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China-Report/ I

Teil I von Thomas Freytag, Architekt, Weimar, P.A.D.

"Die Tartaren und Persianer heißen es "Kitai", welcher Name auch bis auf den heutigen Tag bei den Russen beibehalten ist. Daß es aber von den Portugiesen, welche durch ihre Schiffahrt bereits vor 200 Jahren dieses Volk und Land bekannt gemacht haben, Sina oder China genannt wird, hat folgenden Grund und zwar vermutet man, daß auch den Portugiesen aus der Sineser Höflichkeit und Zeremonien das Wort "cin" oder "sin", welches soviel bedeutet als "ich bitte, ersuche" oder "lade Euch Herren zu kommen", "cinco" - ich bitte Euch zu sitzen " bekannt wurde. Weilen dann die Portugiesen bei diesen Zeremonien das Wort "cin" oder "sin" so oft in ihren Redensarten observieret, ist nicht zu zweifeln, daß sie das Land dahero Sina genannt haben."
Lorenz Lange ,1716, China - Reisender.

In der Landessprache heißt China"zhong guo", also "Mitte Land". Wir, eurozentriert, sind verblüfft beim Blick auf chinesische Weltkarten : Europa liegt am linken Rand, Amerika am rechten.
Deutschland heißt chinesisch "de guo" ,"Tugendland", das kompensiert natürlich nicht nur die Randlage, sondern verschafft uns, zusammen mit dem Exotenbonus, einen unerwarteten Vorteil!
Das wichtigste Ergebnis der Begegnung vorweg: Wer nach China reist, in eine kulturell und sprachlich rätselhafte, unbekannte Welt, und naturgemäß mit vielen Vorurteilen und Fehlinformationen ausgestattet ist, wird erst einmal mit der eigenen, vernachlässigten Kultur konfrontiert und stellt sich entsprechende Fragen. Diese Selbstbespiegelung wird durch die Exotik sehr verstärkt.

Unser Kontakt entstand vor ungefähr zwei Jahren. Die chinesischen Gesprächspartner, Wirtschaftsleute, hatten kein übermäßiges Interesse an Architektur. Das dennoch und überraschend Kooperationsangebote folgten, hat mit zwei Umständen zu tun: Zum einen haben wir das Wort "Architekturentwurf" durch "Design" ersetzt ("Architekturbüros" heißen in China "Designinstitute", was wir damals noch nicht wussten!) und zum anderen hatte eine kleine Informationsbroschüre mit suggestiven Bildern Neugier und Interesse geweckt, was durchaus unser Anliegen war! Als die WHO Entwarnung vor SARS signalisierte, riskierten wir den Flug nach Xi´an, Hauptstadt der Provinz Shanxi, Thüringens Parterland.
Zwischenstopp in Shanghai und Schock: Es gab kaum Reisende, die wenigen verloren sich in den riesenhaften Terminalhallen des französischen Architekten Andrieu. Die gespenstische, weil menschenleere, an Endzeit- Thriller erinnernde, Szenerie wurde durch, in weißen Vollschutzanzügen steckende und behelmte, also "gesichtslose" Gruppen von Gesundheitskontrolleuren und Fiebermessteams verstärkt. Noch war die Seuche nicht besiegt.

Bei der Ankunft in der alten Kaiserstadt Xi´an, unweit einer noch älteren Kaiserstadt des ersten erhabenen, umstrittenen, vielleicht größenwahnsinnigen Kaiser Shihuang Di, dem China die Reichseinigung (und damit eine einheitliche Kulturentwicklung) und Touristen aus aller Welt die Terrakotta - Armee verdankt. Dieser erste chinesische Kaiser war ein ambitionierter Tyrann, er wollte Herkunft durch Leistung ersetzen, was bei traditionellen Eliten auch vor über zweitausend Jahren nicht wirklich beliebt war, und begann mit dem spektakulärsten Architekturereignis nach den ägyptischen Pyramiden: Dem Bau der chinesischen Mauer.

Am Abend, auf dem Weg vom Flugplatz zum Hotel wurden wir erstmalig mit der unglaublichen Dynamik und Urbanität einer aus den Nähten platzenden chinesischen Metropole konfrontiert - aber auch mit der für Chinesen vielleicht wichtigsten Sache überhaupt: Dem Essen! Das erleichtert die Kommunikation und zeigt uns andererseits: Wir sind doch nicht auf einen sehr weit entfernten Planeten in einem fremden Sonnensystem, sondern auf der Erde.

Die folgenden Tage brachte zwei wichtige Erkenntnisse: Einmal über die Architektur und ein anderes Mal über Architekturbüros!
Die Architektur im Zentrum, an der Peripherie, in den neuen Hightech- Zonen, diese ganzen Superzeichen- Galerien sehen zunächst aus, als wären Heerscharen von Michael- Graves- Klonen durchs Land gezogen um durch schiere Masse vollendete Tatsachen hinsichtlich künftiger Stilbildung zu schaffen. Beim genaueren Hinsehen zeigt sich, die prozentuale Anzahl schlechter Häuser ist wie vermutlich überall in der Welt gleich und es gibt durchaus sehenswerte, akzeptable neue, die aber nicht unbedingt selbst bewusst in ihren jeweiligen Nachbarschaften rum stehen. Vielleicht ist die Zahl guter Gebäude sogar höher als bei uns? Wer weiß?
Aber die Auffassungen, was gute und was schlechte Architektur sein soll, gehen, wie wir wissen, auch bei den Mitgliedern deutscher Architektenkammern weit auseinander!
Offensichtlich sucht die chinesische Architektur Anschluss, nur woran? Das Verhältnis Tradition zu Innovation, die Verarbeitung und Einbeziehung nationaler und regionaler Einflüsse, Raumauffassungen der Gegenwartsarchitektur und so weiter, sind offenbar noch kein Diskussionsstoff, was vermutlich an der Architekturwahrnehmung der Gesellschaft liegt.
Chinesische Architekturbüros, also die Design - Institute, sind im Umbruch - das ist eine Plattitüde. Es gibt relativ große, für deutsche Verhältnisse riesige Staatsbetriebe, die als Universalisten über viele Jahre solide Arbeit leisteten und nun zunehmend in Bedrängnis geraten, unter anderen weil ihnen begabte junge Leute weglaufen oder weil der Staat mit seinen Institutionen, Ämtern und Behörden dazu übergeht, Bauherrenfunktionen auszulagern. (Man kennt das!) Die dynamischen Newcomer dagegen, viele haben im Ausland studiert, sind begabt, spezialisiert, anpassungsfähig, offensichtlich mit geringerem Personalbestand effizienter und rein privatwirtschaftlich organisiert. Man sollte daraus jedoch nicht voreilig eine Konflikt- bzw. Konkurrenzsituation konstruieren! Nicht Größe oder Organisationsformen werden über den Erfolg letztlich bestimmen, sondern das Verhältnis zur Gesellschaft und der zukünftigen Stellung der Architektur in dieser Gesellschaft. Da hat sich, bedingt durch die Vorbereitung internationaler Großereignisse, z. B. der Olympischen Spiele in Peking oder der EXPO in Shanghai, schon einiges verändert. Bauherren und Investoren haben begriffen, dass Architektur ein wichtiger Marketingfaktor ist, nicht unwesentlich zum Firmenimage und damit zum Gewinn beiträgt. Die Medien tun für die Öffentlichkeit das ihre.
Chinesen sind Meister - um das einmal vornehm auszudrücken - im Kopieren. So wundert es nicht, dass sich alle Stile, mit besonderer Vorliebe europäische Neo - und Kolonialstile, munter in den chinesischen Städten tummeln. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass sich das "Abkupfern" hauptsächlich auf die Fassaden bezieht und die dahinter liegenden funktionalräumlichen Konzepte weit gehend unverstanden, oder sagen wir besser unreflektiert bleiben. Genau da beginnen die Chancen, die Möglichkeiten ausländischer Architekten: Fassaden, komplette Gebäudelösungen lassen sich, wie jeder Student weiß, leicht und schnell übertragen, nicht aber das methodische Konzept - Knowhow komplexer Gebäudelösungen. Dieser Wissenserwerb braucht Zeit, mehr als nur die Stunden, Wochen oder Tage des Kopierens - mehrere Ausbildungsgenerationen von Architekturstudenten und das entsprechende Potenzial an Lehrkräften sind erforderlich.
Aber machen wir uns nichts vor, eine drastische Kürzung dieser "Lehrzeit" durch Auslandserfahrungen ist nicht nur möglich, sondern sicher:
Auslandsstudenten schließen vorhandene Lücken langsam oder schnell, je nach dem wie es ihnen gelingt, in die kulturelle Welt ihrer Gastländer intellektuell "einzutauchen".
Und Zeit anderseits, das veranschaulicht die chinesische Geschichte überdeutlich, steht im ausreichend zur Verfügung.

(Was erwarten Chinesen von ausländischen, speziell von deutschen Architekten, was können wir ihnen geben und was erwarten wir von ihnen, was erwartet uns? Das sind einige der Fragen, die im folgenden zu beantworten wären...)

veröffentlicht am 06.03.2004 von Susann Weber · Rubrik(en): Export, Berufspraxis, News, Export

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