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Rede Dr. Bernhard Vogel

Thüringer Staatspreis 2002 für Architektur und Städtebau

Rede des Thüringer Ministerpräsidenten Dr. Bernhard Vogel
Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau 2002
am 16. September 2002, „Funktionsgebäude“, Thüringer Landtag, Erfurt


Verehrte Damen und Herren Parlamentarierinnen und Parlamentarier,
verehrte Kollegen Trautvetter und Köckert,
Herr Präsident der Architektenkammer,
verehrte Preisträger,
meine Damen und Herren Präsidenten und Rektoren,
meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich freue mich, dass der „Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau 2002“ hier im Landtag verliehen werden kann. Es ist wohl der passendste Ort, den man sich für diese Veranstaltung vorstellen kann: Es geht um die Auszeichnung herausragender öffentlicher Bauten. Und ein öffentlicheres Gebäude als das Parlamentsgebäude kann man sich wohl nicht denken. Deswegen danke ich der Frau Landtagspräsidentin, dass wir hier sein dürfen.

Architektur verbindet bekanntlich viele Künste. Ich glaube deswegen, dass die anwesenden Architekten mit dem Maler Klecksel von Wilhelm Busch vertraut sind. Zum Thema Architektur heißt es da: „Mit Baulichkeiten ist es mißlich, / Ob man sie schätzt, ist ungewißlich.“ In der Tat, zumindest bis zur Preisauszeichnung. Wir sind heute hier, um einigen unter Ihnen die Gewissheit zu geben, dass ihre Baulichkeiten hohe und höchste Wertschätzung genießen.

Der Thüringer Staatspreis ist ein Lob für Architekten und Bauherren. Er ist aber ein Lob in Form einer Kritik, und ich danke allen, die sich um den Staatspreis beworben haben – für den Mut, sich dieser Kritik von acht hochkarätigen Juroren auszusetzen.

Herr Trautvetter hat es gerade schon gesagt, 33 Architekturbüros und Bauherren haben den Mut aufgebracht und haben 39 Arbeiten eingereicht. Das ist eine hohe Beteiligung, die mich freut und die zeigt, dass die Bereitschaft zum fachlichen Disput groß ist.

„Sich immer [nur] selbst treu bleiben, ist eine beliebte Devise für Gewohnheitsmenschen“, hat Le Corbusier einmal formuliert. Architektur braucht – neben Sachverstand – Innovation, Kreativität und Fortschritt, vor allem neue Lösungen, an denen sich die einen orientieren und an denen sich andere reiben und über die sich wieder andere ärgern.

Ohne die fachliche Auseinandersetzung, ohne Hinterfragen wird Architektur in der Tat zur Gewohnheit, und kann nicht mehr – wie der berühmte Architekt Rudolf Schwarz, der auch am Wiederaufbau der Frankfurter Paulskirche entscheidend beteiligt war, es gefordert hat – „die Dynamik der Geschichte mit einbauen“.

Wir sind weit davon entfernt, für die Ewigkeit zu bauen. Aber, dass Architektur Ausdruck der Zeit, Ausdruck unserer Zeit sein soll, dass zu einer Bautradition auch Neuanfang gehört, davon sollten wir nicht abrücken. „Badewannen und Spülmaschinen“ dürfen nicht die einzigen Reste sein, die unsere Kultur für künftige Generationen identifizierbar machen. Frank Lloyd Wright hatte das befürchtet und hat mit seinem architektonischen Werk dieser Gefahr selbst entgegen gewirkt.

Architekten wie er – und gerade in Thüringen ließen sich eine Menge Namen von großen Architekten nennen – sind die eigentlichen und herausragenden Schöpfer von Baukultur. Der Staat selber hat keine „kunstschöpferische Kraft“. Theodor Heuss hat das einmal so ausgedrückt. Aber der Staat nimmt, da er sich als Kulturstaat begreift, auch in diesem Bereich eine Verantwortung wahr. Sie besteht vor allem darin, dem Guten und dem Besten eine Chance zu geben und hohe Qualität zu fördern. – Der Staatspreis ist ausdrücklich ein Mittel dazu.

Wir haben allen Anlass, neben den Architekten und Bauherren, die nachher ausgezeichnet werden, auch denjenigen zu gratulieren, die diesen Preis ausloben – dem Thüringer Finanzministerium, aber auch dem Innenministerium und der Architektenkammer Thüringen. Denn die in diesem Jahr eingereichten Arbeiten weisen – wie man mir sagt – ein außerordentlich hohes Qualitätsniveau auf. Erkennbar wird das unter anderem daran, dass es zwar wieder nur einen Sieger gibt, aber sich immerhin die Juroren einig waren, acht Anerkennungen auszusprechen – doppelt so viele wie im Vorjahr.

In der Qualität liegt die Zukunft der Architektur in Thüringen, aber auch die Zukunft der Thüringer Architekturbüros. Ich freue mich, dass nicht weniger als 19 Wettbewerbsteilnehmer aus den jungen Ländern kommen, natürlich darunter auch aus Thüringen selbst. Und es freut mich, dass sich Thüringer Büros bei Architektenwettbewerben und Verhandlungsverfahren im Lande immer stärker durchsetzen – zum Beispiel bei der Polizeischule in Meiningen, der Fachhochschule in Nordhausen oder bei der Sanierung von 19 Schulen im Rahmen unseres Schulbausonderprogrammes.

Die Thüringer Büros sind konkurrenzfähig. Sie sind inzwischen – zum Beispiel mit einer CAD-Ausstattung von 80 Prozent – westlichen Büros in manchen Bereichen sogar überlegen. Und was manchen Bauherren besonders interessieren wird: Der Finanzminister sagt mir, dass Thüringer Büros besonders kostentreu arbeiten. Und das freut natürlich den Finanzminister – vor allem wenn es um öffentliche Bauten geht!

Es ist nicht zu verstehen, dass Thüringer Büros zum Beispiel in Sankt Petersburg, in Minsk, in Moskau anspruchsvolle Klinikbauten errichten, aber in den alten Ländern bisher nur wenig Chancen bekommen haben, an Aufträge zu kommen. Darauf müssen wir, glaube ich, in der Zukunft verstärkt achten.

Das falsche Bild der „Platte“ ist in Westdeutschland in vielen Köpfen noch immer prägend, obwohl hier in Thüringen – wie jeder weiß – großartige Neubauten etwa im Hochschul-, Gewerbe- und Wohnungsbau entstanden sind. Das wird seit zwölf Jahren praktiziert und wir knüpfen damit natürlich – manchen Bauten, wie etwa der Vertretung des Landes in Berlin, sieht man das auch an – an die Bauhaustradition an.

Wir müssen uns engagieren, damit wir auch im Westen konkurrenzfähig sind, und deswegen begrüße ich die Initiative der Architektenkammer Thüringen, die Thüringer Stiftung Baukultur zu begründen. Denn sie will mehr Bewusstsein dafür schaffen, dass wir eine qualitätvolle Architektur, dass wir Landschaftsarchitektur, Städte- und Regionalplanung und Denkmalpflege betreiben und konkurrenzfähig betreiben wollen.

Wir müssen das weiter fördern und wir müssen die Chancen für den Export von Dienstleistungen weiter erhöhen. Jeder weiß, dass man Produkte exportieren kann, nicht alle wissen, dass man auch Dienstleistungen exportieren kann. Und ich habe die vorsichtige Mahnung, auf Auslandsreisen auch einmal Architekten oder Theaterintendanten mit in die Wirtschaftsdelegation zu nehmen, sehr wohl verstanden.

Die gegenwärtige Konjunkturschwäche wirkt sich in der Bauwirtschaft natürlich vor allem hier in den jungen Länder nachteilig aus. Dass der Boom der frühen 90er Jahre nicht auf alle Zukunft fortdauern könne, das haben wir gewusst. Aber was gegenwärtig geschieht, geht eben über eine schrittweise Normalisierung, die nötig ist, leider hinaus.

Wir haben es zwar mit vereinten Kräften geschafft, das Tariftreuegesetz abzuwenden, und wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass die Regelungen für eine verbesserte Zahlungsmoral verschärft werden. Aber das allein reicht nicht aus. Sie wissen: Ich habe vor viel mehr als Jahresfrist ein „Sonderprogramm Ost“ empfohlen. Ein Teil davon ist übrigens aufgegriffen worden, das will ich ausdrücklich sagen. Das Bundesprogramm Stadtumbau Ost ist ein Anfang, aber es ist noch keine ausreichende Antwort auf die Herausforderungen des Wohnungsmarkts. Die Finanzierung ist problematisch, weil eben nicht nur zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, sondern weil auf der anderen Seite rund 50 Millionen Euro aus der Städtebauförderung Ost umgelenkt worden sind – also nur für anderes verwendet werden können, aber nicht hinzukommen.

Und die Umsetzung des Programms wird darüber hinaus dadurch in Frage gestellt, dass Kommunen und Länder die Ausgaben zu einem erheblichen Teil mit finanzieren müssen und dabei Schwierigkeiten haben: Bei Abrissmaßnahmen sind es Mittel in gleicher Höhe, bei der Aufwertung von Stadtquartieren beträgt der Anteil sogar zwei Drittel. Auch wenn wir bis zur Stunde stolz darauf sind, dass wir noch keine einzige Mark und erst recht keinen einzigen Euro an Bundesförderung haben verfallen lassen müssen, so ist doch angesichts der Haushaltssituation das nicht für alle Zukunft zu garantieren.

Und im Übrigen wiederhole ich meine Anregung zur Verbesserung der kommunalen Infrastruktur, eine Pauschalleistung an die Kommunen zu geben, um ihre Investitionsfähigkeit nicht völlig zum Erliegen kommen zu lassen.

Architektur bestimmt unsere Umwelt, die Landschaft, die Arbeitswelt, die Lebens- und Wohnqualität. Von Carlo Schmid, einem der Väter unserer Verfassung, stammt der Satz: „Demokratie hat den Auftrag, das Zusammenleben zu vermenschlichen.“ Wer könnte dazu ein wichtigeren Beitrag leisten als die Architekten?

Wenn ich die Begründung für den vierten Thüringer Staatspreis lese und wenn ich das richtig verstehe, dann liegt die wichtigste Leistung des Siegerbüros „KBK Architekten Belz, Kucher, Lutz“ darin, dass es aus einem „Unort“ – wie es in der Urkunde heißt – wieder einen Raum gemacht hat, der sich städtebaulich einfügt, und in dem sich die Menschen wohl fühlen können, selbst wenn es sich um ein Justizzentrum handelt. Der Gedanke von moderner Bürgernähe sei, so wird in der Urkunde gesagt, architektonisch umgesetzt. Wenn das gelungen ist – und bei der Kompetenz der Jury gehe ich davon aus, dass das der Fall ist –, dann ist Beachtliches gelungen, und es ist richtig, wenn es heißt: Das Justizzentrum ist ein „Gewinn für Meiningen und Thüringen“.

Ich gratuliere natürlich den Architekten, aber ohne Bauherrn gibt es keinen Architekten, der seine Architektur verwirklicht. Innovation und Fortschritt hängen auch von den Bauherren ab. Deswegen richtet sich der vierte Thüringer Staatspreis eben auch an die LIVIDA MOLARIS Grundvermarktungsgesellschaft, die diesen Bau erst ermöglicht hat.

Meinen Glückwunsch auch an die Stadt Meiningen, die in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal mit einem preisgekrönten Gebäude glänzen kann. Wenn das so weiter geht, wird es zum Architekturmekka in Thüringen. Eine Perspektive, die anspornen soll.

Und natürlich geht mein Glückwunsch ebenso an die zusätzlichen Anerkennungen, die ich jetzt nicht im Einzelnen nennen will, hierher nach Erfurt, nach Schmalkalden, nach Ilmenau, nach Weimar und nach Jena.

Und unter ihnen ist, auch das möchte ich ausdrücklich erwähnen, das Mehrzweckgebäude Trinkwasserzweckverband Leinefelde „Oberes Leinetal“ vom Architekturbüro Ottmar Stadermann mit dem Bauherren „Trinkwasserzweckverband Leinefelde“. Man hört immer gerne Gutes von Trinkwasserzweckverbänden, darum wollte ich das ausdrücklich nennen.

Die Preise dienen dazu, öffentliche Anerkennung und öffentliche Würdigung vorzunehmen und die Preisträger, aber auch die, die diesen Preis noch nicht errungen haben, zu neuen Leistungen anzuspornen. Dieser Ansporn ist wichtig, denn auf kreative Architekten und innovationsfreudige Bauherren können wir nicht verzichten! Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen, die sich beteiligt haben. Wenn sich nicht 39 beteiligt hätten, dann könnte sich nicht einer über die Maßen freuen, dass er Sieger ist. Wenn sich nur der Sieger beteiligt hätte, wäre das keine Auszeichnung und es soll ausdrücklich die Aufforderung sein, sich je nach Themenstellung, die ja wechselt, zu bewerben und dabei mitzumachen.

Otto Bartning, ein bekannter Architekt, hat einmal gesagt: „Bauen ist ein Abenteuer! Nächst der Liebe und dem Tod das wunderbarste Abenteuer des Lebens.“ Da spürt man so richtig den Architekten heraus. Vielleicht lässt sich durch den Thüringer Staatspreis dieser Enthusiasmus, der aus diesem Satz spricht, die Lust am Abenteuer, die Lust an Innovation und Kreativität noch ein wenig mehr anstacheln. Wenn das gelänge, dann hätte der Preis auch für die Zukunft seinen Zweck erfüllt. Herzlichen Glückwunsch den Preisträgern und den Empfängern der Anerkennung. Es ist noch viel zu bauen im Lande Thüringen. Ich hoffe, dass wir immer Bauträger haben, die das Geld dazu haben, die Architekten zu ermutigen, zu bauen und weiter zu bauen.

Erfreulicherweise hat man nach 100 Jahren Lust, gelegentlich auch ein neues Haus zu bauen. Die Aufgaben gehen auch dann nicht aus, wenn wir alles gebaut haben, was in 40 Jahren zu wenig gebaut worden ist. Eine Ermutigung an alle Architekturbüros in unserem Land!

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veröffentlicht am 22.10.2002 von Susann Weber · Rubrik(en): News

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