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Umdenken anstiften

Über den IBA-Zukunftsprozess rund um den Bahnhof Apolda

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BeL entwickelten auf dem ehemaligen RST-Gelände in ihrem Szenario „Kooperative Kleinstadt“ eine neue Schule für Kreislaufwirtschaft. Dafür gilt: Umnutzen des Bestandes. Am Modell bei der Abschlusswerkstatt in Apolda diskutierten unter anderem Prof. Anne-Julchen Bernhardt (BeL, Köln) und einer von acht Beratern im Verfahren, Henrik Schultz (Stein & Schultz, Frankfurt)., Bild: © IBA Thüringen, Foto: Thomas Müller

Text: Katja Fischer

Wer heute mit dem Zug in Apolda ankommt, den empfängt die Stadt inmitten von Leerstand und Leere. Fast fünf Hektar Fläche mit unterschiedlichen Baubeständen und Flächen aus über einem Jahrhundert Stadtgeschichte warten hier auf eine neue Perspektive. Apolda hat offensichtlich ein Problem mit seiner Haustür, die prominente Lage des Verfalls schlägt auf das Image, eine natürliche Nachfrage für die ehemaligen Industriestandorte fehlt seit Jahrzehnten.

Seit 2014 ist diese städtebauliche Leerstandskulisse rund um den Bahnhof in Apolda eine von derzeit 19 Standorten der Internationalen Bauausstellung Thüringen. Zugleich ist Apolda überall und nur einer von vielen Standorten im Stadtland Thüringen, die mit strukturellem, hartnäckigem Leerstand zu kämpfen haben. In Apolda arbeiten die Stadt, die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen und die IBA Thüringen an selbstbewussten und modellhaften Antworten zum Leerstand. Dabei werden die baulichen Bestände und Flächen zuallererst als Ressourcen verstanden, für die eine wirtschaftliche und soziale Perspektive entwickelt werden muss. Das heißt im Fall von Apolda, einer kleinen Stadt von 23.000 Einwohnern mit großer Industriegeschichte, auch ein neues Zukunftsnarrativ zu erfinden.

Zwischen November 2016 bis März 2017 fand ein öffentliches, kooperatives Werkstattverfahren zur Gebietskulisse des Bahnhofs mit vier Planungsbüros und acht ergänzenden Fachexperten statt. Ziel dieses Verfahrens, das als Phase Null konzipiert wurde, war es, ein gemeinsames Entwicklungsleitbild für die Situation zu erarbeiten und eine breite Verständigung zwischen allen Beteiligten und Akteuren über die Problemlagen, Entwicklungsbedingungen und Nutzungsperspektiven der Standorte zu ermöglichen. Bearbeitet wurden dabei drei Areale im Zusammenhang: das ehemalige Gelände der Firma „Rotationssymmetrische Teile“ (RST), der ehemalige Standort der Apollowerke, später Nori-Möbel-Werke, und das Bahnhofsumfeld selbst mit dem verbliebenen Wasserturm als Teil des Denkmalensembles.

Zum Verfahren waren mit Modulorbeat aus Münster, der Sozietät für Architektur BeL aus Köln, Studio Vulkan aus Zürich und der EnergieWerk-Stadt aus Weimar vier interdisziplinär arbeitende Büros mit konzeptioneller Schärfe und internationaler Reputation eingeladen. Vier Monate lang beschäftigten sie sich mit den Standorten in Apolda. Die gemeinsame Suche nach einem neuen Leitbild geschah mithilfe von Szenarien für die Gesamtstadt im Jahr 2050; unter den Schwerpunkten „Gewerbestadt“, „Land(wirt)schaftsstadt“, „Kreislauf- bzw. Energiestadt“ sowie „Sofortstadt“ wurden vier relevante Entwicklungsaspekte bearbeitet.

Aus diesen multioptionalen Spekulationen über die Zukunft der Stadt sollten zugleich Transformationsansätze für die drei Grundstücke geprüft werden. Ein ungewöhnliches Gegenstromprinzip aus Unschärfe und Konkretheit, das von allen Beteiligten großen Mut abverlangte und mit ambitioniertem, kooperativem Engagement beantwortet wurde. Szenarien sind keine verbindlichen Planungen, sie bieten uns lediglich die Möglichkeit, aus heute identifizierbaren Entwicklungstrends eine Zukunft zuzuspitzen und zu verstehen, welches Handeln im Hier und Jetzt sinnvoll sein könnte, beziehungsweise, welche Gestaltungsoptionen wir für die Zukunft haben. Im Apoldaer Verfahren waren Szenarien unser Mittel zum Zweck, miteinander ins Gespräch zu kommen. Jedes Büro hat in diesem Sinne einen Vorschlag erarbeitet und der Apoldaer Realität rund um den Bahnhof eine Entwicklungsperspektive gegeben. In der öffentlichen Abschlusswerkstatt am 1. März 2017 wurden die vier Szenarien „Sofortstadt“, „Kooperative Kleinstadt“, „Datschland“ und „Kompaktstadt“ gemeinsam mit den Apoldaer Bürgern an Zukunftstischen diskutiert und weiterentwickelt.

Mit dem kooperativen Werkstattverfahren wurde der Prozess des Umdenkens für die weitere Entwicklung der Areale angestoßen. Verfahren und Beteiligte werden auf der Website der IBA Thüringen vorgestellt. Die weiteren Projektschritte werden zeigen, ob Apolda mit diesem mutigen Prozess ein Modell für andere strukturschwache Standorte in Thüringen und darüber hinaus werden kann.

Katja Fischer ist Projektleiterin bei der IBA Thüringen.

WEITERE INFORMATIONEN:
www.iba-thueringen.de/projekte/stadtland-apolda-%E2%80%93-modellfall-leergut

veröffentlicht am 26.04.2017 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, IBA Thüringen

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