Zum Seiteninhalt Logo der Architektenkammer Thüringen

Genial sind wir doch alle – Rückschau zum Podium „Architektur, Kunst und Demokratie“

Oliver Ziegenhardt, Erfurt

Am 18. Juni 2007 hatte die Stiftung Baukultur zur Podiumsdiskus-sion in die Kunsthalle Erfurt geladen. Im Fokus standen die Fragen: Wie viel Demokratie vertragen Kunst und Architektur? Bürgerbefragungen – Demokratisches Selbstverständnis oder Ergebnis von Hilflosigkeit bei Architekten, Stadtplanern und Entscheidungsträgern in den Landes- und Stadtparlamenten?

Bekanntermaßen hat in Deutschland jeder das schnellste Auto, einen tiefen Einblick in die Politik und kann ein Haus bauen. Anders gesagt: jeder lebt in einem Haus in einem Ort, doch wird man damit automatisch zum Experten für Architektur und Planung? Dieser und ähnlichen Fragen widmete sich die Podiumsdiskussion, die vom Direktor der Kunsthalle Prof. Dr. Kai-Uwe Schierz moderiert und von Prof. Joachim Deckert (Fachhochschule Erfurt, Fakultät Architektur), Mirko Krüger (Journalist der Thüringer Allgemeine), Dr. Alexander Thumfart (Politikwissenschaftler an der Universität Erfurt und Mitglied des Stadtrates) sowie dem bekannten Erfurter Künstler Egon Zimpel gehalten wurde.

In seiner Einführung erinnerte Hilmar Ziegenrücker an den Unmut der Pariser Bürger gegen die Errichtung des Eiffelturmes 1887, heute stolzes Wahrzeichen der Stadt. Partizipation sei zwar grundsätzlich wünschenswert, manchmal aber ebenso ineffektiv wie falsch. Im Kontext der aktuellen Debatten um den Wiederaufbau der Schlösser von Potsdam und Berlin sowie der Frauenkirche und neuerdings um die Elbschlösschenbrücke in Dresden, gab auch die Bürgerbefragung über die Zukunft des Hirschgartens 2006 in Erfurt der Diskussion über Sinn und Unsinn von partizipativen Planungsstrategien neuen Elan. Doch was sind die Folgen, welches Mandat entsteht somit den Entscheidungsträgern?

Im ersten Statement erläuterte Joachim Deckert, wie in der heutigen repräsentativen Demokratie ein grundsätzliches Mitspracherecht der Bevölkerung auch bei Planungsvorhaben vorgesehen sei. Mündige Bürger seien zwar eine Voraussetzung für Baukultur, aber eben nur bestimmte Gruppen haben ein wirkliches Interesse an der Hebung des Architekturniveaus, die anderen reden eben gern in architektonischen und städtebaulichen Fragen ein Wörtchen mit. Deckert verglich die Rolle des Architekten mit der eines Automechanikers oder gar Arztes, deren Kompetenz im Bedarfsfall niemand in Zweifel zöge. Er wies auf die kulturelle Verpflichtung hin, in seiner Zeit zu wirken und qualitätvolle Bauwerke zu hinterlassen, mitunter gegen die herrschende Meinung. In Erfurt erfolge immer eine nachträgliche Bürgerbeteiligung, nach jedem Wettbewerb werden die Bürger zur Unzufriedenheit aufgestachelt. Das sei Demagogie und mangelhaftes Demokratieverständnis, so Deckert.

Im zweiten Statement konstatierte Alexander Thumfart, Basisdemokratie und Bauentscheidungen gingen sehr wohl zusammen, denn was alle betrifft, kann auch von allen entschieden werden. In einer „Bürgerbefragungsdemokratie“ müssten die strittigen Themen der politischen Arena aus den Parteien herausgetragen werden. Die Bürger sollten sich nicht den Experten unterwerfen, seien mündig und entschieden umso vernünftiger, je mehr Wissen ihnen zur Verfügung steht. Es fehle nicht nur an architektonischer Bildung, sondern auch an einem Problembewußtsein für planerische und somit politische Prozesse.

Nach einer einführenden Bemerkung von Kai-Uwe Schierz über Goethes schwärmerischen Dilettantismus, mit dem er sich in nichtliterarischen Bereichen „auf die Suche nach dem Dümmsten“ begab, begann eine Diskussion, in der sich die oben skizzierten Positionen bis ins Polemische zuspitzten. Thumfart machte in einem Hinweis auf das Willy-Brandt-Denkmal deutlich, dass Bürger-vertrauen nicht zum Nulltarif und manchmal eben unbequem zu bekommen sei, aber immerhin müssen später alle mit der Entscheidung leben. Er votierte für mehr Zutrauen zur Basisdemokratie und führte als Beispiele erstens die Schweiz an, wo bei 30 % Ablehnung bereits ein neuer Wettbewerb ausgeschrieben werde, zweitens die Stadt Hamburg, deren Bausenator Axel Gedaschko ein Internet-Forum einrichtete, in dem über die Gestaltung des Domplatzes diskutiert werden kann.

Deckert konterte, er könne mit diesen Konzepten nichts anfangen, da die meisten Leute forderten, woran sie gewöhnt seien: „Wenn die breiten Massen es gut finden, dann haben wir etwas falsch gemacht.“ Hochkultur sei nötig, so Deckert, um Populärkultur weiterzuentwickeln, und er plädierte für eine intensivierte Architekturberichterstattung in den täglichen Medien. Auch Mirko Krüger forderte den Mut der Verantwortlichen, sich gegen das architektonische Mittelmaß durchzusetzen. Egon Zimpel erläuterte die große mediale Resonanz auf die Neubebauung des Benediktplatzes, dessen Popularität durch die Zeitungen und deren Berichte über das zähe Ringen zwischen BürgerInnen und Entscheidungsträgern hergestellt wurde.

Letztendlich trennte man sich in Einhelligkeit wie Folgenlosigkeit. Weder wurde erschöpfend behandelt, welche konkreten Möglichkeiten es in Erfurt gibt, sich als Bürger bei Bauvorhaben über reinen Informationskonsum hinaus einzubringen, noch deutlich genug vermittelt, warum Diskussionskultur und bürgerschaftliches Engagement konstitutiv für Baukultur sind, wenn die kulturellen Folgen von allen mitgetragen werden sollen.

veröffentlicht am 25.07.2007 von Birgit Kohlhaas · Rubrik(en): News, Stiftung Baukultur Thüringen

Diese Seite teilen

Die AKT in den sozialen Netzwerken