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Zusammenwohnen kann Motor für vieles sein

Beiträge der zweiten Wohnbaukonferenz online

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Wohnbaukonferenz #2: Prof. Dr. Gerd Zimmermann, Präsident, und Dr. Stephan Jung, Vorstand der Stiftung Baukultur Thüringen, Bild: Katja Gehlfuß

Die zweite Wohnbaukonferenz der Plattform Wohndebatte hatte den Titel „Zusammenwohnen“ und sollte ursprünglich als Austausch- und Vernetzungsveranstaltung über die Bühne gehen. Doch ausgerechnet eine Tagung über Gemeinsinn und Gemeinwohl musste gemäß den Versammlungsbeschränkungen ins Internet verlegt werden. Dass dennoch die Referierenden und Teilnehmenden während der Veranstaltung eine Art Gemeinschaft gebildet haben, zeigt die große Menge der Interessierten. Aus dem eigens installierten „Studio“ der Stiftung Baukultur Thüringen in Weimar-Gelmeroda wurden der organisatorische Rahmen und die Moderation gesendet. Mittels Videokonferenz waren bei der Konferenz bis zu 100 Personen und in den Workshops nie weniger als 40 Teilnehmende dabei.

Mit der Konferenz am 11. September 2020 begann der Zyklus der Veranstaltungen. Die Unterüberschrift „Bezahlbarer Wohnraum · Gemeinwohlorientierte Wohnprojekte · Konzeptverfahren“ schloss eine Forderung sowie zwei Lösungswege ein. An zahlreichen Beispielen führten sechs Referierende aus, wie Neben- und Sonderwege des Wohnens und des Wohnungsbaus heutigen Anforderungen des Wohnens entsprechen. Beginnend bei der Bodenfrage und der konzeptabhängigen Vergabe von Grundstücken und Immobilien wurde nachgezeichnet, wie Wohnprojekte gleichzeitig Quartiersentwicklungen begünstigen. Karin Hartmann vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und Robert Temel, Architektur- und Stadtforscher aus Wien, stellten das Forschungsvorhaben des BBSR „Baukultur für das Quartier – Prozesskultur durch Konzeptvergabe“ vor und zeigten bundesweite Beispiele, die von einer steigenden Anwendung des Verfahrens zeugten.

Über Bürgerfonds und Erbbaurecht sprach Rolf Novy-Huy, Geschäftsführender Vorstand der Stiftung trias, welche ihr Grundstücksvermögen gemeinschaftlichen, zukunftsgerichteten Wohnprojekten und anderen gemeinnützigen Initiativen zur Verfügung stellt. Aus Frankfurt am Main berichtete Birgit Kasper, Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung FORUM Gemeinschaftliches Wohnen, wie sie in ihrer Tätigkeit als Koordinatorin des Netzwerks Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e.V. in einer Stadt mit erhitztem Wohnungsmarkt Nischen für gemeinwohlorientierte Wohninitiativen schaffen kann. Ulrike Jurrack, Vorstandsvorsitzende der WohnStrategen e.V., demonstrierte schließlich an Thüringer Projekten, dass gemeinschaftliches Wohnen auch in metropolfernen Gegenden gelingen und so ein Mehrwert für Nachbarschaften, Gemeinden, Städte und Regionen entstehen kann.

Vier Morgentermine schaffen einen Überblick

Den Schwenk nach Thüringen und den hiesigen Ausgangsbedingungen schafften vier Workshops, die 14 Tage später die Referierenden noch einmal in kleinere Gesprächsrunden holten. Zu jedem Workshop gaben vier Expertinnen und Experten sowie zivilgesellschaftliche Akteure ein Impulsstatement zu Erbbaurecht, zu einer Wohnungswirtschaft zwischen Rendite, Gemeinwohl und Selbstorganisation, zu Förderinstrumenten sowie zu den Planungsprozessen und Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb von Wohnprojekten. Diese Gespräche waren ursprünglich als offene Gespräche geplant und glichen dann eher kommentierten Podiumsgesprächen. Das lag vielleicht in der Natur der Sache, denn viele der Zuhörenden wollten sich ein grundlegendes Bild machen, von einer Szene, die sich traf und die eine wunderbare Gelegenheit erhielt, untereinander zu debattieren.

Sehr offen wurde über die Motive und Hemmnisse gemeinwohlorientierter Wohnprojekte gesprochen. Diese Projekte verstehen sich oft als Pioniere zu gesellschaftlichen und städtebaulichen Themen, wie inklusives Wohnen, ökologisches Bauen und Wirtschaften, Autoverzicht oder auch Ehrenamt und Generationenwohnen. Eine Initiative kann sich mit einem solchen Paket an Ansprüchen selbst überladen oder aber sie strahlt aus in die Nachbarschaft, welche von ihrer Aktivität profitiert. Gemeinwohlorientierte Projekte können hier regelrechte Motoren für Entwicklungen sein.

Debattiert wurde auch über eine eigene Ästhetik, das heißt gebaute Erscheinung, die von gemeinschaftlichen Wohnprojekten ausgeht. Wie der genuin gemeinwohlorientierte Baustil aussehen kann, das klärt jedes Jahrzehnt für sich. Einen baukulturellen Mehrwert schaffen die gezeigten Projektbeispiele immer dann, wenn die verwirklichten Lebensbedingungen oder der Bauprozess selbst als Teil der Gestaltung sichtbar bleiben.

Wie kann man selbst initiativ werden?

Wer alle Veranstaltungen gesehen hat, kann sich ein Bild machen, wie die Initiativen zu gemeinwohlorientiertem Wohnen aktuell in Städten mit hochpreisig orientierten Wohnungsmärkten und gleichzeitig in schrumpfenden Landregionen Zeichen setzen. Immer wieder wurde jedoch betont, dass das oft unbezahlte Engagement von Baugruppen und Wohnprojekten mit fachlicher Expertise beantwortet werden muss. All das zusammen kann ein Handlungsumfeld schaffen, in dem sich immer mehr Menschen – auch in kleinen Ortschaften – trauen, ihre Vorstellung vom Wohnen mit anderen gemeinsam umzusetzen. So könnte ein guter Nebeneffekt der Veranstaltungsreihe gewesen sein, dass sich einige der Zuschauenden direkt für die Praxis inspirieren ließen. Gemeinsam wurde der Schluss gezogen, dass nicht alle Menschen einen derart anspruchsvollen Weg zum Wohnen zurücklegen wollen und auch nicht alle ein Milieu der (selbstorganisierten) Gemeinschaftlichkeit suchen. In den Beiträgen wurde vielmehr nach Anknüpfungspunkten in der Wohnungswirtschaft gesucht, im (Zeit-)Geist von gemeinschaftlichen Wohnformen weiter zu denken. Viele der genannten Sehnsüchte und Auslöser sind stärker verbreitet als man denken mag. Das Wohnen kennt keine Unbeteiligten – sowohl bei denen, die bauen, als auch bei denen, die „nur“ wohnen wollen.

Die Veranstaltung soll weitere Kreise ziehen. Darum sind die Beiträge auf der Netzseite der Stiftung Baukultur Thüringen abrufbar. Ergänzt werden diese durch ein umfangreiches Quellen- und Linkverzeichnis, das aktuelle Publikationen und Studien versammelt.

Ulrich Wieler, Stiftung Baukultur Thüringen

Beiträge der Wohnbaukonferenz #2:
www.wohndebatte-thueringen.de

veröffentlicht am 19.10.2020 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Berufspraxis, Stiftung Baukultur Thüringen

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