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Eigenart der Landschaft

Auf der Suche nach der Definition eines schillernden Begriffs

Am 1. März 2010 trat das neue Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) in Kraft. Der Schutz der Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft wird neben dem Schutz der biologischen Vielfalt und der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts als Ziel des Naturschutzes und der Landschaftspflege benannt. Damit gerät erstmalig der unverwechselbare Charakter eines Landschaftsraumes, das Landschaftsbild als ästhetischer Ausdruck natürlicher Gegebenheiten in Verbindung mit regional spezifischen Nutzungsmustern und Kulturformen in den Fokus der Betrachtung.

Doch was macht die Eigenart von Landschaftsräumen aus? Welche historische Schicht gilt es zu berücksichtigen? Welchen Stellenwert nimmt der Begriff in der heutigen Landschaftsplanung ein? Welche Werte und/oder Mythen liegen den überlieferten Gestaltleitbildern zugrunde und sind sie geeignet, auch weiterhin Identifikationsräume zu bilden?

Rund 90 Gäste waren am 21. September 2011 der Einladung der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie (TLUG) und der Architektenkammer Thüringen (AKT) zu einer Tagung in das Erfurter Gartenbaumuseum gefolgt, um sich des vielschichtigen Themas „Eigenart der Landschaft“ anzunehmen. Die Auswahl der Referenten versprach nicht nur den Blick aus landschaftsplanerischer, -architektonischer und naturschutzrechtlicher Perspektive, sondern auch aus philosophischer, theologischer und historischer Sicht.

Klaus Rainer Hoffmann, Präsident der TLUG, betonte in seiner Eröffnungsrede, dass die Eigenart der Landschaft nichts Statisches sei, sondern ein Prozess, „der vom Menschen begleitet und vor allem vom Menschen beeinflusst wird – selbst wenn dies leider nicht immer im positiven Sinne erfolgte und erfolgt“.

Dr. Thomas Kirchhoff, Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V., Heidelberg, verwies darauf, dass unter räumlicher Eigenart „keine an sich gegebene Eigenschaft von Natur und Landschaft“ zu verstehen sei, sondern dass es sich vielmehr um eine kulturell geprägte Denkfigur handle, „mit der natürliche und kulturelle Differenzen auf bestimmte Weise interpretiert werden, wodurch sie bestimmte symbolische Bedeutungen und kulturellen Wert erhalten“. Abstrakte quantifizierende Kriterien sind aus seiner Sicht ungeeignet, um die Eigenart von Landschaft zu bewerten.

Dr. Bernhard Kaiser, Institut für Reformatorische Theologie, Reiskirchen, ging in seinem Beitrag u. a. der Frage nach, ob Eigenart ein Wert an sich sei, aus dem ethische Maßgaben abgeleitet werden können.

Axel Zutz, Institut für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung, TU Berlin, widmete sich der Frage: Wird mit Eigenart das bloße Vorhandensein von lokalen Besonderheiten bezeichnet oder ist sie Maßstab und Ausdruck einer „gelungenen“, an den konkreten Naturraum angepassten Entwicklung von Kultur? Anhand eines historischen Rückblicks wurden unterschiedliche Interpretationen des Begriffs Eigenart herausgearbeitet und ihr Bezug zu politischen Weltbildern der jeweiligen Zeit dargelegt und damit auf die gesellschaftspolitische Dimension des Begriffs verwiesen.

Die Ambivalenz der Orientierung an historischen Gestaltleitbildern in der modernen Landschaftsarchitektur führte Dr. Stefanie Hennecke, Juniorprofessorin für Geschichte und Theorie der Landschaftsarchitektur, TU München, den Zuhörern vor Augen. Anhand der Gestaltung zweier innerstädtischer Freiräume, nämlich dem Pariser Platz und dem Schlossplatz in Berlin, wurde deutlich, dass die bloße Adaption historischer Bilder, wie wir sie auch als Rekonstruktionen in der Denkmalpflege kennen, wenig zur Identitätsstiftung beiträgt, sofern es nicht gelingt, die Nutzerperspektive zu integrieren und zeitgemäße Aneignungsformen zu ermöglichen.

Der Beitrag von Dr. Frank Lorberg, Fachgebiet Landschaftsbau-Vegetationstechnik am FB Architektur-Stadtplanung-Landschaftsplanung, Universität Kassel, knüpfte daran an. Für ihn entsteht „die Bedeutung von Freiräumen aus einer immer wieder erneuten Interpretation tradierter Sinnangebote und Konventionen des Gebrauchs“. Weiter führte Frank Lorberg aus: „Der homogene Raum der Geometrie, in dem über Koordinaten gleichwertige Stellen angegeben werden können, ist anders strukturiert als der qualitative Raum der Erfahrung, der über bedeutsame Orte gebildet wird.“

Zukunftswerkstatt Kulturlandschaft Thüringen

In der sich anschließenden Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass in den Landschaftsplänen dem Aspekt der Eigenart der Landschaft bisher wenig Augenmerk gewidmet wurde, sondern eher der Schutz der biologischen Vielfalt (Biodiversität) im Vordergrund stand. Die Bedeutung der Landschaftsplanung darf in den derzeit virulenten Debatten des Klimawandels, der Energiewende und des Rück- und Umbaus von Agrarlandschaften jedoch nicht außen vor gelassen werden. Das Landschaftsbild prägt in einer globalisierten Welt die Identität einer Region und wird damit zum Standortfaktor im Wettbewerb der Regionen. Daher galt der Appell auch den Vertreterinnen und Vertretern des Ministeriums für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz gemeinsam mit den Veranstaltern, der TLUG und der AKT, im Rahmen einer Zukunftswerkstatt „Kulturlandschaft Thüringen“ den Dialog nicht abreißen zu lassen, sondern das Thema weiter zu vertiefen und damit das zentrale Anliegen der geplanten Internationalen Bauausstellung Thüringen, die das Motto „Wandel wird Kulturlandschaft“ trägt, ressortübergreifend zu unterstützen.

Den Abschluss des Tages bildete die feierliche Verleihung des Thüringer Landschaftsarchitekturpreises 2011. Jürgen Reinholz, Minister für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz übernahm als Schirmherr des Preises die Übergabe persönlich. In seinem Grußwort würdigte er den Teilnahmerekord mit 29 Projekteinreichungen und appellierte an die Berufsstände, Lösungswege aufzuzeigen, die den Herausforderungen der Zukunft entsprechen und damit „einen Ausgleich zwischen der Erhaltung der natürlichen Grundlagen und des Traditionellen einerseits, und der Erfüllung von sozialen und ökonomischen Anforderungen der Gegenwart und Zukunft andererseits“ bilden. Prof. Dr.-Ing. Gerlinde Krause hob als Juryvorsitzende in ihrer Laudatio die große Bandbreite der eingereichten Planungsleistungen hervor. Das Aufgabenspektrum reichte neben der Gestaltung von öffentlichen Räumen und Wohnumfeldern, von der Wechselbepflanzung im städtischen Kontext über Konzepte zu Landesgartenschauen bis hin zu Modelluntersuchungen zum Umgebungsschutz bedeutender Kulturdenkdenkmale.

Einmal mehr ist es gelungen, den Stellenwert der Landschaftsarchitektur für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger im Freistaat zu betonen. Wir danken allen Teilnehmern für ihre Einreichungen und gratulieren den Preisträgern sehr herzlich (siehe die Meldung "Thüringer Landschaftsarchitekturpreis 2011 geht an Planungsbüro aus Weimar.")

Gertrudis Peters

Impressionen von Tagung und Preisverleihung:
www.architekten-thueringen.de/lap/

Vorträge zum Download (in Planung):
www.tlug-jena.de > Veranstaltungsmaterialen

veröffentlicht am 24.10.2011 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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