussion anzuzetteln?

Gert Kähler. Architekturkritiker

veröffentlicht am 18.01.2001 von Susann Weber · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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