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Landlabor Schloss Wiehe

Projekt der FH Erfurt nimmt Form an

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Musterzimmer geschlossen, Bild: Prof. Joachim Deckert / FH Erfurt

Text: Prof. Joachim Deckert

Seit vier Jahren laborieren Lehrende und Studierende verschiedener Disziplinen der Fachhochschule Erfurt an einem Landlabor, einer ländlichen Außenstelle der Hochschule.

Das ist soweit nichts Neues: Die elitären, US-amerikanischen Ivy-League-Hochschulen haben es vorgemacht. Stolz präsentieren sie ihren zahlenden Studierenden noble Villen in besten Lagen Italiens (und anderswo), wo sich diese dem Studium des alten Europas hingeben dürfen. Selbst die Justus-Liebig-Universität Gießen oder die Friedrich-Schiller-Universität Jena, um nur zwei zu nennen, verfügen über respektable Schlösser (Rauischholzhausen und Dornburg). Vor vier Jahren also begaben wir uns auf die Suche nach einem Ort jenseits des Gewohnten, jenseits von Seminarräumen, Hörsälen und Laboren, wo der Kopf frei sein kann von den Belastungen des Alltags, frei für neue Ideen und ungewöhnliche Konzepte.

In einem ersten Seminar wurde der Bedarf ermittelt und Kriterien, die zu erfüllen waren. Wir suchten und fanden 20 Objekte, die uns mehr oder weniger günstig angeboten wurden. Das Angebot rangierte von Industriegebäuden und Bauernhöfen bis zu Stadthäusern und noblen Landsitzen. Allen gemein war, dass sie seit Jahrzehnten leer standen und eine Nutzung nicht zu finden war. Diese Objekte wurden analysiert, was die Tauglichkeit anging. Zwei Häuser gingen daraus als geeignet hervor: das Untergut in Kammerforst und das Schloss Wiehe.

Es folgte ein Entwurfsprojekt als Bachelorthesis, in dem beide Gebäude nicht nur zum Tagungshaus umgeplant, sondern auch die Kosten für den Umbau ermittelt wurden. Das Entwurfsprojekt führte zu der Entscheidung, sich weiter mit dem Schloss Wiehe zu befassen. Das Schloss ist zwar entschieden die größere, kostspieligere Variante, aber es hat wesentliche Vorteile, die darin liegen, dass

  • die Stadt Eigentümerin bleibt,
  • kein akuter Handlungsbedarf besteht, denn die Hülle ist intakt,
  • Teile des Schlosses in Erd- und Untergeschoss bereits saniert und nutzbar sind (Speisesaal, Hochzeitssaal, Gewölbekeller, Küche, WCs),
  • durch die 2016 fertiggestellte Autobahn A71 die Anbindung verbessert wurde.

Die Stadt Wiehe befindet sich im „Dreiländereck“ Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt. Sie liegt 60 Kilometer nordöstlich der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt und ist mit dem Auto in 40 Minuten erreichbar. Nach Halle und Göttingen fährt man etwa genauso lange. Wiehe liegt zwischen dem Kyffhäuser und dem Naturschutzgebiet Hohe Schrecke am Rand des breiten Unstruttales. Nicht weit entfernt liegen Rossleben mit der Klosterschule, Nebra mit der Himmelsscheibe und Freyburg mit seinen Weinbergen. Es ist ein netter, verschlafener, stellenweise malerischer Ort, der außer einer überregional bekannten Modelleisenbahn, zwei Supermärkten, einer Kneipe und einem Baumarkt ein Rathaus zu bieten hat, in dem eine bemerkenswerte Bürgermeisterin sitzt, die mit Energie und Geschick, dem gemeinsamen Vorhaben die Türen aufhält.

Das Schloss, einst im Besitz der Freiherren von Werthern-Wiehe geht auf eine Burgsiedlung aus dem 11. Jahrhundert zurück. Seine heutige barocke Form entstammt dem 17. Jahrhundert und wurde im 19. Jahrhundert geringfügig verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Besitzer enteignet und aus dem Schloss eine Schule. Mittlerweile hatte sich eine Steuerungsgruppe aus Professorinnen und Professoren verschiedener Fakultäten und der Hochschulleitung gebildet, die den Prozess begleitete und schließlich zu der Gründung des Vereins Landlab Schloss Wiehe e.V. führte. Damit waren wir handlungsfähig.

Es folgten weitere Seminare, die sich mit der Gestaltung des Parks (Prof. Schwarzkopf, Landschaftsarchitektur), des Inspektorenhauses und den Gästezimmern im Schloss befassten. Parallel dazu wurde eine Nutzungsstudie erarbeitet (Prof. Schwarz, Wirtschaftswissenschaften), aus der sich ergab, was man ahnen konnte: nämlich, dass eine ausschließliche Nutzung durch die Hochschule wirtschaftlich nicht darzustellen ist.

Die Planung konkretisierte sich, das Angebot wurde vielfältiger:

  • im Erdgeschoss sollen auch künftig Küche und Gesellschaftsräume sein,
  • im 1. Obergeschoss Seminarräume sowie Toiletten und Sammelduschen, sodass die Räume auch zur Unterbringung der weniger komfortverwöhnten Gäste tauglich sind,
  • im 2. Obergeschoss sollen künftig kleinere Einzel- und Doppelzimmer für Tagungs- oder Hotelgäste untergebracht werden.

Dabei ist das Konzept so flexibel, dass es als Tagungshaus, als Hotel ebenso wie für die Unterbringung von betreutem Wohnen oder zur Unterbringung von Migranten taugt.

Zunächst schaffte der Verein 20 Feldbetten und zwei Duschen an. Damit war das Übernachten im Schloss möglich. Ein erster Workshop „Clearing Out“ mit Architekturstudierenden machte an einem staubigen Maiwochenende klar Schiff im Schloss und füllte mehrere Container mit Bauschutt. Beim Schlossparkpicknick im Frühsommer wurde die Öffentlichkeit informiert, integriert und um Ideen gebeten, die in das Konzept einflossen.

Sowohl die Gemeinde als auch der örtliche Förderverein unterstützen das Projekt mit Nachdruck und Tatkraft. Selbst die ehemaligen Eigentümer sind vom Nutzungskonzept überzeugt. Ein Kooperationsvertrag zwischen der Hochschule und der Stadt Wiehe wurde kürzlich unterzeichnet. Dabei ist geplant, interfakultativ dem Projekt und der Gemeinde zur Seite zu stehen. Mit diesem Netzwerk leistet die Hochschule einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung und Entwicklung der strukturschwachen Region.

Nebenbei wurden erste antike Möbel bei der Aktion „Erben und Leihgeben“ angeliefert und drei Salons im 1. Obergeschoss, wenn schon nicht authentisch, so doch stilgerecht eingerichtet. Am neuen antiken Flügel im Speisesaal fanden bereits erste Konzerte statt.

Weniger stilgerecht zeigten sich die Entwürfe für das erste Gästezimmer des künftigen Tagungshauses. Im letzten Semester befassten sich drei Architekturstudierende in ihrer Bachelorthesis mit dem Thema „Musterzimmer Vol. 1“.

Innerhalb des genannten Konzeptes war der geeignete Raum im Schloss zu finden, ein tragfähiges Konzept zu entwickeln und dieses bis zur Baureife durchzuplanen. Während die Komplexität der Entwurfsaufgabe der eines Erstsemester-Stegreifs entspricht, waren die Anforderungen an die Ausarbeitung naturgemäß hoch. Elektro- und Sanitärplanung, Möblierungs- und Beleuchtungskonzept waren inklusive einer dezidierten Bauanleitung, zuzüglich Kostenschätzung und Ablaufplanung in nur sechs Wochen zu erarbeiten. Es folgte die Auswahl eines Konzeptes, das für die Realisierung anstand. Die Wahl fiel auf das Konzept von Nick Gemmecke, einem sideboard-artigem Möbel, das den schmalen Raum längs begleitet. In ihm sind sämtliche Funktionen integriert: Schlafen, Aufbewahren, WC, Dusche und Waschbecken und zwar so, dass man sie bei Bedarf auf- und zuklappen kann.

Allerdings entspricht dieses Konzept nicht den allgemeinen Vorstellungen vom Kurzzeitwohnen. Zwar hat man sich daran gewöhnt, dass Waschbecken nicht mehr in der Nasszelle zu finden sind, dass Badewannen im Schlafbereich frei herumstehen und dass das Duschen in einer Art Schaufenster zelebriert wird, aber die Toilette offen im Raum? Das geht vielen denn doch zu weit und erinnert stark an die Möblierung von Gefängniszellen, wenn auch auf anderem Gestalt-Niveau. Das Konzept setzt dem Trend quasi die Krone auf und facht die Diskussion an, wie viel Diskretion der Mensch vor sich selbst und seinen Körperfunktionen braucht, denn schließlich handelt es sich hier um ein ausgewiesenes Einzelzimmer.

Begrüßt wurde der zurückhaltende Umgang mit dem Baudenkmal durch die am Entscheidungsprozess beteiligte Denkmalbehörde, weil die Eingriffe in die Bausubstanz sich auf ein Minimum reduzieren ließen: Alle Leitungen laufen im Möbel. Fördermittel von 5.000 Euro waren inzwischen akquiriert. Allerdings zeigte die Schätzung, dass diese sehr knapp werden würden. Deshalb kümmerte sich einer der Studierenden erfolgreich um Sponsoren. Immerhin gut 3.000 Euro wurden auf diese Weise in Form von Materialspenden eingeworben.

Mitte Dezember war Baubeginn für das Musterzimmer. Der erste Arbeitsschritt sollte das Herausbrechen der Tür sein, um das Zimmer an den umlaufenden Flur anzubinden. Angst vor der Denkmalbehörde führte bereits am ersten Tag zu einem frustrierenden Baustopp und zur ersten Umplanung. Es folgte die Reparatur der lückenhaften alten Dielen. Dann wurde die Trockenbauwand gesetzt und gespachtelt, der Boden abgeschliffen und versiegelt. Schließlich wurde in der Werkstatt der Hochschule der Möbelkorpus gebaut. Dabei gab es fachliche Unterstützung von den dortigen Meistern und Studenten mit abgeschlossener Tischlerlehre. Parallel wurden erfolgreich Sponsoren gesucht für Sanitärobjekte, Armaturen, Heizung, Elektro-Schalterprogramm, Leuchten und Klobürste. Der größte Posten war die wasserfeste Oberfläche aus HIMacs, die uns zum halben Preis zur Verfügung gestellt wurde. Dazu wurde ein Workshop veranstaltet, bei dem den Studierenden die sachgerechte und fugenlose Verarbeitung vorgeführt wurde.

Inzwischen war der Raum gestrichen und soweit vorbereitet, dass der Einbau erfolgen konnte. Der örtliche Installationsbetrieb (Fa. Bigeschke) unterstützte die Studierenden wo möglich. Bald war eine Werkstatt im Nebenzimmer eingerichtet, wo die Studierenden rund um die Uhr arbeiteten. Die Heizung war bereits angeschlossen, denn im alten Gemäuer wurde es zusehends kälter, die Anschlüsse für Frisch- und Abwasser waren durch den stillgelegten Kamin gelegt. Richtig eng wurde es am Wochenende vor der Abgabe. Die Gasdruckfedern, die das Bewegen der Klappen erleichtern sollten, waren zu stark, so dass die Scharniere auszubrechen drohten und das Waschbecken war beim Transport verschollen. So musste kurzfristig Ersatz besorgt werden. Die Matratze kam einen Tag vor der Präsentation. Das Bettzeug brachten die Professoren zu den Kolloquien mit.

Das Interesse war enorm: Zu den Kolloquien erschienen über 50 Zuhörer, Einheimische, Studierende und Sponsoren sowie der Rektor der Hochschule. Auch wenn bei dem Projekt der Entwurf nicht im Vordergrund stand, so haben alle Beteiligten ein Höchstmaß an Lerneffekten mitgenommen und: Das Musterzimmer blieb sowohl im Kosten- als auch im Zeitrahmen. Noch ein positiver Effekt: Das „Abgabemodell“ verstaubt nicht zu Hause im Regal, sondern wird künftigen Nutzern zur Verfügung stehen.

Themenstellung: Prof. Yvonne Brandenburger, Prof. Joachim Deckert, Fakultät Architektur und Stadtplanung, Fachhochschule Erfurt
Konzept: Nikolai Gemmecke, BA
Bearbeitung: Lisa Erbe, BA, Nikolai Gemmecke, BA, Jan-Philipp Küsters, BA
Praxispartner: Frank Bigeschke, Wiehe
Tischler: Matthias Staudt, Marc Kratzer, Mark Winnefeld (Studierende), Fa. Haftung, Donndorf
Elektro: Johannes Glasser, Franziska Brandenstein (Studierende), Fa. Severin, Wiehe
Heizung/Sanitär: Fa. Bigeschke, HLS, Wiehe
Förderer: Thüringer Ministerium für Justiz, Migration und Verbraucherschutz, Velux, Landlab Schloss Wiehe e.V.
Sponsoren: Klöpferholz, Artemide, HansGrohe, Villeroy&Boch, Ideal Standard, JUNG, Matrazzo, Sanit, Fa. Bigeschke

veröffentlicht am 08.03.2018 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News

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