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China–Report/ III und Ende

Teil III von Thomas Freytag alias Fu Shuang

Gleichheit ist ein Verhältnis, worin Verschiedenes zueinander steht.
Wilhelm Windelband ( 1848- 1915)


Noch ein kleiner Nachtrag zur Sprache: Wenn Nachrichten nicht gerade "gefaxt" oder "gemailt" werden, sondern traditionell als Brief verschickt, empfiehlt sich die Beschriftung der Empfängeradresse mit chinesischen Zeichen, denn die Post kann in der Regel, das heißt falls es sich nicht gerade um prominente Adressaten handelt, die lateinischen Silben den Zeichen (und Bedeutungen) nicht zuordnen. Nach sechs bis sieben Wochen haben sie Ihren Brief dann wieder auf den Tisch - Herr Li, dem Sie gerade ein Vertragsangebot unterbreiteten, kann auf (mindestens) sieben verschiedene Arten geschrieben werden.
Wir Deutschen sollten uns ohnehin schnell um Fremdsprachen bemühen, denn der Verein Deutsche Sprache hat damit begonnen, die Deutsche Sprache über das Internetportal iBay zu versteigern. Schon nach zwei Tagen wurde die für das iBay - System zulässige Höchstgrenze von zehn Millionen Euro spielend erreicht!

Die Frage, welche in diesem Bericht noch zu klären war, lautete: Was wollen die Chinesen eigentlich von uns? Was erwarten sie? Dass wir, weil wir - Sie erinnern sich - De Guo, das "Tugend - Land" sind und deshalb besonders tugend- oder ehrenhaft?
"Das Interesse an deutscher und europäischer Architektur ist sehr groß und wächst beständig. Westliche Architektur steht für Qualität und Beständigkeit, Investoren nutzen dieses "Qualitätssiegel" für die Werbung zur Besiedelung ihrer Neubaugebiete." - wurden die Leser von "detail" in einem Spezial über Wettbewerbe informiert. Gustave Le Bon hielt 1916 den Deutschen ein "hochmütiges Gefühl der kollektiven Überlegenheit" vor. Es ist sicher weder Hochmut noch Selbstüberschätzung, die zu solchen Aussagen führen und die oft im Feuilleton zu lesen sind. Aber es ist zu einfach.

Es gibt viele Ursachen und Motive für das Interesse: Neugier, uns urlaubsreisenden Exotomanen durchaus vertraute und verständliche Exotomanie, oder die lang währende, selbst gewählte Isolation der Chinesen, der wir andererseits eine unglaubliche kulturelle Kontinuität verdanken, bis zur Eigenart chinesischer Architektur selbst, die, wie viele meinen, einen überentwickelten Eindruck macht. Als hätte man zu lange daran gearbeitet. Auch die klassische chinesische Architektur hat oft mehr dekorative Elemente als dem Haus gut tut. (Gibt es bekanntermaßen hier auch: Zu viel Architektur am Bau!) Die "furchtbare Dekadenz der lateinischen Rasse" (noch einmal: Le Bon) übt demzufolge schon eine gewisse Faszination auf die Chinesen aus- "europäisch" bedeutet z. B. Neoklassizismus, Art Deco , schlimmstenfalls provinziellste Postmoderne ("brutalst - möglich"). Chinesische Investoren und potenzielle Bauherren, die dem Trend nicht hinterher laufen wollen, informieren sich deshalb gern schon mal in Monaco, um Lifestyle- und Architekturinformationen für zukünftige Traumvillen nebst Yachhafen am südchinesischen Meer zu sammeln und zu verinnerlichen.
Konfuzius sagt: "Wer nicht in den Spuren anderer wandelt, kommt nicht ans Ziel" (XI,20).
Der vergleichsweise niedrige Stellenwert der Architektur resultiert auch aus dem bisher niedrigen Stellenwert des Individuums und der Individualität. Das wird sich ändern - nicht nur, weil der Individualismus kreative Potenziale freisetzt, sondern auch, weil z. B. der Starkult, wie wir wissen, in bestimmten Branchen (Mode, Film, Musik...) zum beachtlichen Wirtschaftsfaktor geworden ist.
Die chinesische Architektenausbildung, sehr stark an einer funktionalen Gebäudelehre orientiert, wird sich entsprechend verändern und dafür Sorge tragen, dass "Qualität und Beständigkeit" auch chinesische Gütesiegel werden. Anders als bei technischen Konsumgütern, wo vielleicht die Kenntnis von Konstruktion und des Design hinreichen, um eigene Produktionslinien aufzubauen, braucht Architektur eigene Schulen mit methodischem Wissen und didaktischem Knowhow. Das wird vielleicht zwei bis drei Ausbildungsgenerationen dauern, aber es wird kommen und durch die Auslandsstudenten beschleunigt.
Auch der moralische (besser: amoralische) Aspekt des "Abkupferns" wird spätestens dann erledigt sein, wenn die westliche Welt beginnt, moderne chinesische Ideen für sich zu entdecken. Das ist auch eine Frage des Selbstbewusstseins, des Selbstverständnisses. Die in diesem Zusammenhang oft geäußerten Ängste, dass wir unser Wissen irgendwann in naher Zukunft verbraucht und ausverkauft haben, sind nur begründet, wenn das deutsche Bildungssystem weiter wie bisher verkümmert, wenn Protektion über Leistung steht, wenn Förderung zum "networking" wird. Kein wirklich kreativer Europäer wird ernsthaft bangen müssen, von fernöstlicher Konkurrenz erledigt zu werden. Auch wenn der Eindruck entsteht, "wartend wird man alles erobern" , vergessen wir, dass "cunctando regitur mundi" eine jesuitischer Wahlspruch ist.

Es gäbe noch viel zu sagen. Manches ist nur Vermutung, Spekulation, Interpretation.
Aber: "Was man beiläufig gehört hat, überall weiter erzählen - das ist keine gute Eigenschaft", sagt Konfuzius (XVII,14).

Die Zukunft wird - wie es immer so schön heißt - zeigen, was richtig und was falsch ist. Der eingangs zitierte deutsche Philosoph hat übrigens seine Dissertation zum Thema "Zufall" geschrieben.
Richtig auf jedem Fall ist etwas mehr Bescheidenheit, Rücksicht, Verständnis, Selbstkritik und Einsicht... oder haben wir etwa alle Probleme in den letzten 15 Jahren mustergültig und tugendhaft gelöst?

veröffentlicht am 22.04.2004 von Susann Weber · Rubrik(en): Export, Berufspraxis, News, Export

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