Zum Seiteninhalt Logo der Architektenkammer Thüringen

Die „Demontage der Demokratie“

Weimar- und Bauhaus-Botschafter in Blois abgebaut

2 Bilder vergrößern
Gropius-Zimmer-Pavillon in Blois, Bild: Julia Heinemann

Text: Julia Heinemann

Mit gemischten Gefühlen haben wir nach viermonatiger Standzeit den Gropius-Zimmer-Pavillon im Jardin de l'Évêché in Blois – an der Seite des Reiterstandbildes der Jeanne d’Arc und vis-à-vis dem Büro des Bürgermeisters im Rathaus mit der Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ der Französischen Revolution über dem Eingang – wieder abgebaut.

Aufgebaut als Symbol der städtepartnerschaftlichen Beziehung von Weimar und Blois und Zeichen der demokratischen Werte, bot die temporäre Rauminstallation einen Ort der Irritation, Information und des Verweilens in einer Neuinterpretation der vorgefundenen Raumkonstellation. Die Botschaft ist die gemeinsame, geschichtliche Errungenschaft der Republik – und dass die Direktorenschaft in einer Demokratie jede und jeder innehat, dass dies aber nicht nur Privileg, sondern auch Verpflichtung ist und über Raumgrenzen hinausgedacht werden kann und soll.

Wie die letzten, Europa erschütternden Tage zeigen, ist das errungene, respektvolle, demokratische Zusammenleben keine bedingungslose Voraussetzung. Umso makabrer war es, den Pavillon als Symbol der Demokratie zu demontieren, während in Europa Krieg entflammt.

Wir sind davon überzeugt, dass es Gesprächs-, Austausch-, Diskussions- und Informations-Orte braucht, sowohl in virtuellen als auch und vor allem in realen, öffentlichen und neutralen Räumen. Demokratiefähigkeit ist, wie jede Fähigkeit, Übung und kann nur durch Praxis erlernt werden. Demokratie muss ständig aufs Neue praktiziert werden. Dazu braucht es Orte und Gelegenheiten, aber auch die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und sich Zeit für die Gedanken und emotionalen Beweggründe des anderen – und die eigenen – zu nehmen. Das Verbindende sind nicht Orte, Räume und Architektur an sich, sondern das im Prozess Erlebte und die damit entstehende Interaktion. Die so entstandenen Objekte verkörpern lediglich diese Erinnerungen und die gemeinsam vertretenen und geschaffenen Werte.

Wir schauen erfüllt und wehmütig auf unfassbar schöne Tage und Begegnungen in Blois zurück. Wir sind dankbar, dass wir die bereits bestehenden städtepartnerschaftlichen Beziehungen kennen und schätzen lernen durften.

Völkerverständigung, Freundschaft und Dialog brauchen nicht nur Raum und Interaktion, um praktiziert und ständig aufs Neue belebt zu werden, sondern auch einen Rahmen, in dem dies möglich ist. Besonderer Dank gilt hier den Städten Weimar und Blois, die dieses unkonventionelle Projekt unterstützt und ermöglicht haben.

Der Pavillon ist eine temporäre Raumintervention, ein zeitlich begrenzter Impuls, der eine neue Perspektive auftut, den Standort für ein kurzes Zeitfenster prägt und eine gemeinsame Erfahrung schafft. Der erst irritiert, wenn er dasteht – dann, wenn er fehlt. Was bleibt, ist das Gefühl der Verbundenheit. Bald bauen wir ihn in einem neuen Kontext auf ...

Es lebe die selbstbestimmte Freiheit mit all der einsichtigen Verpflichtung und der Verantwortung der gesamten Gesellschaft gegenüber.

Auf eine gelebte Demokratie in Frieden!

Julia Heinemann ist Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Bauformenlehre der Fakultät Architektur und Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar.

veröffentlicht am 11.04.2022 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News

Diese Seite teilen

Die AKT in den sozialen Netzwerken