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Rede Axel Lohrer, Teil 1

Thüringer Architektentag 2002

He leapt the fence and saw
That all nature was a garden

Er übersprang den Zaun und sah,
dass die ganze Welt ein Garten ist

Horace Walpole


Gärten – der letzte Luxus unser Zeit ?

Vortrag anlässlich der Verleihung des Thüringer Landschaftsarchitekturpreises zum Thüringer Architektentag
Erfurt 11. Okt. 2002

Luxusgut „Garten“

Sehr geehrter Herr Staatsekretär, Sehr geehrter Herr Präsident, Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Kollegen,

als erstes möchte ich mich für die freundliche Einladung bedanken, zum diesjährigen Architekentag ein paar Gedanken zu Gärten und Freiräumen ausführen zu können. Für einen Vertreter einer kleineren Fraktion der Kammern – der Landschaftsarchitekten – ist es nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit, so im Rampenlicht zu stehen.

Vielleicht liegt die Einladung darin begründet, dass man sich – einem Blumenstrauß gleichend - zu einer solchen Veranstaltung auch noch etwas Besonderes gönnen wollte, ein klein wenig Luxus. Denn der Garten – so ein Zitat von Dieter Kienast - „ist der letzte Luxus unserer Tage, denn er erfordert das, was in unserer Gesellschaft am seltensten und kostbarsten geworden ist: Zeit, Zuwendung und Raum.“[1]

Und damit sind wir schon beim eigentlichen Problem, einer Diskussion, die seit der Antike anhält, die – gerade in schwereren Zeiten - Luxus als unverantwortliches Laster geißelt und in zurückhaltender Askese den passenderen Ausdruck von sichtbar gewordener Verantwortung sieht.

Derzeit lässt sich doch jedes ungeliebte Projekt allein schon damit beseitigen, dass man es deutlich wahrnehmbar als „Luxus“ tituliert. Spätestens bei der Erwähnung des Wortes ist bei jedem Kämmerer die Entscheidung gefallen. Das Dosier wird beiseite gelegt und der nächste Tagesordnungspunkt aufgerufen.

Denn Luxus, das ist Üppigkeit, das, was über den durchschnittlichen Lebensstandart auffällig hinausgeht. Der Ausspruch – „das ist für mich ein Luxus“ - ist gleichbedeutend mit „das kann ich mir nicht leisten“.

Dies ist angesichts einer stagnierenden wirtschaftlichen Gesamtsituation mit wegbrechenden Gewerbesteuereinnahmen wohl die derzeit vorherrschende Stimmung.

Und trotzdem möchte ich die Zeit hier dazu nutzen – über diesen „Luxus“ zu sprechen und aufzuzeigen, dass es im Gegenteil geradezu notwendig ist, dass wir uns eben diesen „Luxus“ leisten, auch, damit wir uns eine Zukunft leisten können.

Zwischen Stagnation und Wandel

Ökonomisch- struktureller Wandel

Wir befinden uns – inzwischen wohl für alle sichtbar - in einer Phase zwischen Stagnation und Umbruch.

Zum einen ändern sich die Vorstellungen von Arbeit und Produktion - immer effektiver, immer sauberer und mit immer weniger Beschäftigten.

Mit den alten Methoden verschwindet wohl auch endgültig das vertraute Bild der Arbeitermassen vor den Werkstoren und das von rußigen Abgasen und schäumenden Abwässern – und somit auch bisherige Vorstellungen von notwendigerweise getrennten Industrie- und Wohngebieten.

Die gläserne Fabrik in Dresden ist ein beredtes Beispiel dieses neuen Typs von Produktion und dessen neuer Rolle in den Städten.

Der Einsatz von neuen Medien, flexiblere Arbeitszeiten und eine verstärkte Telearbeit lösen zudem die klassische Verbindung von Firmensitz und Arbeitstätte an einem gemeinsamen festen Ort.

Welche Auswirkungen hat es auf unsere Städte, wenn wir aufgrund effektiver genutzter Büroräume nur noch die Hälfte der bisherigen Flächen in unseren Innenstädten vorhalten müssen?

Was bedeutet es für unsere innerstädtischen Verkehrssysteme, die Autobahnringe und breiten Einfallsstraßen, die Parkhäuser und die Straßenbahnen, die unsere Zentren fest im Griff haben, wenn die Spitzen, für die sie konzipiert sind - die Rushhours - nicht mehr stattfinden?

Allein schon hier offenbaren sich zukünftige innerstädtische Flächenreserven, die wir heute noch gar nicht so richtig in unser Kalkül einbezogen, für die wir noch keine Nachnutzung angedacht haben. Sie bergen in sich Potential von Keimzellen neuer innerstädtischer Urbanität wie auch die Gefahr weiterer problembehafteter Brachen.

Dass die Auswirkungen neuer Technologien in unserer Arbeitswelt nicht auf die Städte beschränkt ist, zeigt ein Beispiel in Italien, wo ein seit Jahren aufgelassenes Bauerndorf in reizvoller agrarischer Landschaft voll saniert und verkabelt wurde und mittlerweile beliebter Wohn- und Arbeitsplatz von laptopbestückten Stadtflüchtigen wurde.

Und denken wir an die fast vergesse Diskussion um BSE und Agrarwende. Der Umbau der Landwirtschaft unter Berücksichtigung neuer Technologien und neuer Wertsetzungen steht an – und damit auch der Wandel der bisherigen Bilder agrarischer Landschaften, dem Kern unserer traditionellen Kulturlandschaft.

Wie weit Gedanken dazu führen können, zeigt der provokante Vorschlag des niederländischen Büros MDRV für den Bau von Produktionstürmen für Schweine – neue „agrarische“ Landmarken der kommenden Gesellschaft.

demographischer Wandel

Schon bei gleich bleibender Bevölkerung ist also ein deutlicher Wandel in unseren Städten zu erwarten. Betrachtet man nun zusätzlich die demographische Situation der Bundesrepublik, so wird sich dieser Effekt deutlich verstärken.

Ohne Zuwanderung wird die Bevölkerung in Deutschland bis 2050 um 30 % auf ca. 58,6 Millionen Einwohner schrumpfen. Und das in 50 Jahren, der normalen Abschreibungsdauer von Wohnungsimmobilien! Selbst bei einer Zuwanderung von jährlich 200.000 Personen sinkt die Gesamtbevölkerung um 15 % auf ca. 70, 3 Millionen Einwohner[2].

Und wieweit Zuwanderung überhaupt realistisch ist, lässt sich vor dem Hintergrund des schwachen Zuspruches zur bisherigen „Greencard“ - Lösung und der kontrovers geführten politischen Diskussion wohl kaum vorhersehen.

Sicher jedoch sind deutliche Auswirkungen auf unsere bisherigen Städte, sind sie doch auf den klassischen Aktiven im mittleren Alter zugeschnitten. Denn überlagert man die schrumpfende Bevölkerung mit der zu erwartenden Altersstruktur wird deutlich, dass genau diese bisher dominierende Bevölkerungsschicht gegenüber heute die wesentlichsten Einbußen erfahren wird.

Hier zeigt sich ein gewaltiger Umbruch, dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft und somit auf die gebaute Umwelt wir derzeit nur erahnen können. Der aktuelle Stadtumbau Ost ist hierbei nur Vorbote der auf uns zukommenden Veränderungen.

Städtisch-kultureller Wandel

Angesichts dieser Prognosen sollte ein zukunftsorientiertes Unternehmen seine mittelfristigen Planungen überdenken und passende Neuausrichtungen anstreben. Dies sollte auch für das Unternehmen “Stadt“ gelten, das derzeit jedoch anscheinend weitgehend mit sich selbst beschäftig ist und dessen Bewegungsspielraum mit den kollabierten Finanzen endgültig verloren scheint.

„Nun hat es sogar die Schönste unter den Schönen erwischt, nun ist sogar die Reichste aller Reichen betroffen: die Stadt München ist pleite… bankrott, am Ende“[3]

Mit diesen Worten beginnt ein Artikel von Gerhard Matzig in der Süddeutschen Zeitung, in dem er dem Gedanken nachgeht, ob hinter der kommunalen Finanzkrise in Wirklichkeit eine Kulturkrise steckt.

In einer der reichsten Gesellschaften, die unser Land bisher hervorgebracht hat, offenbart sich eine schwerwiegende Kluft zwischen Individuum und Gemeinschaft.

Obwohl vor den Auswirkungen seit langem gewarnt wurde, führt die mit breiter Zustimmung erfolgte Gesetzgebung zu der allerorts praktizierten Steuervermeidung, insbesondere bei den Unternehmen, die stark von der „ökonomischen wie auch, als Folge und Urgrund…, von der kulturellen Strahlkraft“ der Stadt profitieren.

Matzig weiter: „Aber vermutlich werden die Unternehmensmanager, die Steuergesetzgeber und alle, die diese Auszehrung zulassen, sich erst dann, wenn es längst zu spät ist, an Berthold Brecht erinnern. Von dem stammt der traurigste aller traurigen Sätze über die Städte: „Von diesen Städten wird bleiben, der durch sie hindurchging, der Wind.“…Diese Sentenz verweist auf „… das, was von unserem Leben, von unserer Zivilisation und Kultur bleibt, wenn man sich die Städte einmal wegdenkt: das Nichts.“

So steckt letztlich hinter der Frage, ob und in welchem Maße wir uns unsere Städte leisten können, nichts anderes als die Frage, ob wir uns unser Leben leisten wollen.

Wandel der Profession

Sehr geehrte Damen und Herren,
Architektur – und damit soll sowohl Stadtplanung als auch Hochbau- und Landschaftsarchitektur verstanden sein – ist immer Spiegel der wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Verhältnisse sowie Ausdruck geistig-kultureller Werte. So nimmt es nicht Wunder, wenn sich die derzeitige gesellschaftliche Ambivalenz auch in den Planungsdisziplinen wiederspiegelt.

Betrachtet man die aktuelle Diskussion, so entsteht eher der Eindruck, dass die Probleme von gestern heute noch nicht ausreichend abgehandelt wurden. So wird immer wieder das strahlende Vorbild „europäische Stadt“ zitiert und gleichzeitig offenbart sich eine ausgeprägte Sprachlosigkeit bei Themen wie der wuchernden Zwischenstadt oder der Integration von Großvorhaben, sei es die Ansiedlung von Industrie oder der Bau von Flughäfen.

Wir verdammen amerikanische Modelle vom Stil Celebration City und erlauben in unseren Peripherien das ständige Wuchern der Fertighausagglomerationen - die stark an dieses berühmte kleine gallische Dorf erinnern - und deren Gemeinschaftlichkeit und Eigenständigkeit sich höchstens durch den umschließenden Lärmschutzwall definiert.

Immer noch schlagen normgerechte wie „dringend notwendige“ Verkehrsprojekte irreparable Breschen in unsere Städte und Landschaften, werden Flüsse ausgebaut und Flächen versiegelt in Erwartung einer neuen Welle des wirtschaftlichen Aufschwungs.

Stadtumbau Ost erscheint in diesem Zusammenhang eher als kurzfristiges Intermezzo, als zwangsweise eingeschobene Auseinandersetzung mit noch verbliebenen DDR-Hinterlassenschaften, vor dem nächsten Durchstarten.

Immer noch bestimmt eine ausgeprägte Wachstumsgläubigkeit unser Denken und Handeln und macht uns dabei blind für das Denken in anderen Kategorien und somit für die anstehenden Herausforderungen.

Die strukturellen Umbrüche wurden bereits skizziert. Wir haben immer noch nicht die real-ökonomische Entwicklung verinnerlicht, wir wollen immer noch nicht sehen, dass wir einer langen Ära des Rückbaus entgegengehen.

Wir weihen heute noch Projekte ein, die wir morgen rückbauen werden - Gewerbegebiete, Büroparks, Einkaufszentren, Wohnsiedlungen, Stadtautobahnen.

Im ungebrochenen Fortgang unserer bisherigen Denkschemas investieren wir so immer noch in Vorhaben, die morgen obsolet sein werden und verspielen damit die Zeit und das Kapital, die wir dringend benötigen, um kreativ nach vorne zu denken und dem Wandel begegnen zu können.

Bisher haben wir noch keine ausreichenden Strategien entwickelt, wie wir diese entstehende Mischung aus vereinzelt stabilen, vielleicht sogar weiterhin wachsenden Kernen inmitten großflächig schrumpfender Regionen verstehen und gestaltend bewältigen können.

Betrachtet man dieses Verhalten einer an sich doch vorausblickenden planenden Zunft, so stellt sich die Frage, ob diese zu beobachtende Lethargie vielleicht doch viel tiefer gehende Gründe hat.

„Wir befinden uns“ – so Wolfgang Welsch in einem interessanten Vortrag auf dem Kongress zur Baukultur in Köln – „ was unsere gebaute Umwelt angeht, in einer Situation der Ernüchterung und Ratlosigkeit. Die hehren Modelle der älteren und neueren Moderne haben sich, gelinde ausgedrückt, nicht als zielführend erwiesen.

Die Resultate sind nicht wie erhofft. Statt besserer Städte haben wir allenfalls mittelmäßigere geschaffen. Und die Klagen darüber werden jeden Tag stärker. …..

Der utopischen Hoffnungen von einst müde geworden, will man dann nur noch das Tagesgeschäft anständig meistern. Aber nicht einmal das will noch gelingen.“ „Man spürt, dass die alten Rezepte nicht mehr weiterhelfen. Man weiß, dass wir eine neue Orientierung bräuchten. Aber niemand hat sie. Nur fühlen wir, dass sie notwendig wäre.“[4]

Karl Ganzer unterstreicht diese These, die nicht mehr und weniger sagt, „ als dass die Moderne gescheitert ist. Sie ist gescheitert, weil sie es abgelehnt hat, nicht nur eine historische, sondern eine evolutionäre Rückbindung der menschlichen Natur zu akzeptieren.“[5]

Folgt man dieser These vom Scheitern der Moderne, so offenbart sich, dass die zu lösenden Probleme viel tiefer liegen, dass wir nicht nur unser auf Wachstum begründetes Tätigkeitsfeld verloren haben, sondern uns darüber hinaus - mit der Moderne - unser bisher unumstößliches gedankliches Fundament abhanden gekommen ist.

Lösungsansätze sind also viel weitgreifender zu suchen. „Denn wenn wir überhaupt eine Neuorientierung finden wollen, dann werden wir uns dafür von alten Denkmustern befreien und zu diesem Zweck erst einmal der Grundvorstellungen gewahr werden müssen, die unseren Bemühungen bisher zugrunde lagen und die sich, so selbstverständlich sie schienen, doch als kontraproduktiv erwiesen, uns beharrlich in die Irre geführt haben.“[6]

Ansatz zum Wandel

Wettbewerb

Städte und Regionen unterliegen derzeit schon einem immer härter geführten Wettbewerb um Kapital und vor allem um qualifizierte und motivierte Menschen – „human kapital“ - als Grundlage zukünftiger Entwicklungen. Je schneller die technologische Entwicklung fortschreitet und je deutlicher die demographischen Veränderungen bemerkbar werden, desto entscheidender werden die weichen Standortfaktoren als Nährboden dieses „Human Kapital“.

Weiche Standortfaktoren wie Kultur, Bildungswesen, Freizeitqualität und innerstädtische Freiräume werden so zunehmend entscheidender, werden Teil der harten Faktoren bei der Bewertung der Rentabilität von eingesetztem Kapital und damit der Zukunftsfähigkeit eines Standortes.

Im Kleinen lassen sich die zu erwartende Wanderung und somit die ihr zugrunde liegenden Präferenzen schon gut beobachten. Der derzeitige mieterorientierte Wohnungsmarkt ostdeutscher Städte ist ein lesbares Beispiel einer innerstädtischen Abstimmung mit den Füssen über die notwendigen Qualitäten. Das Bild lässt sich leicht auf die Ebene von Städten und Regionen übertragen - und das in einem geeinten Europa mit offenen Grenzen und gemeinsamer Währung. Städte wie beispielsweise Erfurt müssen sich daher nicht nur mit Magdeburg oder Chemnitz vergleichen lassen, sondern stehen auch in direkter Konkurrenz zu Klagenfurt, Sevilla, Orleans oder Kopenhagen, also auch in Konkurrenz zu Alpen, Kastagnetten, Haute Cuisine oder Ostseenebel.

Und plötzlich ist sie wieder notwendig, jene „kulturelle Strahlkraft“ von der Matzig schreibt, jene Summe an individuellen Besonderheiten und öffentlichen kollektiven Treffpunkten, die sich so nachhaltig in unser Gedächtnis schreiben und die wir in der heutigen Diskussion so leichtfertig aufs Spiel setzen – Opern und Museen, Freibäder und Bibliotheken – und all die kleinen Nischen und Plätze, Gärten und Parks.

Wir laufen Gefahr, mit diesen Trägern der „kulturellen Strahlkraft“ die entscheidenden Alleinstellungsmerkmale unser Städte und Regionen für die weitere Entwicklung und damit unsere Zukunft zu verlieren.

Neuausrichtung

Meine Damen und Herren,
Wir sollten uns bald über die Frage klar werden, welches Leben wir uns leisten wollen, wenn wir ein Mindestmaß an Handlungsmöglichkeiten erhalten möchten. Abhängig von der derzeitigen Prosperität einer Kommune haben wir vielleicht noch 10-20 Jahre Eigentumsbildung in der Gesellschaft zu erwarten und somit ebenso lang gestalterischen Spielraum im klassischen Sinn.

Eine kommende Gesellschaft der Erben benötigt keine Neubaugebiete mehr, denn sie werden mehr Häuser haben, als sie bewohnen können; sie machen sich keine Gedanken über neue Theater, sie ziehen dahin, wo die schönsten schon da sind; sie müssen keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen, können sich so zunehmend schöngeistigere Betätigungsfelder – Malerei, Literatur oder Gärten - suchen. Eine Entwicklung, die Sie beispielsweise in der Gesellschaft des viktorianischen Großbritannien gut studieren können. In dieser Zeit liegt übrigens ein Fundament für die noch heute zu beobachtende Gartenkultur im Land mit einem breiten gesellschaftlichen Konsens begründet.

Die Geschichte zeigt einprägsam, dass letztendlich immer die verharrenden Strukturen von den beweglicheren übertrumpft wurden.

Machen wir uns die bevorstehende Entwicklung zunutze.

Setzen wir weiterhin auf die Stadt als Keimzelle unseres gemeinschaftlichen wie kulturellen Zusammenlebens, so kann es also nicht genügen, nur auf eine Reform der kommunalen Finanzausstattung zu hoffen. Es gilt grundsätzlich die Perspektive zu ändern, sich von den Gedanken von gestern und kurzfristigen Ausrichtungen zu lösen, um sich schneller und weitgreifender auf den sich abzeichnenden Wandel vorzubereiten. In breitem Konsens müssen vorhandene wie zukünftige Potentiale und Alleinstellungsmerkmale erkannt und deutlich herausgearbeitet, Prioritäten neu gesetzt und somit die noch verbliebenen Spielräume zielgerichteter genutzt werden.

Ich will hier einer anstehenden Diskussion nicht vorgreifen. Sicher jedoch ist, dass sich bei der Definition der zukünftigen Stadt das Verhältnis zwischen Gebautem und Freiräumen deutlich verschieben wird – und das nicht nur flächenmäßig, sondern vor allem auch inhaltlich.

Die Stadt wird weiterhin auch bei stagnierendem Wachstum größere Flächen verbrauchen, geringere Dichte aufweisen und deutlich mehr freie Restflächen zwischen den einzelnen Nutzungen gewinnen. Städte werden so mehr und mehr ihre klassischen Konturen verlieren. Durch die Zunahme des Scheinöffentlichen, durch die überall erkennbare Verlagerung von der konzentrierten Innenstadt in die Weitläufigkeit der „Zwischenstadt“, durch den immer deutlicher sichtbar werdenden inneren Zerfall des bisher Dichten als Folge der zu erwartenden Schrumpfung übernimmt der nun vermehrt entstehende Freiraum eine immer wichtiger werdende Rolle für die kommunale Wiedererkennung, für das gemeinschaftliche Leben und somit für die Selbstdefinition einer Stadt.

Wir werden in Zukunft mehr als genügend bauliche Substanz haben. Wir werden uns nicht mehr mit Neubauten beschäftigen, sondern mit Anpassen, Fortschreiben und Umbauen, dort, wo schon soviel vorgebaut wurde.

Trotzdem werden auch baulich definierte Raumkanten, bisheriger Rahmen städtischer Freiräume, zunehmend in Frage gestellt, sie lösen sich teilweise auf und können sogar ganz verschwinden.

Öffentliche Neubauten, tradierte Zeichen kommunalen Selbstbewusstseins und Zukunftsbekenntnis, werden angesichts geänderter Finanzierungsmodelle, notorisch leerer Kassen und rückläufiger Bevölkerungszahlen immer seltener geeignet sein, die für Städte doch so wichtigen gemeinschafts- wie identitätsstiftenden besonderen Bilder und Zeichen zu formulieren.

So verbleibt der öffentliche Freiraum, will man auf den Ausdruck örtlicher Identität, Individualität und Zusammenhalt nicht verzichten.

Dieter Kienast schreibt dazu: „Platz und Park sind prädestinierte Orte des öffentlichen Lebens. Im verbreiteten Intimitätskult unserer Gesellschaft stellen sie die Res publica zwar nicht her, aber ermöglichen diese im günstigen Fall und stehen für das Versprechen einer zukünftigen Gesellschaft, die wieder mehr Gemeinsamkeit entwickelt“.[7]

[1] Dieter Kienast: Stadt und Natur, in Archithese 4/ 1997
[2] DASL: Vorbericht zur Jahrestagung 2002, Berlin 2002
[3] Gerhard Matzig: Das Unternehmen Stadt; Süddeutsche Zeitung 26.07.2002
[4] Walter Welsch: Orte des Menschen?; Köln 2001
[5] Karl Ganser: Wir müssen uns mehr zumuten; Köln 2001
[6] Walter Welsch: Orte des Menschen?; Köln 2001
[7] Dieter Kienast: Stadt und Natur, in Archithese 4/ 1997

veröffentlicht am 14.10.2002 von Susann Weber · Rubrik(en): News, Berufspolitik / Kammerarbeit

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