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Hygienische Lüftung von Aufenthaltsräumen

Gebäude luftdicht einpacken, um eine Lüftungsanlage zu montieren? Versuch einer Versachlichung des Themas

Berufspraxis, Bild: Architektenkammer Thüringen

Text: Volker Drusche

Die Energieeinsparverordnung EnEV regelt bereits seit 2002 die Mindestluftdichte von Gebäuden. Bei diesem Thema kocht schnell die Volksseele über. Manch einer beklagt die gesetzgeberische Regelungswut und sehnt sich nach „atmenden Wänden“. Eine Versachlichung ist dringend geboten:

Die Energieeinsparverordnung bezweckt unter anderem die Minimierung von Lüftungswärmeverlusten durch ungeregelten Fugenluftwechsel. In der Praxis hat sich gezeigt, dass bei „undichten“ Gebäuden der hygienisch erforderliche Luftwechsel stark von der Windstärke abhängt. Bei Windstärke Null und geringen Temperaturunterschieden zwischen innen und außen findet kaum Luftaustausch statt, wohingegen bei hohen Windstärken und Temperaturunterschieden ein Fugenluftwechsel auftreten kann, bei dem Kerzen ausgeblasen werden. Dies führt zu hohen Heizenergieverlusten und Unbehaglichkeit.

Gern wird übersehen, dass der erforderliche kontinuierliche Feuchteabtransport auch bei undichten Fugen nicht durch Wände erfolgen kann. Typische Wandkonstruktionen, auch ohne Wärmedämmung, tragen nur maximal 3 Prozent zum erforderlichem Feuchte- und Luftaustausch bei. Das bedeutet, dass ohnehin mindestens 97 Prozent des Luftaustauschs durch Fensterlüftung oder Lüftungsanlagen gewährleistet werden müssen. Wände atmen also nicht. Das haben Wände auch noch nie getan. Undichtigkeiten in Außenwänden sind als Bauschäden einzuordnen.

Nun wurde durch die Rechtsprechung festgelegt, dass zum Beispiel einem berufstätigen Paar nicht zuzumuten ist, mehr als dreimal täglich mittels Fenster-Stoßlüftung einen Raumluftaustausch herzustellen. In der Konsequenz lebt die Mehrheit der Bevölkerung in einem schadstoffgeschwängertem Raumluftmief. Fugenundichtigkeiten oder Fensterkipplüftung tragen bei höheren Windstärken zwar vorübergehend zum Luftwechsel bei, haben im Winter aber leider den Nachteil von ungeregelten Lüftungswärmeverlusten und oft genug Schimmelbildung im Bereich der Fensterlaibungen, Fugen und Wärmebrücken.

Eine Norm (DIN 1946-6) verlangt daher die Erstellung eines Lüftungskonzeptes für Neubauten und Sanierungen. Wenn in einem Wohngebäude mehr als ein Drittel der vorhandenen Fenster ausgetauscht bzw. mehr als ein Drittel der Dachfläche neu abgedichtet werden, muss ein Planer oder Verarbeiter festlegen, wie aus Sicht der Hygiene und des Bautenschutzes der notwendige Luftaustausch erfolgen kann. Gemäß Energieeinsparverordnung bedeutet das im Referenzfall die Montage einer Lüftungsanlage. Im Zusammenhang mit der Forderung nach einer hohen Gebäudeluftdichte klingt das zunächst wie den „Bock zum Gärtner“ zu machen. In Wirklichkeit soll jedoch eine Lüftungsanlage für einen hygienischen und regelbaren Luftwechsel ohne Abhängigkeit von Windgeschwindigkeiten und Außentemperaturen sorgen und tut dies auch bei entsprechender Auslegung und Wartung. Wenn eine solche Anlage mit einer so genannten Wärmerückgewinnung ausgestattet ist, lassen sich die Lüftungswärmeverluste auf ein Minimum reduzieren und langfristig Heizkosten sparen ohne auf Lufthygiene verzichten zu müssen. Auch hier ist für die gezielte Funktion der Anlage eine gute Gebäudeluftdichte unerlässlich.

Im Zusammenhang mit den Vorbehalten gegenüber modernen Wohnraumlüftungsanlagen erscheint zudem seltsam, dass heute kaum noch jemand einen Neuwagen ohne Klimaanlage kauft.

Dr.-Ing. Volker K. Drusche ist freischaffender Architekt aus Weimar, Sachverständigenbüro projektRAUM, und Partner im Energie-Effizienz-Institut.

veröffentlicht am 20.02.2015 von Björn Radermacher · Rubrik(en): Berufspraxis, News

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